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Ich hatte mich etwas zurückgenommen, saß nicht mehr so viele Stunden an seinem Bett, wie zuvor. Versuchte auch mal wieder was mit meinen Freundinnen zu unternehmen, mich abzulenken. Zwar fühlte sich vieles, wie eine Party ohne ihn, immer noch falsch an. Jedoch befasste ich mich bewusster mit der Frage, was war, wenn er nicht mehr aufwachten würde. War ich wirklich verliebt? Es war ja nun einmal nicht so, als sei ich Profi darin meine eigenen Gefühle zu kennen. Allerdings fühlte es sich nach Verliebtheit an. Weil ich nicht gut darin war, hatte ich das halbe Internet durchsucht und herausgefunden, dass Gefühle nur da waren, weil jede Diskussion, jeder kleine Streit mit ihm eine Gewohnheit war, die nun einfach fehlte und ich es missverstand. Ich fand noch andere für mich brauchbare Begründungen. Wenn er wach wurde und ich mein Leben genauso wie vor dem Unfall wieder hatte, würde sich auch das mit den Gefühlen wieder normalisieren. Darauf hoffte ich jedenfalls. Denn wenn all diese Gefühle blieben, wenn er wach werden sollte, dann hatte ich ein viel größeres Problem. Christian kannte das Wort Privatsphäre nicht, so dass er gerne nah an mich herangetreten war, um mir seine kleinen anzüglichen Sprüche ins Ohr zu flüstern. Würde mein Körper mich dann verraten? Sicherlich, denn ihm war einfach nicht zu trauen. Mir war nicht zu trauen.

»Ich werde jetzt noch weiter runter schrauben, ich habe heute die wohl schlechteste Hausarbeit zurückbekommen, die ich jemals geschrieben habe. Ich habe noch nie in meinem Leben so versagt und warum ist das so? Weil ich von Bildanalyse keinen Schimmer habe, obwohl ich dir die wichtigen Punkte bestimmt viermal vorgelesen habe. Wenn du aufwachst, wirst du mir sicher erzählen, was ich falsch gemacht habe.« Ich legte die Unterlagen zur Seite und versuchte ihn Vorwurfsvoll anzusehen. Es gelang mir allerdings nicht. Wie so oft sah ich dabei aus wie ein Idiot. Also setzte ich mich in den Schneidersitz auf den Stuhl und sah ihn einfach nur an.

»Weißt du, ich habe einen Grund, warum ich auf der Party wegen Dan so ausgerastet bin.« Ich atmete tief durch. Mir brannte es schon lange auf der Seele. Eigentlich schon seit der Party. Ich hätte gerne den Mut gehabt, die ganze Situation klarzustellen, aber leider war es mir einfach nicht möglich hier über meinen Schatten zu springen. Wenn man die Vergangenheit hervorholte, dann war sie wieder genauso schmerzhaft, wie damals und diesen Schmerz hatte ich so nie wieder fühlen wollen.

Ehe ich weiter ansetzten konnte, brachte mich der erhöhte Herzschlag, den ich über den Monitor und sein Piepen wahrnahm aus dem Konzept. Es war die erste Veränderung und ich hatte keine Ahnung, ob das gut oder schlecht war. Die Angst, dass direkt der Herzalarm anging, war gewaltig. Mein Puls raste. Ich würde eine solche Situation sicherlich nicht überleben, sollte nun der Herzalarm angehen.

»Mach jetzt keinen scheiß, Christian«, bat ich ihn leise und trat näher an das Bett heran. War es nur der Herzschlag, oder tat sich mehr? Ohne dass ich es gemerkt hatte, hatte ich nach seiner Hand gegriffen und sie kurz gedrückt und erhielt einen Gegendruck.

»Gott, drück noch mal«, meinte ich mit zitternder Stimme und es schien, als würde er mich hören, denn er drückte erneut leicht meine Hand, ehe ich sie losließ und auf den Flur eilte und nach einer Schwester rief. Er wachte auf, er bewegte sich. Die Schwestern hatten den Neurologen gerufen und ich verständigte direkt seine Mutter, die bereits auf dem Weg war. Es sah verdammt gut aus, nun war die Frage, welche Schäden all das hier hinterlassen hatte. Ich sah wie Amelia mit dem Arzt sprach und dann in sein Zimmer lief, sie freute sich, ihren Sohn wiederzubekommen. Egal wie schlimm es sein mochte. Für mich war es dann wohl der Zeitpunkt Abstand zu nehmen. Egal wie sehr mich Amelia und Frank eingebunden hatten. Christian wusste von all dem nichts und waren wir ehrlich. Ich gehörte nicht dazu.

»Sie können auch ruhig zu ihm gehen, Jenna.« Eine Krankenschwester sah mich aufmunternd an.

»Ein anders mal, jetzt sollte er seine Mutter um sich haben.« Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie er reagieren würde, wenn er mich in dem Zimmer sehen würde. Vielleicht würde er an seinem eigenen Verstand zweifeln und sich fragen, ob er verrückt geworden war. Ich blickte mit einem sanften Lächeln zur Zimmertür, die bereits geschlossen wurde, wendete mich ab und verließ das Krankenhaus. Er wachte auf. Amelia würde mir sicher noch den aktuellen Stand mitteilen. Mein Teil war allerdings getan. Ich musste nicht länger ein schlechtes Gefühl haben und dennoch ließ es mich nicht los. Auch als ich das Housing betrat, meine Tür öffnete und mich auf mein Bett warf. Ich schrieb Rick, das Christian wohl gerade aufwachte und ich damit mein Leben zurückbekam, doch eine Antwort blieb aus. Eventuell war er in der Bibliothek am Lernen, dabei hätte ich gerne ein paar aufmunternde Worte gebraucht, denn die Angst, die ich nun spürte, war einfach zu überwältigend. Er wurde wach und ich musste mit diesem Chaos in mir zurechtkommen, schnellstmöglich. Ehe er auch nur einen leisen Wind davon bekam.

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