1. Türchen

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Mit einer Vollbremsung die sich gewaschen hatte, hielt das Taxi vor dem Hamburger Hauptbahnhof. Ich klammerte mich krampfhaft an meinem Sitz fest und pustete mir genervt eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ich war heil froh angekommen zu sein, denn dieser Vollidiot von Fahrer meinte er müsse mit Hundert km/h durch die Fußgängerzone heizen, zwanzigtausend Tauben einen Schreck fürs Leben verpassen um dann, zwei Zentimeter vor dem Behindertenparkplatzschild, dermaßen auf die Bremse zu drücken, sodass ich vor Schreck meine Tasche los lies und mich sicherheitshalber überall festklammerte.
Dieser Tag konnte ja gar nicht besser beginnen. Es war gerade mal halb elf und ich hatte schon zwei Wutanfälle wegen zwei Leuten hinter mir. Zum einen dieser Raser und zum anderen Kelly. Meine überaus rücksichtsvolle Mitbewohner, meinte ja sie müsse schon zwei Tage früher zu ihrem ach so tollen Freund in die Toskana abhauen und mir das ganze dreckige Geschirr von ihrer „kleinen Fete“ an den Arsch hängen. Dieses Mädchen hat mir so einige Nerven in der letzten Zeit gekostet. Ständige Partys, die mich vom lernen für meine Diplomarbeit nächstes Jahr abhielten, der ganze Müll der sich in unserer Wohnung stapelte und zur Krönung ihr Eifersüchtiger Ex der jeden Mittag um Punkt zwei Uhr gefühlte fünfzig Mal anrief. Außer Samstags, da kam er meistens persönlich vorbei.
Ein Glück hatten wir Semesterferien. Drei Wochen lang keine Arbeiten, keine nervigen Lehrer und vor allem keine Kelly.
„Haste nicht vor auszusteigen?“, zog mich der Raser mit dem Hamburgischen Dialekt aus meinen Gedanken.
Gereizt bückte ich mich, zog meine Tasche auf meinen Schoß, schmiss ihm dreißig Euro zu, öffnete die Tür und stieg aus. Na klar, wie konnte es auch anders sein, landete mein erster Schritt in einer Schneematsche. Fluchend knallte ich die Beifahrertür zu, bemühte mich bloß nicht auszurutschen und öffnete den Kofferraum.
„Büschn‘ schneller vielleicht?“, blaffte er als ich gerade dabei war meinen Koffer umständlich hinten raus zu ziehen. Dann knallte ich auch die Kofferraumtür zu und lief Richtung Bahnhofsgebäude. Dieser Armleuchter hatte mir jetzt schon den ganzen Tag versaut, hätte er doch meinen Koffer ausgeladen, mit schnellen Dinge kannte er sich doch bestens aus.

Es war fünf Tage vor Weihnachten, was den Trubel im Bahnhofsgebäude erklärte. Noch nie war ich ein Freund von Weihnachten gewesen. Ja gut, vielleicht als Kind aber seit ich nicht mehr zu Hause wohnte ist Weihnachten oder mein Geburtstag nebensächlich geworden. Die Feiertage wollte ich einfach nur dazu nutzen um ein bisschen abzuschalten und mich vor sämtlichen Familienzusammenkünften drücken. Klar ist es schön mal wieder meinen ganzen Verwandten zu begegnen. Aber die ständigen Fragen von wegen, „was willst du nach dem Studium machen?“ oder „wie sieht deine Zukunft aus?“, gingen mir einfach nur auf den Keks. Ich meine, wie soll ich so etwas richtig beantworten wenn ich selber keinen Plan hatte wie es weiter ging. Zu dem Zeitpunkt war ich mir nicht mal mehr sicher ob das Jurastudium wirklich das richtige für mich war.

Die Bahn war überraschenderweise fast leer. Abgehetzt stemmte ich meinen Koffer auf die Ablage hinter meinem Sitz und lies mich auf mein Hinterteil fallen. Normalerweise fuhr ich erste Klasse, weil mein Vater darauf bestand, dass ich komfortabel fahre. Doch an diesem Tag war es falsch gebucht. Wahrscheinlich hatte er wieder mal seine Brille nicht auf und den Hacken bei der online Buchung falsch gesetzt. Wieder ein Grund der mir den Tag verschlimmerte.
Müde streifte ich mir die Jacke von der Schultern und legte sie auf den Sitz neben mir, vielleicht dachten ja die Leute dann, hier würde schon jemand sitzen und versuchten nicht ihren Hintern neben meinen zu drücken. Bei so Angelegenheiten war ich sehr empfindlich. Menschen Nähe zu zeigen war noch nie meine Stärke und seit ich von unserem Dorf ganz im Norden von Deutschland nach Hamburg gezogen war, wurde es noch schlimmer.  Vielleicht lag es an dem Stadtleben und daran das ich keine Menschenseele kannte. Ich war eben eher auf Abstand was neue Leute kennenlernen anging. Konnte nie wirklich schnell eine Bindung zu fremden Menschen aufbauen, wobei das auch nicht wirklich bei Leuten klappt die ich schon ewig kannte. Nicht mal zu meinen Eltern oder meinen Geschwistern hatte ich ein enges Verhältnis, was sich jetzt vielleicht komisch anhört aber für mich ganz normal war. Klar ich liebte meine Familie und wahrscheinlich war ich nur zu verklemmt um es ihnen zu zeigen.
Das weiße Nachrichtenfenster meines Handys leuchtete auf. Meine Mutter hatte mir geschrieben.
„Hallo Mia. Habe heute Tee und Kekse eingekauft, extra für dich. Wir freuen uns alle sehr dich wieder zu sehen, bis heute Abend. Mama.“
Es war immer wieder komisch wenn mir meine Mutter eine SMS schrieb. Ich finde sowas wie Handys oder Laptops passen einfach nicht zu meinen Eltern. Ich drückte meinen Rücken leicht gegen die Sitzlehne und schrieb ihr irgendetwas von wegen, ich würde mich auch freuen, zurück.
Als ich Mamas Nachrichtenfenster schloss, sah ich das Pascal mir auch geschrieben hatte.
„Hallo mein Schatz. Ich freu mich tierisch wenn du wieder zu Hause bist, kann es kaum mehr erwarten. Ich liebe dich.“
Ohne ihm zu antworten drückte ich den Tastensperreschalter. Pascal war mein Freund, wenn man das überhaupt zu diesem Zeitpunkt noch sagen konnte. Wir hatten uns das letzte Mal vor sechs Monaten gesehen und diese Nachricht war auch so ziemlich das einzige seit unserem letzten Treffen was man Kommunikation nennen konnte. Ich war mir sowieso schon seit Ewigkeiten nicht mehr sicher ob das alles mit uns noch richtig war. Wir waren zwei Jahre zusammen, klar schmeißt man da nicht gleich alles weg oder will es zumindest nicht wahrhaben, dass man es wegschmeißen sollte. Klingt jetzt irgendwie als würde ich über ein Stück Käse, das schon zwei Monate unter meinem Bett gammelt, reden.
Naja, uns verband meiner Meinung nach nichts mehr und ich nahm mir fest vor ihm das zu sagen, im Grunde empfand ich nichts mehr für ihn und wieso sollte ich ihm es dann vorgaukeln, reine Zeitverschwendung.

An der nächsten Haltestelle wurde es laut, was mich unschön aus meinen Gedanken riss. Eine Familie mit drei Kindern, alle so zwischen fünf und zwölf stieg ein. Sie setzten sich nicht weit von mir entfernt hin. Diese fünf Menschen waren so das typische Abbild von einer Wir-sind-so-unfassbar-harmonisch Familie. So eine wie es die meistens Leute auch von meiner dachten.
Ihr müsst wissen, mein Vater ist Anwalt und hatte seine eigene Kanzlei. Meine Mutter ist Ärztin in ihrer eigenen Praxis in unserem Dorf. Sie arbeitete dort bis sie meine ältere Schwester Pina bekam. Ab da machte sie eine Pause und arbeitet nicht mehr. Ein Jahr später kam ich und vor acht Jahren mein Bruder Tristan. Drei Jahre nach seiner Geburt fing sie wieder an zu als Ärztin zu arbeiten.
Ich verstand eigentlich die Leute. Wir wohnten in einem großen Haus, an Geldmangel litten wir nicht und auch sonst ging es uns gut. Bis zu einem Tag vor zwei Jahr im Herbst.
Pina war gerade auf dem nach Hause weg von ihrem Tanztraining. Sie konnte wirklich extrem gut tanzen, wofür ich sie so beneidet habe. Jedenfalls lief sie nach Hause, es dämmerte schon und an unserer Landstraße waren ziemlich wenige Laternen. Ich weiß nicht genau wie alles ablief, wollte es auch im Endeffekt nicht wissen.
So viel ich weiß, kam der Wagen, der viel zu schnell fuhr, von der Straße ab und fuhr direkt auf meine Schwester. Der Fahrer war anscheinend unter starken Alkoholeinfluss. Drei Tage nach dem Unfall nahmen sie ihn in seiner Wohnung fest.
Keine Ahnung wie oft ich den Satz „es sieht nicht gut aus“, in der Zeit schluchzend von meiner Mutter durchs Telefon rascheln gehört habe. Noch viel öfter haben es anscheinend die Ärzte gesagt. Doch aus einem unfassbaren Grund wachte Pina wieder aus dem Koma auf. Ihr ging es gut, bis auf die Beine. Die kann sie bis heute nicht bewegen, ist querschnittsgelähmt. Ab diesem Zeitpunkt haben die Leute nicht mehr an unsere Friede-Freude-Eierkuchen-Familie geglaubt. Immer wenn ich zu Besuch war, wurde ich von allen beäugt. Jeder wollte einen Moment erhaschen in dem ich oder die anderen Schwäche zeigten, es dann gleich weitertratschen und uns wieder beobachten. Noch ein Grund warum ich dieses Dorf zu gewissen Zeitpunkten verabscheute. Ich meine, Pina hat überlebt und muss jetzt mit diesem Handikap leben, das ist schon schlimm genug. Aber glaubt jetzt nicht dass ich jetzt jeden Tag traurig deswegen bin. Das bringt rein gar nichts. 

Ich steckte mir meine Kopfhörer in die Ohren und lies Musik laufen. Dann legte ich den Kopf in den Nacken. Ich wollte die Weihnachtsstimmung weder sehen noch hören. Und diese glückliche Familie konnte mir auch gestohlen bleiben.

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Hey Leute,
das war das erste Türchen meiner Weihnachtsreihe. Es wird nun jeden Tag bis zum 24. Dezember immer um 18:00 Uhr (Montag, Donnerstag und Freitag etwas früher) ein Kapitel geben. Ich hoffe ihr bleibt dran auch wenn dieses Kapitel noch nicht sehr Weihnachtlich war. Ich hab mir wirklich so, so viel Mühe mit dem Schreiben der Kapitel gegeben und würd mich riesig freuen wenn ihr das Kapitel positiv bewertet und mir natürlich auch Rückmeldungen gebt.
Meine Frage an euch die ihr mir in den Kommentaren beantworten könnt -->Mögt ihr Weihnachten?

Ich freu mich euch die anderen Kapitel zu zeigen und dann bis morgen. :)

Lysell <33

Driving home for ChristmasWhere stories live. Discover now