16. Türchen

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Gegen Abend kam der Laster mit extra dicken Schneeketten und einer Überglücklichen Frau, die sich freute weil die Spielzeuge jetzt doch Verwendung gefunden haben. Sie half uns alles was sorgfältig in den LKW gestapelt wurde rein zutragen. Ich muss zugeben dass ich ziemlich schockiert war, denn drinnen häuften sich schon die Teile, sodass man fast nicht mehr daran durch kam. Einen Teil lagerten wir im Wohnzimmer, den anderen Teil oben im dritten Stock. In dem Zimmer mit dem Tannenbaum und der vielen Weihnachtsbeleuchtung  indem Rosa auch einen Aufklappbaren Bastelltisch aufstellte. Als die Frau sich verabschiedet hatte und wieder gegangen war, kam Rosa zu uns in die Küche.
„Ich finde das so toll, dass ihr uns helft. Ich würde vorschlagen wir beginnen morgen ganz früh damit wir fertig werden.“ Sie strich mir über den Oberarm. Schon wieder lag gruselig viel Euphorie in ihrer Stimme. „Morgen um sieben Uhr wecke ich euch, wenn das okay ist?“
Wir nickten. Sie meinte noch wir sollen dann jetzt schlafen gehen, damit wir morgen nicht müde seien. Also liefen wir nach oben.
„Ich geh duschen.“, sagte ich zu Davin, schnappte mir mein Zeug und lief dann ins Bad. Ich dachte darüber nach, wie es wohl sein würde wenn meine Familie wie Rosa wäre. Nicht immer alles perfekt haben müsste, auch mal spontan sein könnte und an kleinen Sachen Freude hätte.
Nachdem ich mir noch ein letztes Mal das warme Wasser über mein Gesicht laufen gelassen hatte, beeilte ich mich wieder aus der Dusche zu steigen, denn ich wurde immer Sentimentaler, wie es meistens war.
Aus unserm Zimmer kam Musik. Ich ging hinein, meine Haare im Handtuch eingewickelt, die Wollsocken über die Hose soweit sie gingen hochgezogen.
„Ich hab eine Steckdose gefunden.“, meinte Davin und deutete auf sein Handy, das am Ladekabel ging und aus dem die Musik kam. Er saß an der Wand rechts neben der Tür bei dem Schrank, hinter dem die Steckdose verborgen lag.
„Das ist wirklich super.“, meinte ich ironisch.
„Ph“, machte er, stand auf, schnappte auch sein Zeug und lief dann als nächstes ins Badezimmer.
Ich befreite meine Haare vom Handtuch, kämmte die Hexen durch und rubbelte sie dann trocken. Mein Blick fiel auf das Telefon welches auf dem Nachttisch lag. Rosa musste es wohl irgendwie dort liegen gelassen haben. Ich dachte an meine Eltern. Schließlich schnappte ich mir kurzerhand einzige Tor zur Außenwelt und wählte die Handynummer meiner Mutter.
Es tutete ein paar Mal. Dann ging sie ran.
„Ja?“, fragte rauschte es durch den Hörer.
„Ich bin‘s Mama.“, meinte ich.
„Mia? Ach Hallo. Hat dir die Mutter von…wie heißt sie nochmal? Ach ist ja auch egal…hat sie dir ausgerichtet das wir nicht zu Hause sind?“ Ich hörte etwas im Hintergrund rascheln.
„Welche Mutter?... Du meinst Rosa, ja hat sie. Ich wollte nur sagen das es mir gut geht und…“ Ich bemerkte das sie mir gar nicht richtig zuhörte.
„Halt. Wir müssen doch erst noch in die Gardinenabteilung. Philipp, jetzt schieb doch den Einkaufswagen einfach in den Aufzug.“, sagte sie zu meinem Vater während ich redete.
„Entschuldigung was hast du gesagt?“, fragte sie, wieder ihre Aufmerksamkeit auf mich gelenkt. Ihre Stimme klang gestresst.
„Nichts.“, meinte ich weil ich wusste es hatte sowieso keinen Sinn.
„Ja okay. Ich hab jetzt auch gerade echt keine Zeit in zwanzig Minuten hat Oma das Essen fertig und du weißt wie sie ist wenn wir nicht pünktlich kommen. Einen Schlüssel hast du ja falls du kommst, wenn wir nicht zu Hause sind. Bis dann.“ Dann legte sie auf.
Ich horchte in das tutende Telefon. Dann lies ich es langsam auf den Boden fallen. Der Anruf hatte mir nur noch mehr bestätigt, wie egal es meiner Mutter war was ich machte, beziehungsweise wie wenig Zeit sie eigentlich hatte darüber nachzudenken. Bestimmt hatte sie Rosa bei deren ersten Anruf nicht einmal richtig zugehört und wusste nicht mal wo ich überhaupt war.  
Ich setzte mich vor den lodernden Kamin und lies meinen Blick starr auf die Flammen fallen. Das mit meiner Mutter war nicht immer so schlimm. Vor Pinas Unfall war sie ganz anders. Normalerweise müsste man denken nach so einem Schicksal würde eine Mutter noch mehr auf ihre Kinder aufpassen damit nicht nochmal so etwas passiert. Aber bei ihr war es genau anders herum der Fall.
Davin kam herein.
„Du hättest ruhig mal deinen Schaum an der Duschwand wegwaschen können“, sagte er und hing sein Handtuch zum trocknen über die Heizung. Dann stellte er die Musik am Handy aus. Von nebenan hörte man wie jemand etwas auf einem Klavier spielte.
Ich spürte wie mir eine Träne die Wange herunter rollte. Hektisch wischte ich sie weg.
„Hey, was ist denn? Wieso weinst du? Das mit dem Schaum war doch nicht böse gemeint.“, sagte Davin und setzte sich besorgt neben mich.
Ich schüttelte den Kopf. „Das ist doch nicht wegen dem du Blödmann.“, meinte ich während mir die nächsten Tränen herunterrollten.
Er nahm mich in den Arm und ich ließ es zu. Ich konnte seinen Herzschlag spüren.
„Willst du mir erzählen warum?“, fragte er.
„Du würdest das nicht verstehen.“ Die einzige Ausrede die mir einfiel und die annähernd logisch klang.
„Manchmal hilft reden aber.“, sagt er und wischte mir mit der Innenseite seines Daumes eine Träne weg. Ich sah in seine Augen. Sie leuchteten, keine Ahnung ob das von dem Feuer kam, welches sich darin gespiegelt hatte. Plötzlich erschien mir alles so leicht, wie es noch nie zuvor der Fall war.
„Weißt du, ich wünsche mir einfach nur das meine Familie manchmal ein kleines Stückchen mehr wie Rosa wäre.“ Ich erzählte ihm was mir auf dem Herzen lag und weswegen ich weinte. Schon komisch, denn noch nie hatte mich ein Mensch soweit gebracht wie er es tat.
„Weißt du, manchmal wenn es mir ganz schlecht geht, dann geh ich an Orte an denen es mir schon einmal richtig gut ging und erinnere mich an dieses gute Gefühl damals zurück.“, flüsterte er mir zu. 
Seine Nähe beruhigte mich ungemein, was ich nicht verstand, denn normalerweise dauerte es bei mir Jahre bis ich mich bei einer Person vollkommend wohl fühlte.
Er legte irgendwann die Kissen von unserem Bett auf den Boden und holte zwei Teppiche aus dem Schrank. Ich wischte mir die restlichen Tränen weg. Dann legte ich mich auf seinen Brustkorb. Ich spürte seine Hand um meinen Oberarm und meine Hüfte. Er roch nach gebratenen Mandeln.
„Glaub bloß nicht das ich dich jetzt mag.“, sagte ich und spielte mit dem Bändel seines Pullis.
Ich spürte wie er seinen Kopf schüttelte. „Hätte ich auch nicht erwartet.“, meinte er dann.
Davin drückte mich kurz fest an sich und ich legte mein Bein unter der Decke über seins. Ich spürte an meinem Kopf seine sich hebende und senkende Brust.
Wir lauschten den Klavierklängen die von dem Zimmer neben an kamen. Es war unglaublich beruhigend. Irgendwann schloss ich meine Augen und schlief getröstet und glücklich an Davins Seite ein.

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Hello.
Morgen in einer Woche ist schon Heilig Abend. Freut ihr euch?
Hier das Lied welches auf dem Klavier neben an gespielt wurde.
-->  https://www.youtube.com/watch?v=1OQ9v6GAo-U
      -- The First Noel –

Lysell <33

Driving home for ChristmasWhere stories live. Discover now