Kapitel 11

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Ich hatte ein mulmiges Gefühl, als ich über den Pausenhof zum Ausgang lief. Meine Eltern holten mich heute von der Young ab, weil ich gleich meine Zeugenaussage ablegen musste. Im Unterricht konnte ich mich keine einzige Sekunde konzentrieren. Immer wieder musste ich an jenen Abend denken - und dieses Mädchen... Wer war sie? Wer hatte ihr das angetan? Warum waren aller der Meinung, ich sähe wie sie aus? Ihre starren grünen Augen und der blasse Körper, der im Sand lag und von den Wellen überspült wurde, wollte mir nicht aus dem Kopf gehen. Es war schlimm und ich hatte das Gefühl als würde ich Wahnvorstellungen bekommen. Ich wusste nicht, wann ich das alles verarbeiten würde. Ich hatte Angst, dass viel mehr dahintersteckte. Mein Leben war simple und langweilig gewesen, doch dieser Abend am Strand hatte mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. In der einen auf die andere Sekunde konnte sich alles ändern. Wie man sich wohl veränderte, wenn man plötzlich in seiner behüteten Kleinstadt die Leiche eines jungen Mädchens sah? Ich bin 16. So etwas hätte ich nie sehen dürfen. Wie konnte man so etwas verarbeiten, vor allem wenn alle der Meinung waren, ich sähe wie das Mädchen aus - was völliger Schwachsinn war.

„Grace!", rief jemand.

Es war Amber Sullivan. Mir wurde noch immer kalt, wenn ich sie sah, was wohl die Furcht vor ihr sein musste. Sie lief mit schnellen Schritten auf mich zu. Ihre roten Locken waren definitiv ihr Markenzeichen. Nur selten hatte Amber sie geglättet. Meist hingen ihr die Locken im Gesicht, aber es sah trotzdem irgendwie immer gut aus, selbst wenn sie sich einen Dutt machte. Vielleicht lag das aber auch an ihrem Gesicht. Kimberly hatte mal gesagt, dass Amber perfekt definierte Wangenknochen wie Angelina Jolie hätte. Amber hatte wirklich ein einprägsames Gesicht. Sie trug keine Foundation, dafür aber schwarzes Augenmakeup, fast immer einen Eyeliner und Wimperntusche, was sie gefährlicher wirken ließ. Wenn sie Lippenstift trug, dann schwarz oder lila, obwohl der lilafarbene Ton nicht wirklich zu ihrem rotem Lockenschopf passte. Außerdem war Amber ziemlich dünn, was vielleicht vom vielen Rauchen kam.

„Das tote Mädchen wird gerade wahrscheinlich von den Gerichtsmedizinern untersucht. Es wird von einem Mord ausgegangen. Sie werden zuerst den Todeszeitpunkt durch ihre Körpertemperatur feststellen. Wenn ihr sie 24 Stunden nach ihrem Tod gefunden habt, können die Mediziner ein Zeitfenster von fünf einhalb Stunden ermitteln. Hoffen wir mal, dass ihr das Mädchen rechtzeitig gefunden habt und sie nicht schon länger im Meer schwamm, sonst wird es immer schwieriger den ungefähren Zeitpunkt ihres Todes zu beschließen. Hm, das wird auf jeden Fall nicht leicht für die Mediziner werden. Immerhin ist das Wasser kalt", erklärte sie.

Woher hatte sie so viel Fachwissen? Ich wollte nicht nachfragen, also lief ich einfach weiter.

„Denk dran, lass dein Handy an und mach bei der Polizei eine Audioaufnahme für mich, damit ich alles weiß", sagte Amber und lief neben mir mit.

Ich schüttelte meinen Kopf. „Vergiss es, Amber." Ich wollte nicht, dass sie Schritt hielt, also lief ich schneller.

Amber machte das allerdings nichts aus. Sie blieb hartnäckig. „Du bist so ein Schisser - aber du weißt du ja sicherlich."

Ich stöhnte in mich hinein. Wenn sie das dachte - Bitteschön. Sonst war ich immer davon gestresst, was andere Leute von mir dachten, aber hierbei nicht, denn das hier war mehr als ernst. Lebensmüde war ich sicherlich nicht. Wenn die Polizei herausfinden würde, dass mein Handy während der Befragung aufnahm, wäre ich am Arsch und man würde am Ende sogar mich noch verdächtigen.

„Man Grace, tu doch einfach was ich sage."

Ich blieb abrupt stehen. „Tun, was du sagst?" Ich warf ihr einen lächerlichen Blick zu. „Ich tu das, was mir die Polizei sagt."

Amber funkelte mich an. „Wir sollten uns auf unser Team konzentrieren, anstatt das, was die Polizei gesagt."

Ich sah sie entsetzt an. „Bist du gestört?" Welcher normale Mensch würde schon auf ein kiffendes Mädchen hören, deren Titel Schulschlampe war, sie noch stolz auf diese „Leistung" war und anderen Angst einjagte, anstatt auf die Polizei zu hören?

„Vertrau mir", sagte sie mit leiser Stimme.

Ich prustete auf. „Dir vertrauen? Amber, was soll das ganze hier? Weißt du irgendwas, willst du Ermittlerin spielen oder hast du sogar selbst irgendetwas mit der Tat zu tun?"

Amber verdrehte ihre Augen. „Jetzt fang du nicht auch damit an. Ich hab meine Gründe."

„Dann sag's mir, denn ich verstehe deine Beweggründe überhaupt nicht, weil du an diesem Abend nämlich nicht mal am Strand warst!"

Amber wollte irgendwas sagen, klappte ihren Mund dann aber schnell wieder zu.

Dass ich das Badgirl der High School zum Schweigen bringen konnte, hätte ich vor noch einer Sekunde für unmöglich gehalten. Ich war auch von mir selbst überrascht, wie ich mit Amber sprach. Je mehr ich mit ihr redete, desto mehr fiel mir meine Scheu und Furcht von den Schultern. Je länger unsere Gespräche wurden, desto lauter und selbstbewusster wurde ich. Noch vor ein paar Tagen hatte ich ja nicht mal ein Wort rausbekommen. Jene Nacht hatte mehr verändert...

Wir waren am Tor der Young angekommen. Meine Eltern standen mit dem schwarzen Mercedes schon am Straßenrand.

„Schickes Auto", spottete Amber. „Ich hoffe du weißt, was du tust."

Und dann geschah es. Da war dieser einer Blick, den Amber und meine Eltern austauschten. Es war der Bruchteil einer Sekunde, wo ich das Gefühl hatte, als dass sie sich so ansahen, als würden sie sich kennen. Ihre Augen waren voller Hass und Abschaum. Ich beobachtete wie Amber ihre Hände zu Fäusten ballte. Vor allem aber überraschte mich der finstere Blick meiner Eltern.

Ich stieg perplex ins Auto und schnallte mich auf der Rückbank an.

Mom sah im Rückspiegel zu mir. Ihren Gesichtsausdruck konnte ich dabei nicht deuten. „Wer war das?", fragte Mom dann, anstatt mich zu begrüßen, so wie sie es eigentlich immer machte.

„Amber Sullivan", antwortete ich.

„Du kennst sie?", fragte Mom kühl.

Ich schüttelte den Kopf. Was hatte sie auf einmal? Sonst drängte sie mich doch immer dazu neue Freundschaften zu knüpfen und endlich mal andere Freundinnen außer Serena nach Hause zu bringen. Mom war früher das typische Cheerleader Mädchen gewesen. Sie war auch Schülerin der Young und war total beliebt, so ähnlich war es auch bei Dad. Ich war das komplette Gegenteil von ihnen. Manchmal spürte ich wie sehr Mom von mir enttäuscht war.

Nach einer unangenehmen Stille fragte ich: „Kennt ihr sie?"

„Wir?", fragte Mom und ich merkte wie angegriffen sie sich bei dieser Frage fühlte.

„Wir möchten einfach nicht, dass du dich mit Menschen wie ihr abgibst", ergriff Dad das Wort, der seinen Blick starr auf die Straße gerichtet hielt.

Klar, sie wussten wie jeder aus Cliffstone, dass Miss Sullivan eine Affäre mit dem Bürgermeister hatte und sie nun verheiratet waren. Da mussten sie wohl auch Amber vom Hören kennen. Sie war wohl die Person mit dem schlechtesten Ruf hier.

Als ich mich allerdings nach vorne beugte, sah ich, dass Dad seine Finger in das Lenkrad gekrallt hatte und seine Fingerkuppen von dem Druck ganz weiß waren.

Ich beschloss diesen komischen Zwischenfall zu ignorieren. Ich musste mich jetzt auf die Aussage konzentrieren. Darauf sollte ich jetzt mein Fokus legen, schließlich hatte ich keine Ahnung was mich erwartete...

Just The Way You AreTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang