40) Rückkehr

493 46 3
                                    


Selbst die Gemälde wirken ohne den Nebel blass und gewöhnlich. Wenn ich Zeit hätte, könnte ich mir einreden, in einem Kunstmuseum gelandet zu sein. Erste Tür links und sie befinden sich bei den italienischen Meistern, zweite Tür rechts und sie betreten die Sammlung der französischen Klassik.

Aber auch wenn in den Gemächern von Tenebris noch immer die selben schweren Kunstwerke hängen, die ich beim Betreten bereits gesehen habe, ist es doch kein Ausstellungsraum.

Ich renne hinter Aljan über die glatten Schachbrettfliesen durch den Gang in der Mitte. Das Bett unter dem Kirchenfenster will so gar nicht in die Museumsatmosphäre passen. Genauso wenig, wie der alte Mann mit den eingefallenen Wangen, der darauf liegt. Er liegt noch genauso da, wie wir ihn zurück gelassen haben. Vor der Brust ineinander verschränkte Hände, blasse Haut, durch die die Adern hindurchscheinen. Aljan beugt sich über seinen Vater und tastet, das Ohr ganz nah an Tenebris Lippen gepresst. Ich erkenne den Augenblick, in dem er erleichtert ausatmet und auch ich weiteratme.

"Er lebt", flüstert er und streicht seinem Vater über die Wange. Der Höllenfürst verharrt regungslos. "Er ist völlig erschöpft. Ich kann ihn so doch nicht alleine lassen." Ich nicke und schaue mich um. An einer der Wände stehen zwei Stühle mit hoher Lehne aus rotem Samt.

Aber mein Plan, die beiden Sitzgelegenheiten näher an das Bett zu tragen, scheitern an deren Gewicht. Der Rahmen ist verschnörkelt und mit Ornamenten verziert und muss offensichtlich aus dem schwersten Metall gegossen worden sein, das auf Erden oder in Höllen existiert. Aljan erfasst mein Vorhaben, erhebt sich und nimmt mühelos je einen der Stühle in jede Hand.

Eine Weile sitzen wir schweigend an Tenebris Bett und beobachten wie er schläft. Nicht einmal sein Brustkorb hebt und senkt sich dabei.

"Können wir nicht irgendetwas für ihn tun?", frage ich nach einer Unendlichkeit.

Aljan zuckt die Schultern und vergräbt sein Kinn in den Händen.

"Sollen wir ihm von dem Besuch bei Sophia erzählen?", schlage ich vor.

Aljan schüttelt den Kopf. "Was soll das bringen?"

"Vielleicht kann er uns ja hören."

"Und selbst wenn. Antworten wird er uns kaum. Wir haben schon keine Antworten erhalten, als er noch bei Kräften war."

Ich seufze. "Ich habe das Gefühl, uns läuft die Zeit davon", gestehe ich.

Aljan hebt den Kopf und schaut mich lange an, ehe er antwortet. "Vermutlich stimmt das auch."

Wieder tritt für eine Zeitlang Stille ein.

Dann steht Aljan plötzlich auf. Sein Stuhl quietscht, als er ihn nach hinten schiebt. Das Geräusch wirkt wie ein Peitschenhieb in der sakralen Stille des Raumes. "Ich muss meine Brüder holen."

Ich schaue ihn ratlos an, weiß nicht was ich sagen soll. Eine Gänsehaut überkommt mich bei dem Gedanken an Erit und darin, ihn bald wiederzusehen.

Aljan hat schon fast den Durchgang erreicht, als er sich umdreht.

"Kannst du solange bei meinem Vater bleiben?", bittet er.

Ich nicke. "Wie lange?"

Er zuckt die Schultern. "Das kommt darauf an."

"Bitte bleib bei dem alten Mann. Er mag dich und ich würde nur ungern gehen und ihn alleine zurücklassen. Tut mir leid, dass ich dich alleine hier zurücklassen muss. Ich würde bei dir bleiben, wenn ich könnte, aber es wird Zeit, dass meine Brüder hier ihre Verantwortung übernehmen." Ein gequälter Ausdruck, als hätte er versehentlich in eine saure Zitrone gebissen, tritt in Aljans Gesicht und ist das Letzte, was ich von ihm sehe, ehe er davonrauscht, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Er ist längst fort, als meine Antwort meine Lippen verlässt und leise in den Raum dringt. "Natürlich bleibe ich."

Ob Tenebris meine Worte gehört hat?

Seine schlafende Gestalt zeigt keinerlei Anzeichen. Wenn man seine Form in Stein meißeln würde, er sähe aus, wie das Abbild eines alten Königs auf seinem Sarkophag. Er könnte jeder Kirche zur Zierde gereichen und mich schaudert. Zaghaft lege ich einen Finger auf seine Brust und erstarre. Nichts hebt und senkt sich.

Panik überkommt mich. Tenebris darf nicht sterben. Ich stehe auf. Was, wenn Aljan mit seinen Brüdern wiederkommt und ich ihm sagen muss, dass sein Vater nicht mehr lebt. Wie Aljan wohl reagieren würde? Was würde Erit tun?

Ich beuge mich zu Tenebris Gesicht herunter und verharre so dicht vor seinen Lippen, wie ich ohne ihn zu berühren kann. Ein schwacher Luftzug streift meine Wange, mit dem Ohr kaum zu vernehmen.

Brennende Feuer - Dunkle SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt