16) Zuflucht

714 74 21
                                    


"Bring mich nach Hause", schreie ich.

Aljan zuckt zusammen. "Es tut mir leid. Er ist ein Arschloch. Aber bitte bleib!"

Ich schüttele seine Hand von meinem Arm. "Fass mich nicht an!"

Er macht einen Schritt zurück. "Es tut mir so leid, Dalerana. Wirklich."

"Es ist ja nicht deine Schuld", schniefe ich.

Aljan reicht mir ein gefaltetes Taschentuch. Vermutlich ist der Stoff viel zu schade, um sich darin zu schnäuzen, aber es ist mir egal. Ich falte das Stück auseinander und putze mir die Nase.

"Dann bleibe bitte." Seine Stimme klingt flehentlich. "Wir brauchen dich. Du bist unsere einzige Hoffnung. Du hast den Verfall doch gesehen."

"Ihr findet sicher jemand anderen. Ich weiß doch nicht einmal, was ich tun soll. Bitte, bring mich nach Hause. Ich will keinen Moment länger hier bleiben."

Aljan atmet tief und hörbar ein. "Das kann ich verstehen. Und es tut mir wirklich leid, was da gerade passiert ist. Aber ich flehe dich an, Dalerana. Bitte bleib. Ich werde mit meinem Vater reden. Erit wird so etwas nie wieder versuchen." Beim Klang seines Namens zucke ich zusammen. Hilflos starre ich auf das verschmierte, zerknitterte Taschentuch in meinen Händen.

"Behalte es", sagt Aljan. "Ich brauche es nicht mehr." Seine Worte entlocken mir ein leises Lachen.

Er wendet sich zur Tür. "Wo willst du hin?", frage ich und spüre, wie sich erneut Panik in mir Platz verschafft.

"Ich erzähle meinem Vater, was gerade passiert ist und ich stelle Erit zur Rede", erklärt er.

"Bitte nicht!", flehe ich. "Bitte bring mich einfach nach Hause und lass mich nicht allein." Aljans Hand sinkt vom Türgriff. Er dreht sich um und kommt wieder auf mich zu, mit einigem Abstand setzt er sich zu mir auf das Bett.

"Gut, ich bleibe, bis du dich beruhigt hast. Aber bitte versprich mir, dass du bleiben wirst. Du bist die einzige Hoffnung, die wir haben."

"Was, wenn er wieder kommt?"

"Das wird er nicht", versichert mir Aljan. "Vater wird toben, wenn er hiervon erfährt."

"Ist er immer so?"

"Meistens", gesteht er. "Ich hätte es voraussehen müssen." Aljan fährt sich mit beiden Händen über das Gesicht. "Ich hätte wissen müssen, dass so etwas passiert."

"Sind alle deine Brüder so?" Aljans Reaktion ist ein gequältes Lachen. "Ich fürchte schon. Sie entsprechen Vaters Vorstellung davon, wie sich ein Prinz der Hölle zu verhalten hat. Wir nehmen uns, was wir wollen. Menschliche Frauen nicht ausgeschlossen."

Ich schaue ihn lange an. Auf seinem Gesicht spiegeln sich die verschiedensten Emotionen. Frust, Enttäuschung, Verbitterung.

"Aber du bist anders?", hake ich nach.

Er zuckt mit den Schultern. "Ich sollte das Meisterstück meines Vaters werden. Er hat die Schwächen aller meiner Brüder jahrelang studiert, in dem Versuch, sie bei mir auszumerzen."

"Aber er ist mit dem Ergebnis nicht zufrieden", stelle ich fest.

"Zu sanftmütig", konstatiert er. "Zu einfühlsam. Nicht das, was er sich erhofft hat."

"Und das mit den menschlichen Frauen?", frage ich. "Gilt das auch für dich?"

Habe ich einen reißenden Löwen gegen einen anderen raffinierten Jäger getauscht?

"Du hast doch gehört, was mein Bruder von mir hält." Er lacht bitter. "Es entspricht der Wahrheit. Meine Brüder leben ihre Triebe ungehemmt aus. Sie kennen keine Ablehnung, nehmen sich, wen sie wollen, wo sie wollen, wann sie wollen. Ich meide ihre Partys so wie ich die Erde überhaupt meide. Soll ich dir etwas sagen?" Er wartet meine Antwort gar nicht erst ab. "Die Erde ist der wahre Ort der Sünde."

Ich zucke mit den Schultern. "Kann schon sein. Trotzdem sind wir hier nicht auf der Erde. Ich würde aber gerne wieder nach Hause."

"Das kann ich nicht zulassen, Dalerana." Ich höre echtes Bedauern in seiner Stimme, aber auch Entschlossenheit. "Warte hier und lass mich mit meinem Vater reden?"

Ich schüttel den Kopf. "Bitte nicht. Bitte lass mich jetzt nicht alleine."

"Dann komm mit!", schlägt er vor.

"Nein." Die Vorstellung Erit über den Weg zu laufen, noch ein Wort aus seinem Mund hören zu müssen, würde ich nicht ertragen. Meine Tränen sind gerade erst versiegt. "Ich bin müde und erschöpft. Noch eine Begegnung überstehe ich heute nicht."

Aljan erhebt sich. "Das kann ich verstehen. Dann ruh dich aus. Wenn du mich brauchst, musst du nur rufen. Ich wünsche dir eine gute Nacht."

Ich stehe ebenfalls auf, greife nach seinem Arm. "Bitte geh nicht. Bitte, bleib heute Nacht bei mir."


*+*+*+*

Ein kurzes und wieder einmal sehr dialoglastiges Kapitelchen.

Wie gefallen euch die Entwicklungen soweit?

Was erwartet ihr, dass jetzt passiert?

Brennende Feuer - Dunkle SchattenUnde poveștirile trăiesc. Descoperă acum