26) Konfrontation

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Zwischen Erebos, Orcus und Hades bahnte ich mir meinen Weg in die Tiefen der Bibliothek. 'Elysion und Tartaros' ließ ich dabei ebenso links liegen wie 'Eine Reise über den Styx'.

Ich war mir nicht sicher, ob ich nach dem Debakel in der Totenwelt der Ägypter bereit war, für einen Ausflug in eine andere antike Unterwelt - auch wenn mich die griechische Mythologie schon immer interessiert hatte. Und ehrlich gesagt mochte ich nach dem Gespräch mit Tenebris im Augenblick auch nicht weiter darüber nachdenken.

Der Gang mündete auf einen Querweg - Regalreihen, soweit das Auge reichte, aber kein Aljan weit und breit. Kurzentschlossen entschied ich mich, auf der gegenüberliegenden Seite direkt in den nächsten Gang einzubiegen, der mich noch tiefer ins Verderben führen würde, wenn ich Pech hatte.

Die Werke der Griechen waren denen der Babylonier gewichen. 'Bestattungssitten, Jenseitsvorstellungen und Ahnenkult im alten Mesopotamien' klangen nur gelinde nach einer spannenden Nachtlektüre. Bevor ich mich mühsam durch den dicken Schinken quälen würde, würde ich Aljan bitten, mir die Umsetzung live und in Farbe zu präsentieren.

A propos Aljan, hatte er nicht gesagt, dass ich ihn rufen konnte, wann immer ich ihn brauchte?

"Aljan?" Mein Ruf war mehr ein Wispern und sicher nicht weiter als bis zur nächsten Regalreihe zu hören, wenn überhaupt. Papier und Pergament schluckten vermutlich jeden Mucks. "Aljan?", setzte ich kaum lauter nach.

Aber ehe ich das Ende der mesopotamischen Sachbücher-Reihe erreicht hatte, erschien mein unterirdisch schöner Begleiter im nächsten Quergang.

"Dalerana? Ist alles in Ordnung?", fragte er und sah dabei aus wie der flammende Erzengel höchstpersönlich. Mein Retter in der Not. Ob Tenebris auf irgendeinem angelischen Bildnis Anregung für Aljans Äußeres gesucht hatte? Wenigstens hatte er die Flügel weggelassen, das wäre auch zuviel des Guten gewesen. Aljan war durch und durch schön, vor allem mit dem besorgten Ausdruck, der auf seinem Gesicht lag.

"Ja, alles in Ordnung", stammelte ich. "Also zumindest nicht schlimmer als vorher." Er schaute mich fragend an.

"Naja, alles beim Alten. Keine neuen Erkenntnisse oder Antworten. Beziehungsweise-" Ich stockte, denn die Informationen, die Tenebris mir gegeben hatte, kamen mir in den Sinn. Ich errötete. "Ach vergiss es einfach. Und bei dir? Hast du etwas gefunden?"

Er schüttelte den Kopf. "Ich habe das Pergament gefunden." Er wedelte mit einer vergilbten Rolle in seiner Hand. "Aber das bringt mich auch nicht wirklich weiter. Angenommen, es gäbe kein Jenseits, was würde passieren?"

"Dann gäbe es auch keinen Himmel?", werfe ich zögerlich in den Raum. Wenn Tenebris recht haben sollte, müssen beide Extreme existieren. Aljan zieht die Augenbrauen zusammen und streicht sich über den Nasenrücken.

"Das ist interessant. Kein Auferstehen. Ergibt Sinn. Kein Himmel, keine Hölle. Nur das irdische Leben."

"Gut und schön, aber inwiefern bringt uns das jetzt weiter?"

Aljans Hände bedecken für einen Moment seine Augen. "Gar nicht", murmelt er. "Zumindest wüsste ich nicht wie."

Ich seufze frustriert. "Und was machen wir jetzt?"

"Ich weiß es nicht." Aljan kratzt sich nachdenklich am Nasenrücken. Dann lässt er die Hand sinken und schaut mich an. "Ich könnte dich noch ein wenig herumführen, wenn du nach dem Debakel im Totenreich der Ägypter noch Lust dazu hast?"

"Griechenland", platzt es aus mir heraus.

Er grinst und versteht sofort, was ich meine. "Gerne. Komm mit." Er bedeutet mir, ihm zu folgen. Etwas irritiert laufe ich die Regalreihe hinab, die uns eigentlich tiefer in die Bibliothek führen müsste, wenn es nach meinem Verstand und meiner eigentlich gut ausgeprägten Orientierung ginge. Trotzdem vertraue ich Aljan und tatsächlich stehen wir einige Regalreihen später wieder vor dem Durchgang zum Flur.

Tenebris ist nirgends mehr zu sehen, aber als ich hinter meinem Begleiter auf den Gang trete, sind wir nicht mehr alleine.

Ich zucke zusammen und wende mich automatisch in Aljans Richtung. Erit lehnt lässig an der Wand begutachtet seine Fingernägel. Als er uns sieht, lässt er seine Hände sinken und tritt einen Schritt auf uns zu.

"Sieh an", höhnt er. "Da sind ja unsere beiden Turteltäubchen."

"Was willst du?", unterbricht ihn Aljan und stemmt die Hände in die Hüften.

"Ganz einfach, ich will, dass sie tut, wozu sie da ist und das hier in Ordnung bringt." Er macht eine vage Geste in Richtung einer der Türen. Sie ist spiegelblank poliert und schimmert golden. Fragend suche ich Aljans Blick, aber anstatt mir zu antworten, fixiert er noch immer die Tür, von der ich sicher bin, dass sie noch nicht dort war, als ich die Bibliothek betreten habe.

"Ist es schlimmer geworden?", fragt er stattdessen.

Erit schnaubt. "Schlimmer?", schreit er beinahe. "Mein Palast ist nicht mehr bewohnbar! Ich wäre beinahe selbst verschluckt worden."

"Das ist in der Tat tragisch", merke ich an und dränge mich sofort noch näher an Aljan. Bei ihm fühle ich mich sicher.

Erit starrt mich mit wutverzerrter Miene an. "Tu doch endlich was dagegen! Aber das kannst du wahrscheinlich gar nicht, weil du ein nutzloses Stück-"

"Erit!", schreit Aljan und ich zucke zusammen. "Ich warne dich!" So wütend habe ich ihn noch nie gesehen.

"Hah!" Erit macht einen Schritt auf seinen Bruder zu und erhebt seine Hand. "Als ob du mich warnen könntest. Sie ist dir also wichtig. Keine Angst, Vater hat schon dafür gesorgt, dass unserem kleinen Gast nichts passiert. Ich würde es doch nie wagen, gegen seinen Willen zu handeln." Erits Hand liegt inzwischen auf Aljans Brust und damit auch in meiner Reichweite. Aber Aljan bleibt ruhig. "Wir versuchen gerade herauszufinden, wie man es aufhalten kann. Wenn du jetzt die Güte hättest uns nicht länger aufzuhalten und aus dem Weg zu gehen."

"Ach klar, ihr turtelt irgendwo herum und nennt es herausfinden, wie man es aufhalten kann." Seine Augen taxieren mich abschätzig, ehe sie wieder auf seinem Bruder zu ruhen kommen. "Da hab ich eine bessere Idee. Statt dich mit ihr einzulassen, sollten wir sie opfern. Heißt es nicht immer so in den Sagen, die Vater so abgöttisch liebt, dass die Götter ein Opfer haben wollen? Vielleicht ist das die Lösung. Zu etwas anderem war sie bisher nicht im Stande. Mädchen wie die findest du oben in Hülle und Fülle."

"Erit!", zischt Aljan und schiebt seinen Bruder von sich. Ich fürchte, dass er ausholen will, um auf seinen Bruder loszugehen und packe seinen Arm, da donnert eine Stimme hinter uns los und die beiden machen jeweils einen Schritt zurück. Tiefrote Rauchschwaden wickeln sich im selben Augenblick um die beiden Streithähne.

"Auseinander", donnert Tenebris. "Vielleicht sollte ich lieber dich den Göttern vorwerfen", grollt er und klopft seinem Erstgeborenen mit dem Zeigefingernagel auf die Brust. "Statt dich auf der Erde herumzutreiben und dich mit Erdenmädchen zu vergnügen, hättest du mal lieber ein wenig Zeit und Mühe in deine Bildung investiert." Erit nickt betreten.

Dann wendet sich der Fürst der Finsternis seinem jüngsten Sohn zu und seufzt. "Jetzt liegt es an dir und ich mag gar nicht daran denken." Mit einem Schlag weicht die blutrote Farbe aus den Nebelschwaden und sie verblassen zu einem letzten Hauch des pulsierenden Rot. "Ich weiß, dass du unfähig bist, sie hier zu halten, also streng dich mehr an." Auch Aljan nickt folgsam.

"Was hab ich nur falsch gemacht mit dir?", murmelt Tenebris schon halb abgewandt.

"Gar nichts, Vater", murmelt Aljan, "Ich", er räuspert sich, "Wir werden das schon schaffen." Aber von seinem Vater kommt lediglich ein abfälliges Schnauben, ehe er weiterhinkt, ohne sich noch einmal umzublicken.

"Vertrau mir", flüstert Aljan, aber nur ich kann seine Worte hören.

Brennende Feuer - Dunkle SchattenWhere stories live. Discover now