18)Gottes Werk - Teufels Beitrag

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Als ich aufwache und mich aufsetze, legt Aljan eine zerfledderte Taschenbuchausgabe zur Seite. 'Gottes Werk und Teufels Beitrag' lese ich auf der Einbandseite. "Und, ist es gut? Sag mal, hast du etwas die gesamte Nacht hindurch gelesen?"

Er nickt. "Es ist interessant. Und ich hatte etwas zu tun."

"Du hast gar nicht geschlafen?", erkundige ich mich, ein Gähnen unterdrückend.

"Nicht nötig. Ich schlafe nicht."

"Oh!", entfährt es mir. "Wie praktisch. Du musst ganz schön viel Zeit haben."

"Eigentlich musst du auch nicht schlafen. Du bist nicht körperlich hier, aber es ist etwas, woran du gewöhnt bist. Du wirst sehen, wenn du erst eine Weile hier bist, brauchst du auch keinen Schlaf mehr."

Mein Mund steht offen, aber ich bringe keinen Ton heraus.

"Du bleibst doch, oder?", fügt Aljan an. Er klingt unsicher.

"Ich bleibe. Also vorerst. Schließlich habe ich kaum eine andere Wahl."

Erleichtert atmet Aljan aus. "Ich bin wirklich froh, dass du bleibst. Wenn du willst, bleibe ich solange bei dir, wie du brauchst, um uns von dieser Plage zu erlösen."

"Ich habe keinen blassen Schimmer, was ich tun soll und wie ich das anstellen soll."

"Ich weiß." Er seufzt. "Wir sind genauso ratlos. Aber wir werden schon einen Weg finden. Ich helfe dir dabei."

"Na gut." Schon alleine, weil ich ihn als Wachhund in meiner Nähe haben möchte, gehe ich auf sein Angebot an. "Irgendein Vorschlag, wo wir anfangen?"

"Ich habe ein paar Überlegungen angestellt. Wir beginnen am besten dort, wo es angefangen hat. Ich habe da ein paar Ideen, die ich gerne ausprobieren würde."

"Gut", erkläre ich mich in Ermangelung einer anderen Alternative einverstanden. "Das klingt nach einem Plan." Ich stehe auf und wühle im Kleiderschrank nach einem passenden Outfit. "Bin nur kurz im Bad, dann können wir los." Er nickt. "Lass dir Zeit."

Auf dem Wannenrand fällt mir das weiße Stofftuch ins Auge, das mir Aljan gestern Abend zum Trocknen meiner Tränen gegeben hat. Ich schüttle das rechteckige Stück Stoff aus und da fällt mir die Stickerei ins Auge. A L steht in feinen Linien aus rotem Garn in einer Ecke. Initialen? A könnte für Aljan stehen. Aber mit dem L kann ich nichts anfangen. Egal, ich kann ihn ja danach fragen. Ich falte das Tuch sorgfältig zusammen, kämme mir rasch durch die Haare und schlupfe in Jeans und Shirt. Vor den Tuben und Tiegeln zögere ich kurz. Dann entscheide ich mich für die Erstbeste und klatsche mir ein wenig Creme, Rouge und Wimperntusche ins Gesicht.

Gerade als ich wieder in mein Schlafzimmer trete, klopft es an der Tür. Ich zucke zusammen und Aljan erhebt sich. "Wer ist da?", ruft er.

"Meine Wenigkeit", ertönt Tenebris' machtgewohnte Stimme von der anderen Seite. Mit wenigen Schritten ist Aljan an der Tür.

"Vater", sagt er. "Was führt dich hierher?"

Tenebris hebt überrascht eine buschige, weiße Augenbraue. "Gut, hier steckst du also und kümmerst dich um unseren Gast, wie ich hoffe. Ich wollte mich nur nach ihrem Befinden erkundigen." Seine rotunterlaufenen Augen fixieren mich. Ich verschränke die Hände und weiche seinem Blick aus.

"Alles bestens", murmele ich.

"Ich habe von dem Ärgernis des gestrigen Abends erfahren", erklärt er. "Das wird nicht wieder vorkommen."

"Gut", fällt ihm sein Sohn ins Wort. "Das hoffe ich. Dalerana wäre nach ihrer Begegnung mit Erit am liebsten wieder gegangen."

"Aber ausgerechnet du hast sie zum Bleiben bewegt?" In Tenebris' Stimme schwingt Unglaube mit.

Aljan verschränkt ebenfalls die Hände vor der Brust. "Vater, vielleicht ist es am besten, wenn du jetzt gehst. Wir haben ein paar Dinge vor und ich glaube, Dalerana möchte heute einfach in Ruhe gelassen werden."

"Gibst du jetzt ihren Babysitter?", fragt er leise, aber nicht so leise, dass ich es nicht hören könnte.

Mit einem Ruck löse ich mich von der Wand und trete neben Aljan. "Ich brauche keinen Babysitter", entgegne ich, bevor auch nur einer der beiden etwas sagen kann.

"Kein Babysitter also. Ein Spielgefährte?" Tenebris hebt erneut eine Augenbraue. Sein Blick fällt auf das noch ungemachte Bett und das Buch auf dem Nachtschränkchen. "Du hast die Nacht bei ihr verbracht?" Scharf mustert er seinen Sohn. Aljan erwidert seinen Blick und ich bin stolz auf ihn, dass er standhält.

"Ist ja alles schön und gut, kann ich Aljans Mädchen jetzt auch endlich mal kennenlernen?", beschwert sich eine weitere Person, die hinter Tenebris auf dem Flur gewartet haben muss und jetzt vortritt. Seine weißblonden Haare haben nur etwas mehr Strahlkraft als Tenebris' schlohweiße Mähne. Er hat scharf geschnittene Gesichtszüge und eisblaue Augen.

"Sieh an", bemerkt Aljan. "Kaum kommt Erit nach Hause, trottet Anden hinterher. Hätte ich mir ja denken können."

Der heimgekehrte Höllenprinz ignoriert den Spott seines Bruders. Seine kalten Augen sind damit beschäftigt, mich zu begutachten.

"Und?", frage ich gereizt. "Gefällt dir, was du siehst?"

Er streckt mir seine Hand entgegen, vorbei an Aljan, der immer noch in der Tür steht. "Ich bin Anden. Schön, dich kennenzulernen."

Ein wenig überrascht ergreife ich seine Hand. "Dalerana", erwidere ich. "Na wenigstens hast du bessere Manieren als dein Bruder." Er schaut Aljan an, mit derselben hochgezogenen Augenbraue wie Tenebris zuvor. "Nicht der hier", werfe ich hastig ein. "Der andere, der gestern hier war."

"Achso, natürlich, entschuldige Erits Verhalten. Er ist und bleibt unser verwöhnter und verzogener großer Bruder. Nicht wahr, Aljan?" Er klopft seinem Bruder auf die Schulter, was dieser mit einem Ausweichmanöver quittiert. "Lass die Spielchen, Anden. Was willst du hier?" Aljans Stimme klingt schneidend.

"Unseren Gast kennenlernen und mich vorstellen, so wie sich das gehört."

"Ich glaube dir kein Wort", knurrt Aljan.

Tenebris räuspert sich. "Genug jetzt, Söhne!" Er wendet sich an Aljan und mich. "Ihr sagtet, ihr hättet etwas vor?"

Aljan nickt. "Ich habe nachgedacht und ein paar Ideen, was Dalerana versuchen könnte, um den Verfall aufzuhalten."

"Sehr gut", lobt Tenebris. "Dann geht und rettet mein Höllenreich."

"Ich schlage vor, du wirfst sie direkt in das größte Loch, das du finden kannst. Sicherlich will jemand ein Opfer haben und die Sache ist beendet." Drei Köpfe fahren herum. Auf dem Gang wirbeln einzelne rote Nebelschwaden durch die überwiegend weißgrauen Lichtfetzen.

"Erit!", rufen Tenebris und Aljan beinahe gleichzeitig, während ich zusammenzucke und mich hinter Aljan schiebe.

"Wage es ja nicht, dich ihr noch einmal zu nähern", droht Aljan seinem Bruder.

Erit stemmt die Hände in die Hüften. "Was dann? Willst du dich sonst wieder mit mir prügeln?"

"Schluss ihr beiden", donnert Tenebris. "Ich dulde dieses Verhalten nicht! Erit, dir habe ich gesagt, dass du sie in Ruhe lassen wirst. Und du Aljan, nimm sie und finde heraus, wie sich das Ganze beenden lässt. Es ist mir einerlei, wie sie das anstellt. Hauptsache es hört endlich auf." Seine Stimme klingt jetzt nur noch müde und erschöpft. Er lehnt mit einer Hand an der Wand. Aljan nickt, greift meine Hand und zieht mich mit sich, vorbei an Anden, Tenebris und Erit, der uns wütend hinterherschaut.

"Und macht schnell! Heute Morgen war ein riesengroßer Riss mitten im Eingangsbereich meines Palastes. Wenn sie diese Zerstörung beenden kann, wer sagt, dass sie sie nicht auch hervorrufen kann? Bestimmt hat sie das mit Absicht gemacht!", ruft uns Erit aufgebracht hinterher.

"Wie es scheint, habe ich meinen ersten Feind in der Hölle", murmele ich, sodass Erit meine Worte nicht hören kann.

"Ignorier ihn einfach", lautet Aljans Ratschlag.

Brennende Feuer - Dunkle SchattenWhere stories live. Discover now