23) Das Gefilde der Binsen

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Meine Augen haben sich allmählich an das gleißende Licht gewöhnt. Das regelmäßige Eintauchen der Ruder ins Wasser beruhigt meinen Herzschlag. Ich muss nichts weiter tun, als da zusitzen und Aljans Rücken zu beobachten. Ab und zu schweift mein Blick über die funkelnde Wasseroberfläche, dann über das Spiel seiner Muskeln.

Dann entdecke ich etwas im Wasser. Ich greife nach Aljan. "Da", meine Finger zeigen aufgeregt zu der Stelle. "Da kommt was auf uns zu." Ich kreische, als ich das lange Etwas erkenne und sofort ist meine Gänsehaut zurück. "Aljan, mach es weg!"

Er folgt meinem ausgestreckten Finger zu der angedeuteten Stelle, aber ich merke ihm keinerlei Aufregung an.

"Aljan bitte", wimmere ich. Die Schlange ist riesengroß und sie windet sich an der Wasseroberfläche auf uns zu. "Ich will hier weg. Ich hasse Schlangen."

Aljan stößt das Ruder ins Wasser, peitscht es auf, aber das Tier lässt sich nicht davon beeindrucken.

"Hinfort!", schimpft er. "Geh schon! Mach das du weg kommst!" Ein paar weitere Schläge ins Wasser folgen, doch ohne Ergebnis.

Ich kann bereits die schlitzförmigen Augen erkennen, das Muster auf der schuppigen Haut. Jetzt berührt Aljan die Schlange mit dem Ende seines Ruders, drängt sie ab. Aber sie schlängelt sich unbeeindruckt weiter. Mein Herz ist kurz vor dem Zerspringen. Gleich hat sie das Boot berührt. Ich würde mich am liebsten in die Luft erheben. Mein Herz erstarrt vor Schreck und ich kreische. Wenn ich die Hand ausstrecken würde, ich könnte sie anfassen. Gleich schnappt sie nach mir. Ich bin einer Ohnmacht nahe. Mit weit aufgerissenen Augen, völlig versteinert starre ich der riesigen Schlange entgegen, die sich unbeeindruckt von meiner Angst und Aljans Versuchen, sie mit dem Ruderblatt abzuwehren, unter dem Boot ins Wasser senkt. Ihr Kopf verschwindet. Ich sehe den armdicken Körper vorüberschlängeln, wie er sich beinahe elegant im Wasser bewegt. Die Ohnmacht bleibt mir verwehrt, erstarrt, aber bei Bewusstsein beobachte ich das Schauspiel. Meine Haut kribbelt an jeder Stelle. Der Schlangenkopf taucht auf der anderen Seite hervor. Aljan hat die Versuche inzwischen eingestellt. Unbeeindruckt schwimmt das Tier an uns vorüber. Wird wieder kleiner und entfernt sich in Richtung der Binsen am Ufer. Ich atme erleichtert aus, aber ich zittere am ganzen Körper.

"Ist alles in Ordnung bei dir?" Aljans Stimme klingt sanft. Er hat sich zu mir umgedreht.

Ich nicke. "Bring mich nie wieder in eine Welt, in der es Schlangen gibt."

"Tut mir leid", erwidert er und taucht die Ruderblätter wieder ein. Nach dem Vorfall setzen wir unsere Fahrt fort.

Ich versuche mein klopfendes Herz zu beruhigen und Aljan rudert schweigend und mit Blick stur nach vorne gerichtet.

Ohne weiteren Zwischenfall erreichen wir schließlich das andere Ufer. Das Gewölbe über uns ist einem strahlend blauen Himmel gewichen. In der Ferne erstrecken sich vorgelagerte Sandbänke und kleinere Inseln im Wasser, auf denen sogar etwas wächst, das aussieht wie Getreide.

Vor uns steigt das Gelände sanft an. Gärten und Baumplantagen säumen den breiten Uferstreifen. Alles ist himmlisch grün, auch die Hügel sind bewachsen.

"Das sieht hübsch aus", bemerke ich.

Aljan folgt meinem Blick. "Nicht wahr. Aber lass dich nicht täuschen. Hier kreucht und fleucht alles mögliche."

Sofort überkommt mich wieder das Kribbeln und ein Widerwille, dieses Land zu betreten.

"Da sind die Schlangen noch die harmlosesten Tiere. Pass auf, dass wir keinen Nilpferden begegnen."

Mein Blick schweift über die üppige Uferlandschaft. "Keine zu sehen. Die würde man doch sehen, oder?"

Er schüttelt den Kopf. "Nicht unbedingt und entgegen ihrem Anschein, sind die gar nicht so langsam."

"Wie weit müssen wir hier gehen bis zum Ausgang?"

Die Barke hat inzwischen fast den Uferstreifen erreicht, am Grund kann ich bereits die ersten Steine und den schlickigen Untergrund erkennen.

"Nicht weit." Aljan zeigt auf eine Stelle vor uns. "Dort drüben bei den Hütten."

Ich hebe meine Hand vor die Augen, um sie vor der Sonne zu beschützen. Hütten kann ich aber keine sehen, dafür etwas anderes.

"Krokodile! Aljan, da vorne sind Krokodile!"

Mehrere der Tiere liegen träge auf einer Sandbank, andere liegen im Wasser, gerade so, dass ihr schuppiges Maul herausschaut. Mein Puls steigt erneut an. Aljan hingegen rudert die Barke ruhig weiter und springt kurz darauf aus dem Wasser.

Ich beobachte die Tiere, aber keines reagiert auf die menschliche Beute.

"Nilkrokodile", erklärt er und zieht unser kleines Boot in Richtung Ufer. Zum Glück gibt es auf dem Abschnitt vor uns weder Reptilien noch Binsen, in denen sie sich verstecken könnten. Der Blick ist frei und nur aus diesem Grund nehme ich die dargebotene Hand und betrete das Land.

"Sechet-iaru, Willkommen im Gefilde der Binsen."

"Vielen Dank!" Ich lasse die Hand los. "Aber bitte, bring mich einfach nur weg von hier. Mir reicht's."

Aljan lacht. "Dein Wunsch ist mir Befehl. Du bist wohl kein besonderer Freund von Tieren?"

Ich schüttele mich. "Wir können über Katzen reden oder über Hunde. Aber bitte keine Schlangen oder andere Reptilien. Nilpferde muss ich auch nicht unbedingt in freier Wildbahn erleben."

Aljan nickt. "Kann ich verstehen."

Gemeinsam folgen wir einem Trampelpfad, der entlang eines Bewässerungskanals in Richtung der Hügel führt. Irgendwo zwischen den Dattelpalmen auf der linken Seite kann ich tatsächlich ein paar Lehmhütten mit flachem Dach erkennen. Darauf steuert Aljan zu.

Ich bin so sehr damit beschäftigt, Aljan dicht auf den Fersen zu folgen und die Umgebung nach bösen Überraschungen abzusuchen, dass ich erst im letzten Moment bemerke, wie mein Vordermann stehenbleibt.

"Du schon wieder!", stößt er zwischen den Zähnen hervor.

Ich bleibe wie angewurzelt stehen und schaue um ihn herum, was ihn so aufgebracht hat. Direkt vor dem Eingang der Hütte steht unser alter Bekannter: der Chatiu-Dämon. Wie ein Wächter positioniert, der Blick aus seinen roten Krokodilsaugen auf uns gerichtet und den Löwenkörper auf den Boden vor dem Durchlass platziert. Wenn wir hinein wollen, müssen wir über ihn hinweg.

"Aber du kennst doch seinen Namen", wispere ich. Ich merke, wie angespannt Aljans Schultern sind. "Schon, aber er sollte überhaupt nicht hier sein." Auch die Irritation in seiner Stimme entgeht mir nicht.

Es ist also gar nicht mehr nötig, dass er den Arm ausstreckt und mich hinter sich schiebt. In diesem Augenblick öffnet der Dämon sein mit spitzen Zähnen besetztes Maul und stößt einen Laut aus, der mir durch Mark und Bein geht.

Brennende Feuer - Dunkle SchattenWhere stories live. Discover now