51) Worte sind Waffen

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Es ist ein Wunder, dass ich nicht hinfalle. Vermutlich nur den engen Fesseln geschuldet, die sich um meine Hände winden und dem Seil, das Anden stramm in seinen hält. Ich stolpere mehr als einmal über Wurzeln, bleibe in Dornengestrüpp hängen, reiße mir die Schienbeine auf, spucke Laub und Staub aus meinem Mund.

Ich habe längst die Orientierung verloren. Ein Baum gleicht dem anderen. Eichen, Buchen, dazwischen vereinzelt ein Nadelbaum, Farne, Nesseln und ein Pfad, der mehr überwuchert als zugänglich ist - aber unverkennbar ein Pfad. Ob von Mensch oder Tier gemacht, vermag ich nicht zu beurteilen.

Mehr als ein Paar Augen funkelt uns aus dem Unterholz entgegen. Tiere? Dämonen? Ich kann es nicht genau erkennen.

"Wohin gehen wir?"

Als Antwort zieht Anden nur ruckartig an dem Seil. Wie ein unartiger Hund an der Leine, bin ich gezwungen einen Schritt vorwärts zu machen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Dabei straffen sich meine Fußfesseln und verhindern, dass ich den nächsten Schritt machen kann. Schneller als ich reagieren kann, kommt mir der Untergrund entgegen. Doch bevor ich hart aufschlage, zerrt Anden erneut an meinen Fesseln und zieht mich in die Höhe. Die Schnüre beißen sich schmerzhaft in die Haut meiner Handgelenke. Ich zische laut auf. Anden quittiert den Laut mit einem Lachen und zieht mich weiter. Ich stolpere hinterher, so schnell ich kann. Immer weiter zwischen den Bäumen und Wurzeln hindurch. Das Laub über uns ist so dicht, dass kein Fleckchen Himmel zu erkennen ist. In den Ästen zwitschern Vögel. Die Umgebung wirkt beinahe friedlich. Unter normalen Umständen würde ich es vielleicht sogar genießen, hier zu sein. Wenigstens ein wenig. Wälder erscheinen mir immer auch etwas Bedrohlich mit all den Tieren, die tief im Verborgenen leben. Schlangen. Insekten, Spinnen und Ameisen. Holzwürmer, Maden, Schnecken, Holzböcke. Aber es sind nicht nur die kleinen Viecher, die mir Angst machen. Dieser Wald wirkt so urtümlich, dass es mich nicht wundern würde, wenn es hier von Hirschen mit prächtigen Geweihen, Bären mit wuchtigen Tatzen und Wölfen mit spitzen Zähnen nur so wimmeln würde.

Während Anden mich weiterzerrt, meine Handgelenke brennen und die Fesseln in meine Fußgelenke schneiden, suche ich die undurchdringliche Wand ab, die mich von allen Seiten umgibt. Ich fühle den Blick vieler Augenpaare auf mich gerichtet, aber keines der Wesen zeigt sich gänzlich. Würde Anden mich beschützen, wenn sich ein Bär auf uns stürzen würde? Oder gehorchen die Tiere des Waldes ihm?

Aber keine wilde Bestie erscheint, um meine Theorie zu bestätigen und ich weiß nicht, ob ich darüber erleichtert sein soll oder nicht.

Dann wird der Trampelpfad irgendwann breiter. Meine Füße finden schlammige Erde und Gras. Es gibt weder Zweige, die ins Gesicht peitschen, noch Wurzeln und Ranken, die sich um meine Beine winden.

Endlich habe ich Raum, um zu überlegen. Denk nach, sporne ich mich an und mir fällt es wie Schuppen von den Augen. Es ist einfach. Ich tue, was ich am Leichenstrand getan habe. Ich löse mich in Luft auf, aber - es funktioniert nicht. Frustriert starre ich auf meine gefesselten Hände, die sich nicht verflüchtigen wollen. Ich schließe die Augen und stelle mir vor, wie ein Vogel zu schweben. Nichts passiert.

Anden stößt einen grässlichen Laut aus. Wohl der Versuch eines verunglückten Lachens. Es klingt, als würde er ersticken. Wäre mir recht. Ich hätte keine Einwände. Aber auch dieser Wunsch wird nicht Wirklichkeit.

"Vergiss es", zischt er jetzt, ohne sich zu mir umzudrehen. "Du glaubst wohl, ich bin komplett bescheuert."

"Da bin ich mir bereits ziemlich sicher", stoße ich zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. Ich bereue meine vorlauten Worte eine Sekunde später, als mich Anden brutal zu sich heranzieht.

Er packt meinen Oberarm mit einer Hand. So fest, dass ich weiß, dass ich blaue Flecken bekommen werde, aber das ist augenblicklich nicht meine größte Sorge.

Brennende Feuer - Dunkle SchattenWhere stories live. Discover now