42) Die weißen Räume

513 52 13
                                    


Die weiße Tür öffnet sich ebenso lautlos wie die erste. Beinahe sachte. Ich muss die Augen zusammenkneifen. Die weißen, fensterlosen Wände blenden mich. Für einen Augenblick kann ich nicht sagen, wie groß der Raum überhaupt ist. Er wirkt endlos, aber dann erkenne ich seine Ausmaße. Ein paar Meter tief, und ein paar Meter breit. Aber kein Möbelstück, kein Bild, keine Tapete. Nichts. Ich mache einen Schritt von der Tür weg. Vorsichtig setze ich den Fuß auf den weißen Untergrund. Da sind keine Fliesen, kein Putz, nichts, was ich mit Worten beziffern könnte. Einfach nur unbefleckte Weißheit, so weit das Auge schaut. Ich glaube, endlos in den Raum hineinlaufen zu können, ohne auf eine Wand zu stoßen und ich muss herausfinden, ob dieses Gefühl stimmt. Außerdem will ich wissen, woraus die Wände bestehen. Nichts kann wirklich endlos sein? Nicht diese Weiße, nicht die dunklen Abgründe. Irgendwo endet alles. Selbst das Universum.

Nicht nur der Raum verschluckt mich, sondern auch die Stille. Himmlische Stille. Nur die offen stehende Tür ist mein Rettungsanker. Ich schaue zurück, ob sie noch da ist. Draußen kann ich die vergoldete Brüstung sehen. Es gibt also noch die Welt da draußen, wie ich sie kenne. Die Regeln der Logik haben nicht plötzlich ihre Wirkung verloren. Aber etwas lässt mich stutzen. Die Tür ist viel weiter entfernt, als sie eigentlich sein sollte. Der Raum, der nur ein paar Meter weit wirkte, hat sich geweitet. Er gleicht jetzt in etwa den räumlichen Ausmaßen von Sophias Bibliothek. Viel weiter, als breit. Aber noch immer sind die Wände unerreichbar. Ich kann sie vor mir sehen, aber nicht berühren. Das interessiert mich jetzt. Ich muss herausfinden, was es damit auf sich hat. Ein Blick über die Schulter, die Tür ist noch da. Die goldene Brüstung wird kleiner, aber da ist sie noch. Dann im nächsten Augenblick ist sie verschwunden. Weg. Ich zucke zusammen. Nein, da ist sie wieder, aber jemand steht im Raum. Groß, breitschultrig, blondes Haar, ebenmäßiges Gesicht. Noch jemand schiebt sich hinter dem blonden Hünen in den Raum. Ich erkenne ihn. Anden, Aljans zweitältester Bruder. Dann muss der andere auch einer seiner Brüder sein. Sie sind zurück. Ich drehe mich um und laufe auf sie zu. Da tritt auch Aljan durch die Tür. Erleichtert atme ich auf. Mir ist es gleichgültig, dass ich meine Ausrede nun nicht vorspielen kann. Nein, ich freue mich regelrecht, sein Gesicht mit den pechschwarzen Haaren zu sehen. Er ist etwas kleiner, als der Bruder vor ihm, aber nur wenig, und seine dunklen Haare sind ein scharfer Kontrast zu dem Blondschopf. Fast erinnert mich Aljans Haarfarbe an den ersten Raum, aber ich erinnere mich auch wieder daran, was ich gedacht habe, als ich ihn das erste Mal auf der Party sah. Damals. Wie lange ist das inzwischen her? Mehrere Menschenjahre? Wohl kaum. Aber auch jetzt drängt sich mir derselbe Gedanke auf. Er ist zu schön, um von dieser Welt zu sein. Ein Lachen entkommt meinen Lippen. Meine Gedanken tun Wahrheit kund, auch unwissentlich. Wie richtig ich doch lag.

"Ihr seid zurück", sage ich und nicke in Richtung des mir unbekannten Bruders. "Ich habe mich ein wenig umgesehen", ergänze ich entschuldigend.

Aber sie beachten mich nicht. Anden und der andere bestaunen die Wände, als hätten sie diese noch nie gesehen. Nur Aljans blaue Augen bohren sich tief in meine.

"Kluge Idee." Er nickt anerkennend. "Wie bist du durch die Tür gekommen?"

"Sie war offen", erkläre ich und Aljans Augen weiten sich. "Ich hoffe, dass ist okay, dass ich mich hier etwas umgesehen habe. Das Krankenbett hüten, war langweilig. Es gab nichts zu tun und ich dachte-"

Weiter komme ich nicht, ehe ich von Anden unterbrochen werde. "Er schützt sich nicht", wirft er dazwischen. "Das ist kein normaler Schlaf. Er träumt nicht."

"Dir entgeht nichts", bemerkt der andere Bruder. Auch wenn ich nichts verstehe, entgeht mir die Ironie in seinem Tonfall nicht.

"Kolmas!", zischt Aljan scharf. "Jetzt nicht. Die Lage ist ernst. Wenn Vater nicht träumt, was ist es dann? Und viel wichtiger, wie können wir ihm helfen?"

Brennende Feuer - Dunkle SchattenWhere stories live. Discover now