Kapitel 7

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Das Klirren vom Besteck war einige Minuten lang das einzige Geräusch, das im Haus der Familie Young zu hören war. Amber saß mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester Leslie am Esstisch. Sie stocherte im Essen vor sich rum, die Stille war kaum auszuhalten.

„Leslie darf am Freitag früher aus der Schule", sagte plötzlich ihre Mutter, ihr Blick zum Vater gewandt.

Leslie grinste übers ganze Gesicht. „Ich muss nur zu den ersten zwei Stunden!"

Ein Lächeln, dass nur Leslie galt, war auf Ambers Gesicht. Sie wünschte sie hätte auch die Freude am Turnen wie sie Leslie hatte. Ihre Augen leuchteten jedes Mal, wenn sie vom Training oder von Wettkämpfen erzählte.

Dieses Leuchten war wieder in Leslies Augen, da am Freitag ein großer Wettkampf anstand. Es war der erste der Saison. Für Amber war es das erste Jahr, an dem sie nicht daran teilnahm.

„Hol den Sieg nach Hause!" Mit stolzer Brust lächelte ihr Vater Leslie zu.

In Amber machte sich das Gefühl von Enttäuschung breit. Sie vermisste die stolzen Blicke ihrer Eltern, das Lächeln, wenn sie etwas erreicht hatte und die Unterstützung, die sie wahrscheinlich nie mehr haben würde.

Sie sah ihre jüngere Schwester an, sie hüpfte fast vor Aufregung auf ihrem Stuhl. „Du schaffst das schon Lizzy", machte Amber ihr Mut.

Ihre Mutter räusperte sich. „Amber, deine Anmeldung könnten wir auch noch abgeben. Ist zwar spät, aber wir können sagen, dass du verletzt warst und wir nicht sicher waren, ob du bis..."

„Mom", sagte Amber und ließ ihre Gabel auf den Teller fallen. Das Geräusch interessierte niemanden, zu sehr war die Anspannung im Raum zu spüren.

Sie wollte nicht am Turnier teilnehmen. Nicht an diesem und auch an keinem anderen mehr. Amber dachte das wäre wirklich nicht schwer zu verstehen. Als sie die Gesichter ihrer Eltern sah merkte sie, dass sie wohl falsch lag.

„Deine Mutter will nur das Beste für dich", murmelte ihr Vater während er mit dem Kopf schüttelte. Wollte sie das wirklich? Amber war kurz davor genau diese Frage zu stellen, wusste allerdings, dass sie sich dadurch nur noch unbeliebter am Esstisch machen würde.

Sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen und atmete tief durch. „Ich will doch einfach nur nicht mehr turnen."

„Robert, ist schon gut. Sie wird es später bereuen nicht weitergemacht zu haben", versicherte Ambers Mutter dem Vater.

Fast konnte sich Amber nicht mehr kontrollieren. Sie wusste genau, dass sie ihre Entscheidung nicht bereuen würde. Zu lang hatte sie mit sich gerungen die Entscheidung überhaupt zu treffen, sicher war sie sich allerdings die ganze Zeit. Außerdem hasste sie es, wenn ihre Mutter so tat, als würde Amber nicht direkt neben ihr sitzen. Sie lehnte sich nach hinten und verschränkte ihre Arme, als sie versuchte sich zu beruhigen.

Ihr Vater holte einmal tief Luft. „Nächstes Jahr steht sowieso das College an erster Stelle", sagte er und sah Amber mit strengem Blick an.

„Ich warte auf eine Rückmeldung von Vanderbilt", erklärte Amber und schob sich eine volle Gabel in den Mund.

Die Erwähnung der Uni ihres Vaters zauberte plötzlich ein stolzes Lächeln in sein Gesicht. „Natürlich wirst du angenommen", versicherte er ihr.

Ob Vanderbilt sie annehmen wird, war nicht eines Ambers Bedenken. Dafür hatte ihr Vater zu viele seiner Kontakte spielen lassen. Es war ihre Wahl des Studienfachs, was ihr Sorgen bereitete. Ihr Vater ging davon aus, dass sie – genau wie er damals auch – Wirtschaftswissenschaften studieren würde um dann in seine Fußstampfen des Versicherungsmanagements zu treten.

Kaum etwas hörte sich für Amber nach einem schlimmeren Albtraum an. Jedes andere Fach würde sie lieber studieren. Am liebsten Geschichte. Sie wusste ganz genau, dass sie ihre Eltern nie von ihrer Studienfachwahl überzeugen konnte, also bewarb sie sich einfach heimlich auf ihr Traumfach. Jetzt war sie also wegen der Rückmeldung von Vanderbilt nervös, aber nicht wegen der Bestätigung des Studienplatzes, sondern über die Reaktion ihrer Eltern, wenn sie merken, vorauf sich Amber wirklich beworben hatte.

Ambers Mutter stand wenige Sekunden später auf und stapelte die leeren Teller zusammen.

„Ich habe gehört, dass eine neue Familie hergezogen ist", wechselte die Mutter das Thema, während sie in die Küche lief.

Ihr Vater schnaubte. „Die Andersons. Sie konnten sich nicht mal vorstellen, alles muss man über den Tratsch der Nachbarschaft erfahren."

Amber setzte sich aufrechter hin. Huntsville hatte selten neue Einwohner. Niemand wollte in den abgelegenen Ort ziehen, der nichts zu bieten hatte. Der Zufall, dass gleich zwei Familien neu waren wäre zu groß. Sie mussten von Owen reden.

Auch Leslie hörte gespannt ihren Eltern zu. Ihre Haare, mit denen sie noch spielte, waren plötzlich nur von wenig Interesse. „Kommt jemand Neues auf meine Schule?", fragte sie. Die Vorfreude in ihrem Gesicht war kaum zu übersehen.

Leslie und Amber waren in fast allem unterschiedlich. Leslie liebte das Turnen, Amber nicht. Leslie hatte viele Freunde, Amber nicht. Leslie wollte immer neue Leute kennen lernen und war durchgehend auf der Suche nach einem neuen Erlebnis, Amber nicht.

„Nein Süße, der Sohn geht auf die Highschool", erklärte ihr die Mutter.

Leslie schaute mit großen Augen zu Amber. „Hast du ihn schon gesehen?"

Ambers Puls stieg in die Höhe, als sie sich auf die Reaktion ihrer Eltern vorbereitete. Der Ausdruck in ihren Gesichtern verriet nichts Gutes.

„Ähm, ja...", stammelte sie. „Er ist ganz nett."

Erneut schnaubte ihr Vater, ihre Mutter machte es ihm gleich.

„Ich habe nichts Gutes von dem Jungen gehört", sagte ihr Vater.

„Halt dich lieber von ihm fern", fügte ihre Mutter hinzu.

Amber sah sie mit zusammengezogenen Augenbrauen an, ließ es aber bleiben Owen zu verteidigen. Welche Chance hatte sie schon? Ihre Eltern hatten ganz klar eine Meinung zu einem Menschen, den sie nie kennengelernt – geschweige denn gesehen – hatten.

Die Szene verschwamm vor ihren Augen. Leslie konnte es sich nicht nehmen ihre Eltern über die neue Familie auszuquetschen, bekam allerdings keine Antworten. Da ihre Eltern einfach keine Antworten hatten, schließlich kannten sie die neuen Einwohner von Huntsville nicht.

Ihre Mutter lenkte die Unterhaltung wieder auf Leslie und ihre letzten Erfolge. Gelangweilt hörte sich Amber die nächsten Termine an, die für Leslie und ihre Mutter anstanden. Eine Last fiel von ihr als sie realisierte, dass sie nicht mehr zu den Plänen geröhrte.

Allerdings merkte sie auch, dass sie mittlerweile am Esstisch überflüssig war. Ihr Vater tippte auf seinem Handy rum, ihre Mutter und Schwester waren vertieft in ihre Planungen.

Amber schob ihren Stuhl zurück und ging die Treppen zu ihrem Zimmer hoch. Ihrer Familie ist ihre Abwesenheit nicht mal aufgefallen.

Ihre Gedanken wanderten zum Footballfeld und Owen. Es kam ihr vor, als wären Tage seitdem vergangen, nicht nur ein paar Stunden. Wärme machte sich in ihrem Bauch breit, als sie an Jessica, Matt und den Rest der Mannschaft dachte.

Mit ihnen hatte sie das Gefühl zu etwas dazuzugehören. Ganz im Gegenteil zu dem Gefühl, dass sie noch mit ihrer Familie beim Abendessen hatte.

Die Wärme wurde nur noch stärker, als sie plötzlich Owen mit seinen leuchtenden Augen und dem Lächeln, das nur ihr galt, vor ihrem inneren Auge sah.

Hail Mary | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt