Kapitel 14

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Das kaputte Leder klebte bereits an der Rückseite von Ambers Oberschenkeln. Die Geräusche von Gitarren und Stimmen kamen aus dem kleinen alten Radio und füllten den engen Raum des Autos. Owen hatte seine linke Hand auf dem Lenkrad liegen, als sie durch die dunkle Straße fuhren.

Keiner von den beiden hatte die Stille gebrochen, als sie Anthonys Straße verließen. Amber gab ihm immer wieder kleine Anweisungen, wenn er abbiegen musste, doch das war bis jetzt die einzige Unterhaltung, die sie führten.

„Hier wieder rechts", sagte Amber leise und zeigte mit ihrer Hand auf die Straße, auf die sie abbiegen mussten.

„Du wohnst also schon immer in Huntsville?", fragte Owen plötzlich.

Amber nickte und betrachtete die Häuser, die an ihr vorbeizogen. „Ich habe noch nie woanders gewohnt. Was ist mit dir? Musst du öfter Umziehen?" Sie blickte zu ihm, seine Augen waren konzentriert auf die Straße vor ihm gerichtet.

„Mom und ich sind früher öfter umgezogen, aber nie aus der Stadt raus", er zögerte kurz, „Huntsville kam da ganz schön überraschend", offenbarte er ihr und sah ihr kurz in die Augen, ehe die Straße wieder seine Aufmerksamkeit hatte.

„Wieso eigentlich gerade Huntsville?" Amber konnte sich nicht vorstellen, dass jemand freiwillig aus der Stadt nach Huntsville ziehen würde. Huntsville war zwar kein schlechter oder gefährlicher Ort – im Gegenteil. Ihr Heimatort war so ziemlich der langweiligste Fleck Erde in Tennessee. Das einzige, dass die Einwohner hatten, war die Footballsaison der Highschool. Denn das war wirklich das Einzige, in dem die Jugend des Ortes richtig gut war.

Owen zuckte kurz mit den Schultern. „Das Krankenhaus in der Stadt wurde verkleinert, deswegen hat auch meine Mom ihren Job verloren" Er atmete tief ein. „Das kleine Krankenhaus hier in der Nähe war das einzige, bei dem sie so schnell wieder eine Stelle bekommen hat und Huntsville liegt halt einfach am nächsten dran", sagte er. Seine Augen wurden dunkler und kleiner, offensichtliche Traurigkeit machte sich in ihm breit.

„Vermisst du deine alte Schule?", flüsterte Amber. Unsicher sah sie zwischen der Straße und Owen hin und her. Sie war sich nicht sicher, ob Owen weiterhin über sich reden wollte.

Owen räusperte sich und strich sich mit seiner freien Hand kurz übers Gesicht. „Ich vermisse es einfach Football spielen zu können", sagte er genauso leise. „Weißt du Football war einfach schon immer meine einzige Hoffnung."

„Um ans College zu kommen?", fragte Amber, woraufhin Owen nur nickte.

Die Stille übernahm wieder. Als sie auf Ambers Straße abbogen merkte sie, wie Owen immer wieder den Mund leicht öffnete, um ihn gleich wieder zu schließen.

„Gehst du nächstes Jahr aufs College?", hörte sie ihn schließlich fragen.

Sie konnte ihr Haus schon sehen, als sie nickte.

„Sehr wahrscheinlich werde ich bei Vanderbilt studieren", sagte sie und lehnte ihren Kopf an der Kopfstütze ab.

„Wow", entfuhr es Owen. „Ist echt nicht einfach da angenommen zu werden." Er sah sie kurz mit großen Augen an.

Amber konnte ihm nicht in die Augen schauen, das Auto kam ihr plötzlich viel enger vor, als es noch vor ein paar Sekunden war. Sie fand einen losen Faden an ihrem Kleid und spielte damit.

„Wenn man einen einflussreichen Vater hat geht das schon", flüsterte sie. Sie konnte es kaum erwarten endlich an ihrem Haus anzukommen und aus Owens Wagen zu springen. Am liebsten hätte sie sich versteckt. Sie wusste genau, was er jetzt denken würde. Dass sie alles machte, was ihre Eltern ihr sagten und natürlich auch alles von ihnen bekam, was sie wollte. Das konnte nicht weiter von der Realität entfernt sein.

Owens Blicke brannten auf ihrer Haut. „Willst du überhaupt dort studieren?" Seine Stimme hatte dieselbe Lautstärke wie Ambers.

Überrascht sah Amber zu Owen. In seinen Augen war nichts Negatives zu erkennen, nur Neugier und Mitgefühl. Amber stockte kurz der Atem, sie holte erst wieder richtig Luft, als Owen wieder auf die dunkle Straße vor ihnen sah.

„Ähm...", murmelte sie.

Ihr wurde in dem Moment bewusst, dass sie noch nie danach gefragt wurde, was sie wirklich in ihrer Zukunft machen wollte. Ihre Eltern gingen einfach immer davon aus, dass sie das tun würde, was sie für Amber vorgesehen hatten. Wahrscheinlich traf der Abbruch ihrer Turnkarriere genau deswegen ihre Mutter so hart.

„Ehrlich gesagt ist es mir egal, an welcher Uni ich studiere", begann sie erneut. Owen schenkte ihr einen kurzen Blick, seine Augenbrauen hatte er weit hochgezogen. „Mir ist nur das Fach wichtig", sagte sie.

„Was willst du denn Studieren?", fragte er.

Amber zeigte kurz auf ihr Haus, bevor Owen am Straßenrand das Auto zum stehen brachte und den Motor abschaltete.

„Ich will Geschichte studieren, aber ich soll mich für Wirtschaftswissenschaften einschreiben", erklärte sie und sah zu ihrem Haus. Die Autos ihrer Eltern standen vor der Garage, doch das Licht war in jedem Zimmer schon aus. Sie hoffte, dass niemand bemerkte wie spät sie nach Hause kam.

Owen räusperte sich, seine Augenbrauen waren tief auf seiner Stirn zusammengezogen. „Wer schreibt dir vor, was du studieren sollst?", fragte er kopfschüttelnd.

Amber schnaubte. „Meine Eltern schreiben mir mein ganzes Leben vor." Unruhig rutschte sie auf dem Ledersitz herum.

„Und was machst du? Wirst du wirklich Wirtschaftswissenschaften studieren?", hakte er nach.

Amber kniff die Augen zusammen. Das wäre ihr Albtraum.

„Ich habe die Bewerbung für Geschichte abgeschickt, aber meine Eltern wissen nichts davon", sagte sie und sah nach unten.

Sie spürte, wie seine rauen Fingerkuppen ihre Haut berührten und er eine Haarsträhne, die ihr ins Gesicht gefallen war, hinter ihr Ohr strich. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust, als sie langsam wieder zu ihm hochsah.

Seine Hand bewegte sich langsam ihren Arm hinab, bis sie nur ein paar Millimeter entfernt von ihrer lag. Die Stelle, an der ihre Handrücken sich fast berührten, prickelte.

„Wenn ich eine Sache vom Football gelernt habe, dann ist es, dass man nie aufgeben sollte. Ich bin mir sicher, dass du das alles meisterst", flüsterte er. Sein Mund öffnete sich erneut, doch er schloss ihn sofort wieder.

Amber konnte die Wärme, die ihr ins Gesicht trat spüren, als Owens Augen an ihren hängen blieben und immer wieder zu ihren Lippen wanderten.

Sie schluckte schwer, bevor sie ihre Hand ein wenig bewegte, damit sie sich endlich wieder berührten. Seine Hand legte sich sofort um ihre, sein Daumen fand ihren Handrücken, auf den er begann Kreise zu zeichnen.

Ein heller Fleck hinter Owen riss sie plötzlich aus ihrem Traumzustand. Sie riss ihre Augen von Owen und sah, wie in einem der Zimmer das Licht kurz an und wieder ausgeschaltet wurde. Sie hatten wohl doch noch nicht alle geschlafen.

„Ich sollte besser rein gehen", sagte Amber und nickte zu ihrem Haus.

Auch Owen schien jetzt erst aus seiner Trance erwacht zu sein, als er sich räusperte und versuchte sich wieder aufrechter im Fahrersitz hinzusetzten. „Ja, ja, klar, ist ja schon spät", stammelte er und griff wieder zum Autoschlüssel, der noch im Zündschloss steckte.

Amber vermisste die Wärme. Die Wärme die Owens Präsenz und seine Berührungen ihr gaben. Die Sommernacht fühlte sich eisig an, als sie die Autotür öffnete.

„Danke nochmal fürs Fahren", sagte sie und schaute ein letztes Mal zu Owen.

Er trug ein Lächeln auf dem Gesicht, als er sie beobachtete. „Liebend gern", flüsterte er.

Erst als sie die Hofeinfahrt langelaufen war und die Haustür entriegelte, hörte sie, wie Owen den Motor startete und die Einfahrt verließ.

Hail Mary | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt