Kapitel 6

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Owen machte es Amber nicht gerade einfach ihren schnellen Puls wieder in den Griff zu bekommen. Die Stelle, an der seine Hand lag, wurde wärmer als sie sich mit langsamen Schritten den Autos näherten.

Plötzlich blieb Owen stehen und vergrub seine Hände in seinen Jeanstaschen. Amber bemerkte, dass das wohl eine seiner Angewohnheiten war, wenn er nervös wurde. Das erste Mal ist es ihr noch vor einigen Minuten aufgefallen, als er so vor Logan stand. Jetzt stand er genauso vor ihr.

„Ich wollte...", er kratzte sich am Hals, „ich wollte mich bei dir bedanken."

Amber schob sich ihre Sonnenbrille in die Haare. „Es hat aber nicht geklappt", entgegnete sie.

„Aber du hast es versucht, obwohl du mich nicht mal kennst", sagte er und lächelte sie an.

Sie konnte nicht anders als in seine dunklen Augen zu schauen. Sie hatte ein Déjà-vu. Noch vor 24 Stunden hatte sie ihn hier auf dem Parkplatz zum ersten Mal gesehen. Trotz der Autoscheibe, die die zwei voneinander getrennt hatte, sind ihr seine braunen Augen und die Emotionen dahinter sofort aufgefallen. Und nun sahen genau diese Augen in ihre.

„Wieso willst du eigentlich unbedingt im Team spielen?", fragte sie ihn mit vorsichtiger Stimme.

Zum ersten Mal löste sich sein Blick von ihr als er zum Boden sah und seinen Kopf schüttelte.

„Colleges können einem nur einen Platz in ihrem Team anbieten, wenn man auch an der Highschool spielt", antwortete er und zuckte mit den Schultern. „Wenn ich nicht spiele kann ich das College vergessen."

Amber nahm tief Luft. Sie wusste, dass das College nicht für alle selbstverständlich war. Sie wusste auch, dass viele nur durch Football überhaupt eine Chance aufs College hatten. Die Kosten waren teilweise so hoch, dass nur ein Stipendium fürs Footballteam Einigen das Studium ermöglichen konnte. Doch erlebt hatte sie diese Situation noch nie.

„Es ist nicht so, dass ich schlechte Noten hab", stammelte Owen.

Amber nickte. „Du brauchst ein Stipendium."

Doch wie sollte er das nur bekommen? Im Schnelldurchgang ging Amber Optionen in ihrem Kopf durch. Doch alles lief darauf hinaus, dass er diese Saison spielen musste. Wenn er nicht auf dem Platz zu sehen war, war er auch nicht im Gespräch bei Colleges.

„Ohne Stipendium geht einfach gar nichts", stimmte Owen ihr zu und setzte wieder in Richtung seines Autos an.

„Hast du Videoaufnahmen von Spielen an deiner alten Schule?", fragte Amber und lief dicht neben ihm, dichter als noch vor ein paar Minuten.

Owen räusperte sich, als er auf den Boden sah. „Hab Videoaufnahmen schon an Colleges geschickt, aber die wollen mich natürlich erstmal in echt spielen sehen." In seinem Gesicht war auf einmal ein Grinsen zu finden, als er ihren nachdenklichen Gesichtsausdruck sah.

Sie kamen an seinem alten Truck an. Amber blieb unsicher neben der Fahrertür stehen, als Owen in seinem Rucksack nach dem Autoschlüssel suchte.

„Ich glaube Anthony kann dich ins Team bringen, oder sogar Logan, wenn er nicht so viel Angst hätte seinen Platz zu verlieren. Matt kann noch andere Spieler dazu bringen ein gutes Wort...", Amber wurde plötzlich still als sie Owens Gesicht sah. Die Nachmittagssonne traf ihn so perfekt, dass seine dunklen Augen glänzten. Auf seinen vollen Lippen tanzte ein Lächeln, als er sie mit hochgezogenen Augenbrauen beobachtete.

Amber bemerkte jetzt erst, dass die Worte nur so aus ihr hinaussprudelten. Sie spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Owens aufmerksamer Blick machte sie nur noch mehr verlegen.

Er lachte, während seine Finger mit dem Autoschlüssel spielten. „Danke, Amber", sagte er ihr ehrlich. Seine Augen blieben einen Moment zu lang an ihren hängen, wanderten kurz zu ihren Lippen und fanden dann ihre braunen Augen wieder.

Amber hatte Schwierigkeiten ihre Atmung unter Kontrolle zu halten. Ihre Finger suchten die dünne silberne Kette, die um ihren Hals lag und spielten damit.

„Klar doch", sagte sie kurz und ging einen Schritt zurück.

„Ich sehe dich dann in Geschichte wieder?", fragte Owen und entriegelte langsam die Fahrertür seines runtergekommenen Autos.

Eigentlich wollte Amber nicht so lange warten. Sie hatten nur alle zwei Tage Geschichte, zwei Tage kamen ihr vor wie eine halbe Ewigkeit. Am liebsten wäre sie auf seinen Beifahrersitz gestiegen und hätte mit ihm den Rest vom Tag verbracht.

Doch statt wieder in seine Richtung zu laufen, ging sie auf ihr Auto zu. „Klar, bis dann!", rief sie noch, bevor sie schnell in den Wagen stieg und die Tür zuschmiss.

Im Augenwinkel konnte sie erkennen, wie Owen ein paar Sekunden regungslos dastand und in ihre Richtung sah, bevor er in seinen Truck stieg und den Parkplatz verließ.

Sie legte ihre Stirn auf die Hände, die auf dem Lenkrad lagen. Wieso bin ich so dumm?, fragte sie sich. Sie atmete tief durch und strich sich mit den Händen übers Gesicht. Sie war es nicht gewohnt, dass eine einzige Person sie so nervös machen konnte.

Sie drehte den Schlüssel im Zündschloss und begann die kurze Fahrt bis zu ihrem zuhause.

Es war der zweite Tag, an dem sie für den Heimweg doppelt so lang brauchte wie all die anderen Schultage zuvor. Es lag nicht an einem hohen Verkehrsaufkommen. Sondern daran, dass sie noch so viel Zeit wie möglich schinden wollte und nur halb so schnell, wie die Geschwindigkeitsbegrenzung es eigentlich vorsah, fuhr. Sie merkte, wie die Autos hinter ihr langsam aber sicher genervt wurden und sie immer wieder überholten.

Amber war das recht egal. Sie blickte stur auf die Straße vor ihr, um die genervten Gesichter in ihrem Rückspiegel nicht mehr sehen zu müssen.

Als sie in die Einfahrt ihres Hauses fuhr konnte sie förmlich spüren, wie ihr Herz vor Enttäuschung nach unten sackte. In der Einfahrt waren bereits zwei Autos zu sehen. Das ihrer Mutter und das ihres Vaters.

Sie nahm ein paar tiefe Atemzüge, als sie aus ihrem Auto stieg und sich auf einen Abend mit beiden Elternteilen vorbereitete.

Hail Mary | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt