Kapitel 1 - Der Anfang vom Ende

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"Don't waste your tremendous voice writing messages in the sand." - Lorin Morgan-Richards

Es war ein ganz normaler Donnerstagmorgen, an dem Violet nur verschlafen ihre Bücher aus ihrem Schulspint nehmen wollten. In ihrem hingen keine Polaroidbilder von Partys oder ihren besten Freundinnen, wie bei den meisten anderen ihrer Schule. Ihrer war einfach kalt und grau. Und eigentlich hätte sie das gar nicht gestört, wenn die Tür von ihrem Spint nicht laut vor ihrer Nase zugeknallt wäre und ihr fast die Hand eingeklemmt hätte, sodass sie in sich zusammenzuckte und beinahe ihre Bücher fallen ließ. Als sie sich rasch umdrehte, bemerkte sie ein anderes Mädchen vor sich stehen, was ebenfalls in ihrem Alter war. Besser gesagt waren es sogar 3 Mädchen. 2 Andere standen wie ein Schatten hinter ihrer besten Freundin, mit verschränkten Armen, herablassend auf Violet lächelnd. Bereit sie bei lebendigem Leibe zu fressen.
Violet hingegen hatte Brooklyn Young, eines der beliebtesten Mädchen der Schule, gar nicht kommen gehört und war deshalb umso erstaunter, sie zu sehen. Sie hatte sich schon daran gewöhnt, dass sie immer mit klappernden Absätzen den Flur entlang schritt, wie auf dem rotem Teppich, bei welchem Anblick jedem die Bücher aus der Hand fielen und Gemurmel durch den ganzen Gang halte. Als wäre sie eine Erscheinung. Es war sowieso jeden Tag das Selbe. Wenn Brooklyn durch die Gänge zu einem ihrer Klassenzimmer ging, wurde es kalt im Schulflur und es schien, als würde Brooklyn in Zeitlupe jedem mit einem Blick belächeln, der sagte: „Ich bin besser als du! Und das weißt du ganz genau!"
Und vielleicht stimmte das ja auch. Denn natürlich kannte sie jeder auf der Schule und jeder, der behauptete kein Fünkchen Neid zu verspüren, der log. Sie war das Mädchen, mit den steinreichen Eltern und dem perfektem Leben, was aus einem Märchen hätte stammen können. Oder aus einem der Highschoolmusicalfilme. Sie hätte genauso gut die hübsche Cheerleaderin sein können, die am Ende den Kapitän des Footballteams abbekam und die auf dem Abschlussball natürlich auch zur Ballkönigin gekrönt wurde. Sie war die Verkörperung des Amercian Dreams. Ganz im Gegenteil zu Violet.
Als sich Violet wieder halbwegs gefasst hatte, sah sie Brooklyn erwartungsvoll an, straffte ihre Schultern und richtete ihren Rucksack, der schon deutlich zu oft benutzt aussah. Brooklyn lehnte lässig mit ihrem Arm an Violets Spint, eine Augenbraue nach oben gezogen. Ihre langen Nägel klapperten am Metall. Manchmal wünschte sich Violet auch so lässig wie sie zu sein, aber statt weitere Gedanken an Brooklyns makellose Identität zu verschwenden, versuchte Violet so auszusehen, als würde sie vor Selbstbewusst strotzen.
„Was willst du Brooklyn?" fragte Violet und versuchte sich nicht kleiner zu machen, als sie eh schon war. „Du bist doch diese Viola oder?" Violet zog irritiert eine Augenbraue nach oben. „Mein Name ist Violet..." Brooklyn seufzte theatralisch auf.
„Na wie auch immer...Du, Ich, Kunstprojekt..." sagte Brooklyn schnippisch. Violet verdrehte die Augen und wollte sich mit den Worten: „Nein, Danke, ohne mich." an Brooklyn vorbeidrängen, aber Brooklyn schnappte nach Violets Arm, ehe sie die drei Mädels einfach verdutzt stehen lassen konnte. Wäre ja auch zu schön gewesen.
„Ich will das erst recht nicht. Wieso sollte ich schon freiwillig mit dir Zeit verbringen wollen? Mr. Goodberg möchte das. Hast du die Email nicht gelesen?" Violet seufzte und fühlte sich plötzlich etwas von ihrer Kraft verlassen. Sie hatte keine Lust weiter mit Brooklyn zu diskutieren oder sich gar ihrem kritischem Blick weiter zu unterziehen. Sie wollte erst recht nicht erklären, dass ihr Handy mal dringend repariert werden musste, sie dafür aber kein Geld hatte und die Email so an ihr vorbei gegangen war. Sie seufzte nur und sagte: „Ok, in Ordnung, dann machen wir das halt zusammen. Kann ich jetzt gehen? Ich muss zum Unterricht." Jenna, einer der besten Freundinnen von Brooklyn lachte auf. „Die kleine Superstreberin will wohl nicht zu spät kommen?" Brooklyn sah Jenna etwas genervt an, die augenblicklich ihr Lachen in ein kleines, zaghaftes Lächeln verwandelte. Dann schwang Brooklyns Blick wieder abrupt zu Violet herum, die nervös von einem Bein auf das Andere trat.
„Ich habe nicht gesagt, dass wir das zusammen machen. Du machst das für uns beide, verstanden? Und zwar gut. Kann ja nicht so schwer sein, uns eine gute Note zu holen und wehe du versaust uns das! Eine schlechte Note kann ich mir nicht leisten." Violet zog eine Augenbraue hoch. „Wenn es nicht so schwer ist... Wieso machst du es dann nicht einfach selbst? Dann kannst du dir selbst mal eine gute Note verdienen. Oder weißt du nicht wie das geht? Deine kleinen Hausaufgabenäffchen könnten bestimmt mal eine Pause gebrauchen." Man merkte das Brooklyn zu kochen begann. Dass ihr jemand mal mit soviel Widerstand entgegen trat, war sie nicht gewohnt. Erst recht nicht von der kleinen Violet Reese, die ja im Allgemeinen den Ruf des kleinen, schüchternen Mädchens aus der Bronx vertrat. Aber so schnell wie Violets Selbstbewusstsein aufgetaucht war, so schnell verschwand es auch wieder und am liebsten wäre Violet unter Brooklyns straffen Griff in den Erdboden versunken.
„Schon gut, schon gut..." Brooklyn lies etwas lockerer.
„Ok, ich sehe wir verstehen uns." Brooklyns angespannter Blick wurde ebenfalls etwas sanftmütiger und wich nun einem überheblichem Lächeln.
„Morgen Nachmittag bei mir zuhause! Dann guck ich mir an, was du auf die Beine gestellt hast. Und ich hoffe für dich, dass es gut ist!" Brooklyn beugte sich weiter zu Violet runter und hauchte mit ihrem süßlich duftendem Atem Violet die Worte: „Und wenn nicht..." entgegen. Sie lächelte verführerisch, drehte sich dann etwas herum und sah zu einem muskulösem Jungen in Sportuniform. Er wank ihr zu und lies dann seine Muskeln hin und her tanzen, als wäre es das einfachste der Welt. Ganz offensichtlich einer von Brooklyns Möchtegernbetthasen. Violet musste schlucken, während Brooklyn nur zuckersüß dem Footballspieler zuzwinkerte. Brooklyns einschüchternde Ausstrahlung lies sie wieder ganz klein werden. Sie fühlte sich an einen der Tage zurückversetzt als sie noch jünger war. Die Welt schien von unten so groß und erdrückend, zu viel auf einmal. Zu viele Stimmen übereinander, zu viele Menschen die auf sie einredeten, zu viele Blicke und zu viele Gedanken...
„Ich weiß nicht, ob ich das bis morgen schaffe, ich meine..."
„Morgen bei mir!" wiederholte sich Brooklyn eine Spur schärfer. Violet nickte wieder.
„Du weißt doch, wo ich wohne, nicht wahr?" Violet nickte erneut. Natürlich wusste sie das. Wer kannte sie denn nicht? Die berüchtigten Partys auf der Avenroad 14. Brooklyns Partys. In der Luxusvilla schlecht hin, zu der Violet natürlich nie eingeladen gewesen war.
Wie eine Erlösung, schrillte plötzlich die Schulklingel und Violet atmete erleichtert auf. Brooklyn richtete sich auf. Sie sah noch einmal warnend zu Violet, bevor sie sich schwungvoll umdrehte, ihre Haare über die Schultern warf, Sienna und Jenna deutete zu gehen und sich noch ein letztes mal nach Violet umdrehte. Mit einem arrogantem, eiskaltem Lächeln. Sie war wie die Superschurkin in einem Marvel Comic. Böse und eiskalt, total erbarmungslos eben.  Violet allerdings war keine dieser Superhelden... Sie war eben nur Violet...Sie erstarrte und ihr lief es eiskalt den Rücken runter. Sobald Brooklyn hinter den anderen Schülern verschwunden war, ließ sich Violet seufzend gegen ihren Spint fallen.
„Warum ich? Warum immer ich?"

Reach for the starsWhere stories live. Discover now