Kapitel 17 - Abschied

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"How do you know love is gone? If you said that you would be there at seven and you get there by nine, and he or she has not called the police – it's gone." – Marlene Dietrich

Ein paar Tage später stand ich auch schon am Flughafen und sah meine Schwester an, die mich tapfer anlächelte. Ich weiß, dass es ihr nicht leicht fiel, ihre kleine Schwester in dieses Flugzeug steigen zu lassen. Ganz alleine. In die ungewisse Ferne. Für sie war ich immer noch dieses kleine Mädchen, was so tat, als wäre sie eine Prinzessin. Was durch das ganze Haus rannte und so tat, als könnte sie alles und jeden verzaubern. Und jeden zum lächeln bringen. Als wäre die Welt ein Ort voller Magie.
Aber ich dachte nicht mehr gerne daran zurück. Denn dann sah ich immer, wie glücklich Mum und Dad mal gewesen sind. Die Erinnerungen daran schmerzten und mein Herz zog sich jedesmal zusammen, wenn ich daran dachte. Ich sah immer Mum vor mir, wie sie mich anlächelte und mich durch die Gegend wirbelte, wenn ich lachend auf sie zugerannt kam. Ich sah jedesmal ihre blauen Augen. Die meine Schwester von ihr hatte. Und ich bestaunte jedes mal ihre blonden Haare. Die ich geerbt hatte. Meine Mum war eine schöne Frau. Vielleicht schien sie für mich auch nur so, weil sie eben meine Mum war. Aber jetzt konnte ich mich kaum noch an ihr Lachen erinnern. Ich wusste sowieso nicht ob es echt gewesen ist. Oder eben nicht. Vielleicht ist sie auch nie wirklich glücklich gewesen. Sonst wäre sie nicht einfach so ohne ein Wort gegangen. Ich stellte mir gerne vor, wie sie zurück kam und mich einfach in ihre Arme nahm. Aber das hatte sie nie getan. Sie war die letzten Jahre nicht wieder nach Hause gekommen. Und das Haus, wo ich dachte, dass es mein Zuhause war, hatte sich in ein heruntergekommenes Haus verwandelt, wovon ich hatte Abschied nehmen müssen.
Meine Schwester sah mich nun auch wieder an. Aus den Augen unserer Mutter.
„Hast du alles?" murmelte sie und zupfte an meinem Rucksack herum. Mit zusammengekniffenen Lippen nickte ich.
„Du hast deine Nopis?" Ich nickte wieder. Mit meinen Nopis meinte sie die Notfallpillen, die ich für alle Fälle immer dabei hatte, falls sich eine Panikattacke anbahnte. Sie halfen nur semi gut, aber mit ein paar Atemübungen dazu waren die Panikattacken fast zu überstehen.
„Und deinen Lieblingspyjama? Du weißt, dass du ohne den sehr schnell Heimweh bekommst!" Ich nickte wieder. Summers fester Freund Malcom lachte auf. Ich sah ihn mit einem finsterem Blick an. Ich hatte nicht gewollt, dass er mitkommt, aber ich tat Summer den Gefallen. Sie brauchte jetzt mehr Unterstützung als ich. Jemanden, der für sie da war, wenn ich schon durch das ganze Land reiste und sie einfach Angst um mich hatte. Außerdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass sie in brauchte. Um sich komplett zu fühlen, wie in einer richtigen Familie eben. Ich sah ihn trotzdem böse an. Er hatte versprochen sich zusammen zu reißen.
„Summer, bitte versprich mir, dass du dir einen intelligenteren Freund suchst als ihn, während ich weg bin. So schwer kanns ja nicht sein. Er denkt immer noch ein Lexikon ist etwas, was man essen kann." Summer sah mich vorwurfsvoll an. „Violet! Das ist nicht nett und das weißt du!" Wie ein kleines, schuldbewusstes Mädchen starrte ich auf meine Füße und seufzte. „Tschuldigung." murmelte ich noch. Aber Summer musste schon wieder etwas grinsen, beugte sich an mein Ohr und flüsterte: „War nur ein Scherz, er ist wirklich so dumm wie Brot." Ich kicherte etwas, bis Summers Lächeln erlosch. Sie schlang fest ihre Arme um mich und ich merkte, wie sie versuchte ihre Tränen zurück zu halten.
„Pass auf dich auf, meine Kleine!"
Bei der Vorstellung, dass ich das erste mal alleine meinen Weg gehen würde, unaufhaltsam wie ich war, schlich sich ein Grinsen auf mein Gesicht.
„Das werde ich. Ist ja nicht so, als würde ich ins Weltall fliegen... Oh warte, doch zur Hölle, das werde ich." Ich biss mir grinsend auf die Unterlippe. Summer ließ mich los.
„Wie auch immer..." meinte sie dann und wischte sich ein paar Tränen weg. Dann kicherte sie etwas auf.
„Vielleicht ist es ja gut so, wenn du eine Weile weg bist..." Sie sah spielerisch zu Malcom. „Damit haben wir das ganze Appartment für uns alleine, stimmts, Schatz?" Malcom war plötzlich wieder total aufgeblüht und nickte blöd grinsend.
Ich versuchte krampfhaft das Flirten der beiden auszublenden und das Kopfkino wieder los zu werden. Mir war sogar die ganze Farbe aus dem Gesicht gewichen.
„Na dann lass ich euch mal alleine. Ich muss plötzlich wirklich ganz dringend los." Ich drehte mich um, packte mein Zeug und steuerte auf die Sicherheitskontrolle zu.
Ich hörte allerdings, wie meine Schwester sich zu ihrem Freund beugte und wehmütig zu ihm sagte: „Wann ist sie nur so groß geworden?" Da seufzte ich wieder, und rannte noch einmal auf Summer zu. Es war wohl doch nicht so einfach, wie ich gedacht hatte... Einfach rein ins Unbekannte. Ich vermisste Summer schon so unheimlich und Malcom... naja gut den eher weniger.
Ich landete in Summers Armen und drückte mich an ihre Brust.
„Summer?" fragte ich.
„Ja?"
„Ich werde dich auch ganz doll vermissen. Du bist die beste große Schwester, die man sich wünschen kann." Summer hielt sich die Hand vor den Mund um ein Schluchzen zu unterdrücken. Sie strich mir dann einfach nur wortlos über meine Haare und richtete noch einmal meine Frisur.
„Ich weiß nicht, ob ich das noch will..." Wisperte ich. Summer schüttelte wild mit dem Kopf, sodass ihre ganzen Haare durch die Luft wirbelten. Daraufhin drückte sie mir einen sanften Kuss auf die Kopfhaut.
Sie beugte sich etwas zu mir herunter. Die Größe hatte sie im Übrigen von meinem Dad, ich war die Einzige in der Familie, die etwas klein geraten war. Meine Schwester allerdings könnte als Victoria Secret Angel durchgehen.
„Violet. Ich weiß, von außen sieht man dir das nicht an, aber du bist stärker als du denkst. In dir steckt so viel mehr, als du glaubst. Ich bin mir sicher, alles wird gut werden. Genieß das, jetzt ist deine Zeit gekommen. Das wolltest du doch immer oder? Das ist dein Traum!" Ich nickte.
„Ich will dich aber nicht enttäuschen, Summer." Meine Schwester musste schmunzeln.
„Egal was passiert. Du kannst mich nicht enttäuschen, ok? Und jetzt geh da raus und zeig es allen!" Ich nickte bestärkt. Sie hatte recht. So wie immer.
„Und wenn du mich brauchst, ich bin immer für dich da. Brooklyn weiß einfach nicht, was sie verpasst, so ein tolles Mädchen wie dich gehen zu lassen." Dieses mal war ich kurz davor zu weinen. Also nickte ich nur nochmal, stellte mich auf die Zehenspitzen, gab meiner Schwester einen Kuss auf die Stirn und ging dann auf den Sicherheitsbereich zu. Als ich mich kurz davor nochmal umdrehte, lächelte ich die beiden an.
Summer hatte sich mit ihrem Kopf an Malcoms Schulter gelehnt und Malcom stand dort wie ein Schrank und hielt sie beschützend fest, während meine Schwester mit ihren Fingern nervös an ihrer Halskette spielte. Die Halskette, die ich ihr damals geschenkt hatte.
In diesem Moment wusste ich, dass auch Dad da war, neben ihnen stand und meiner Schwester Halt gab. Und um mir zu sagen, dass alles gut wird. Man müsse nur an Wunder glauben.

Reach for the starsWhere stories live. Discover now