Kapitel 2 - Die Sache mit der Liebe

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"Love is not complicated. It just 'is'. The complicated part is finding two souls who are feeling it as the same time in their lives... and for each other. Feeling it so deep that they're willing to fight every second of the day to keep it alive. That's the complicated part."
― Alfa H

Als Violet aus dem Aufzug trat und gerade den Schlüssel aus ihrer Hosentasche fischte, hielt sie kurz inne. Sie hörte etwas, was ähnlich wie ein Schluchzen klang. Besonders leise drehte sie den Schlüssel zwei mal im Schlüsselloch herum, ehe sie in ihr kleines Appartement trat, in dem es wie immer etwas chaotisch aussah. Aber ein warmes Gefühl breitete sich in Violet aus. Zuhause... Sie hatte diesen Schultag endlich überstanden. Hier konnte sie sich fallen lassen, tief ein und ausatmen, den Tag hinter sich lassen und in ihre eigene kleine Welt abtauchen. In ihre Träume, ihre Wünsche... ihr persönliches Paradies. Aber das musste erstmal hinten anstehen. Violet sah Summer mit einem betroffenem Blick an. Summer war Violets große Schwester, die gerade in der Küche stand, sich auf der Kücheninsel abstützte und sich die Tränen hastig aus dem Gesicht wischte, als sie ihre kleine Schwester bemerkte. Sie schreckte kurz hoch und griff dann nach einem Küchentuch, mit dem sie sich die Hände abwischte. Violet sah ein zersplittertes Glas auf dem Boden neben Summer liegen, die Violet mit bebender Unterlippe anlächelte.
„Hey Süße!" begrüßte Summer ihre kleine Schwester.
„Was ist denn hier passiert?" entgegnete Violet jedoch nur und zeigte auf die Küche, die insgesamt etwas aussah, als hätte ein Tornado darin gewütet.
Summer versuchte ein Schluchzen zu unterdrücken, wollte dann mit zittrigen Fingern den Scherbenhaufen des Glases in Ordnung bringen, allerdings ließ Violet nur ihren Rucksack fallen, schob sich an Summer vorbei und sagte: „Ich mach das schon." Dankbar lächelte Summer sie von oben herab an.
„Du bist eher wieder zurück, als ich dachte..." murmelte Summer, während sie sich unkomfortabel über den Arm strich.
„Ist das ein Vorwurf?" fragte Violet lachend. Summer strich sich schmunzelnd über die Haare. „Nein, natürlich nicht, aber..." Violet schob sich erneut an Summer vorbei zum Mülleimer, um die Überreste ihres Lieblingsglases zu entsorgen. Tschüss, geliebtes Disneyglas. Wieso trifft es immer die besten Gläser als Erstes?
„Das war ein Spaß...." Violet schaute plötzlich wieder ganz ernst und besorgt. Irgendetwas musste vorgefallen sein. Ihre Schwester sah fertig aus, kraft-und energielos. Ihr Haar fiel ihr nicht so seidig wie sonst über die Schultern, sie hatte rote Augen vom weinen und wirkte abgeschlagen und kaputt.
„Was ist passiert?" Summer wank ab. „Mir ist nur ein Glas runtergefallen..." Violet zog eine Augenbraue hoch. „Und deshalb weinst du?" Summer wischte sich erschrocken über die Augen. „Quatsch, ich hab nur Zwiebeln geschnitten." Violet sah jetzt noch getroffener aus als vorher. „Wieso sagst du mir nicht die Wahrheit?" Summer sah aus als könnte sie keine Worte finden. Sie öffnete immer wieder den Mund, als ob sie gerne etwas sagen würde, aber es kam kein Ton aus ihr heraus.
Als Violet auch die letzten Überreste der Scherben beseitigt hatte, setzte sie sich auf die Kücheninsel, sodass sie Summer nun genau ansehen konnte. Sie starrte in ihre Augen, die voller Schmerz waren und Summer streichelte ihrer kleinen Schwester über die Haare.
„Ist nicht so wichtig..." Summer zwang sich ein Lächeln auf. Violet sah sie mit großen Augen an und ohne, dass Summer etwas sagen musste, brach etwas in ihren Augen zusammen. Sobald sie ihre kleine Schwester ansah, wie sie verständnisvoll und unschuldig auf sie blickte, konnte sie nicht mehr anders. Sie biss sich verzweifelt auf die Unterlippe. Sie wollte stark sein. Sie war die Erwachsene von beiden, sie musste beide beschützen. Sich und Violet. Sie musste Violets Schmerz nehmen. Denn sie wusste, auch Violet kam jeden Tag nach Hause, mit so viel Schmerz, dass es für so einen kleinen Körper unerträglich schien. Und doch kam sie jeden Tag mit einem Lächeln durch die Haustür, als wäre es das normalste der Welt. Der einzige Moment, indem man ihr anmerkte, dass etwas nicht stimmte, war wenn sie wieder einmal mit angewinkelten Beinen auf der Fensterbank saß und nach draußen in den hell erleuchteten Sternenhimmel sah. Als könnte sie in jedem Stern eine Geschichte sehen und würde versuchen, diese angespannt zu verfolgen. Sie war dann so nachdenklich und in ihrer eigenen Welt, dass sie manchmal zu vergessen schien, was in der echten Welt auf sie wartete. Liebe, Hoffnung, Ziele und Träume...
„Hattet ihr wieder Streit?" flüsterte Violet eingeschüchtert. Summer atmete tief durch.
„Ich habe ihm gesagt, er soll nicht dein Lieblingsglas nehmen, ich weiß du hängst doch so sehr daran, aber er..." Summer begann zu schluchzen, als wäre ihr innerer Staudamm gebrochen und die Wasserfluten schwappten über.
„Es war doch nur ein Glas..." Violet strich ihrer Schwester über den Arm.
„Ein Glas kann man kleben, oder ersetzen... Aber dich nicht!" Violet nahm Summer tröstend in den Arm. Sie wusste, dass ihre große Schwester immer die Beschützerin spielen wollte, obwohl sie längst selbst am Ende war.
„Hat er dir weh getan?" Summer schüttelte hastig mit dem Kopf. Sie zog ihren Ärmel über ihr Handgelenk, verschränkte die Arme vor der Brust und sagte leise, aber bestimmt: „Nein!" Violet glaubte ihr kein bisschen, aber sie wusste nicht, was sie ihr sagen sollte. Sie hatte Summer schon oft gebeten, ihren Freund nicht mehr zu treffen und einfach Schluss zu machen. Zu warten bis der Richtige für sie kommt. Ein einfühlsamer, junger Mann. Ihr Beschützer... Aber Summer lächelte dann immer nur müde. Sie wollte mit ihrer kleinen Schwester nicht über so etwas reden. Sie liebte ihren Freund, heiß und innig. Also ließ Violet sie. Sie sah, dass Summer sich verändert hatte, seit sie mit IHM zusammen war. Aber sie ließ ihre große Schwester machen. Sie wollte nicht wegsehen und auch nicht weghören, aber sie wusste selbst nicht, wie sie ihr helfen konnte. Sie fühlte sich selbst zu klein, nicht vom Alter oder der Größe, aber sie war zu eingeschüchtert und hilflos um ihrer großen Schwester eine Hilfe zu sein...für sie einzustehen. Also taten beide so, als wäre alles in Ordnung. Als wäre all das normal.
„Es war meine Schuld, ich habe ihn provoziert,.." Summer fuhr sich durch die Haare. Violet schüttelte mit dem Kopf. „Er ist einfach nur... Es ist nicht deine Schuld Summer. Es ist seine Art..." Violet legte den Kopf schief, wie ein kleiner Welpe, der zu verstehen versuchte, warum Summer traurig ist.
Summer seufzte, zwang sich ein Lächeln auf und trotzdem sie diesen einen Gedanken immer wieder zu vermeiden versuchte, rutschte er ihr raus.
„Nein! Violet, nimm mich nicht immer in Schutz. Ich bin auch nur ein Mensch. Ich mache Fehler. Jeder macht Fehler..." Violet runzelte die Stirn. „Siehst du? Dein Freund macht auch Fehler... Wieso nimmst du IHN in Schutz? Er braucht es am wenigsten..." Summer biss sich wieder auf die Unterlippe und strich Violet eine Haarsträhne hinter das Ohr.
„Ach Süße. Bei dir klingt das alles so einfach. Aber Liebe ist eine so komplexe Sache. Es ist wie ein Kirschblütenbaum. An schönen Tagen leuchtet er in den schönsten Farben, aber an manchen Tagen..." Als Summer Violets aufmerksame Blicke bemerkte, stoppte sie. „Ach weißt du, ich bin vielleicht einfach zu kompliziert... Wieso kann ich nicht einfach wie andere Mädchen sein? Wie alle anderen auch?" Violet sah ihre große Schwester nachdenklich an.
„Wieso möchtest du denn nicht anders sein als alle anderen? Warum möchtest du denn nicht einfach du sein? Die Anderen gibt es doch schon oft genug." Summer schmunzelte etwas... „Weil es das manchmal einfacher machen würde..." Violet schüttelte seufzend mit dem Kopf. Plötzlich fühlte sie sich wie die Erwachsene von beiden. „Aber einfacher heißt doch nicht gleich besser oder? Ist es nicht viel schöner wenn man besondere Sachen erreichen kann, weil man ein besonderer Mensch ist? Menschen die mit dem Strom schwimmen, werden niemals etwas Besonderes erreichen. Weil besondere Sachen einzigartig sind. Genau wie du. Du bist besonders und einzigartig. Das macht dich perfekt." Summer musste sich schon wieder die Tränen verkneifen und ehe Violet überhaupt Summers Tränenschimmer bemerken konnte, riss Summer Violet an sich und vergrub ihr Gesicht in ihren Haaren.
„Ich bin nicht perfekt..." Violet erwiderte Summers Umarmung. „Für mich schon." Summer lachte leicht auf. „Ist das denn nicht genug?" Summer drückte ihre kleine Schwester noch fester an sich und saugte ihren Geruch tief ein. Den Geruch nach Violets Lieblingsseife und ihrem Vanilleshampoo.
„Und weißt du was?" fragte Violet kichernd. Summer schüttelte mit ihrem Kopf. In diesem Moment, in dem sie einfach in Violets Armen lag, vergas sie alles was in den letzten Minuten passiert war. Sie genoß einfach den Moment und war präsent. Was sie viel zu oft vergas. Sie hetzte so sehr von einem Moment zum nächsten, zerbrach sich den Kopf wie es weitergehen sollte und weinte dem Geschehenem hinter. Aber dabei sollte sie doch präsent sein. Im Moment. Denn wir können doch nur ein was gewiss bestimmen. Und das ist das Hier und Jetzt. Die Zukunft können wir nie genau planen, die Vergangenheit nicht ändern, aber das Hier und Jetzt, das gehört uns.
„Was denn?"
„Ich weiß jetzt, was ich als Kunstprojekt machen möchte...Deinetwegen..."

Reach for the starsWhere stories live. Discover now