Kapitel 11 - Eiskalt

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„Every saint has a past, and every sinner has a future." -Oscar Wilde

„Brooklyn?!" Ich öffnete das Fenster, sodass ich Brooklyn gegenüber stand. Ich sah auf ihre Füße. Da stand sie doch tatsache auf der Feuerleiter.
„Bist du bescheuert?" Sie schien ein bisschen zu frieren im kalten Winterschnee, der langsam den Himmel runter rieselte.
„Kann ich reinkommen?" flüsterte sie. „Bist du die Feuerleiter hochgeklettert?" antwortete ich stattdessen nur schockiert.
„Siehst du doch!" Ich schnaufte wütend.
„Was willst du hier?" Brooklyns Lippen wurden schon ganz blau. Und der Schnee sammelte sich auf ihren langen, blonden, welligen Haaren.
„Du hast mir seit Tagen nicht geantwortet. Du ignorierst mich die ganze Zeit. Was sollte ich denn machen?"
„Und da denkst du, du kannst einfach her kommen und alles ist wieder gut? Ich will nicht mit dir reden, ich will einfach nur in mein Bett und schlafen. Das solltest du auch tun!" zischte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen.
„Violet, es ging nicht anders, ich kann dich nicht verlieren. Ich gehe, sobald du mir zugehört hast." Sie sah mich erwartungsvoll an. Ich lächelte etwas aufmunternd, ging dann einen Schritt zur Seite und lies Brooklyn reinkrabbeln, die erleichtert ausatmete.
„Danke!" Ich schloss das Fenster, nahm Brooklyn den nassen Mantel ab und musterte sie von oben bis unten, bis ich auf mein Bett zeigte.
„Setz dich!" Sie nickte eingeschüchtert. Ich legte ihr eine Decke über die Schultern und ging zur Tür.
„Wo willst du hin?" murmelte Brooklyn krächzend.
„Bitte sag deiner Schwester nicht, dass ich hier bin!" Noch etwas wütend sah ich sie an.
„Ich geh dir nur einen Tee holen. Und du bleibst hier! Egal was ist, du bewegst dich nicht vom Fleck! Verstanden?" Brooklyn nickte schüchtern. So kannte ich sie gar nicht. Aber es gefiel mir auch mal das Sagen zu haben.
Ich musste mich wirklich auf leisen Sohlen in die Küche schleichen und versuchte so geräuschlos wie möglich den Tee zu machen. Allerdings fiel mir ein Topf runter, als ich die Einzelteile für den Tee aus dem Schrank sammeln wollte und es klirrte laut. Ich stand kurz wie eingefroren da und betete, dass Summer noch friedlich schlief. Ich atmete tief ein. Ich habe wirklich 2 linke Hände. Unglaublich.
Als ich mich gerade wieder umdrehen wollte um den Tee weiter zu machen, polterte es plötzlich, Summer schrie: „Hände hoch!" und ich riss die Arme in die Luft, zu ihr gedreht. Da stand Summer vor mir, mit einer Bratpfanne in der Hand und bereit mich damit nieder zu metzeln.
„Was willst du denn mit der Bratpfanne?" fragte ich verängstigt.
„Ach du bist es nur." murmelte Summer. Fast sogar enttäuscht. Sie ließ die Pfanne sinken. „Ich dachte du bist ein Einbrecher. Was machst du denn überhaupt noch hier?" Ich zuckte nur gelassen die Schultern, während ich den Tee weiter zu bereitete.
„Ich mach mir einen Tee, siehst du doch!"
Summer sah mich irritiert an, zog eine Augenbraue nach oben, als wollte sie mir nicht glauben und zeigte auf die Tasse in meiner Hand.
„Du... machst dir einen Tee? Mitten in der Nacht? Seit wann trinkst du überhaupt Tee? Was ist denn los mit dir?" Ich musterte Summer angespannt. Mit ihren strubbeligen, aber doch perfekten Haaren, in einem alten viel zu langem T-shirt und Barfuß, mit ihrer Bratpfanne, die sie von wer weiß woher gerade angeschleppt hatte. Sie sah trotzdem wunderschön aus.
Ich zuckte unsicher die Schultern, weil ich echt nicht wusste, wie ich darauf reagieren sollte.
„Tja, das ist jetzt mein neues Ich. Komm damit klar!" Ich lächelte sie nochmal an, ging mit meiner Tasse an ihr vorbei, warf ihr noch im Vorbei gehen ein „Schlaf gut!" entgegen und merkte wie mir Summer verdutzt hinterher sah. Aber ich war ehrlich gesagt mindestens genauso verdutzt wie sie über meine entspannte Rettung der Lage. Vielleicht war ich ja jetzt wirklich eine neue Violet.

Brooklyn schaute mich prüfend an, als ich zurück in mein Zimmer geschlichen kam.
„Was war das denn für ein Lärm?" Ich wank ab. „Ich dachte mir, dass um 1 Uhr nachts natürlich der perfekte Zeitpunkt wäre die Küche umzuräumen." Brooklyn sah mich wieder skeptisch an, als würde sie diese Option ernsthaft in Betracht ziehen.
„Wirklich?"
„Natürlich nicht, was denkst du denn?" Brooklyn sah mich wieder ganz kleinlaut an. Dann setzte ich mich seufzend zu ihr aufs Bett. „Hier!" Ich drückte ihr die Tasse in die Hand.
„Also, du wolltest reden? Ich für meinen Teil habe dir nichts zu sagen." Erwartungsvoll sah ich sie an, obwohl ich schon davon ausging, dass sie es nicht wieder gut machen konnte.
„Ich weiß, du musst auch gar nichts sagen. Ich wollte mich entschuldigen. Violet, es tut mir verdammt nochmal leid! Ich habe deiner Schwester versprochen, dass ich dich nicht verletze!"
Ich war kurz davor zu explodieren. „Brooklyn, es geht nicht um meine Schwester! Einmal, wenigstens einmal, geht es um mich!"
„Ich weiß, dass es um dich geht! Bitte, Violet, du musst mir glauben! Obwohl du mich jetzt sicher hasst, was ich auch absolut verstehen kann. Aber bitte gib mir doch noch eine Chance!" Ich versuchte etwas ruhiger zu werden und schüttelte mit meinem Kopf.
„Nein, ich hasse dich nicht, das habe ich auch nie. Hass ist etwas, was man niemals fühlen sollte. Du wirst deine Gründe für alles haben und ich verstehe, dass da einfach nur etwas ist, was dich zu dem macht, was du bist. Und das ist ok. Aber ich kann dafür nicht mehr hin halten!" Brooklyn nickte hektisch.
„Ich weiß, Violet, ich weiß. Deswegen bin ich hier. Um dir zu zeigen, dass du mehr bist, als derjenige, der nur für mich hinhält." In mir sprudelten langsam wieder die Emotionen hoch.
„Brooklyn, ich bin dir doch vollkommen egal. Das hab ich gesehen. Mehr als einmal. Das ist nichts Neues. Und es ist ok. Am besten gehst du einfach, wir vergessen alles und es geht weiter wie zuvor. Hast du doch auch gesagt. Es ist nur für kurze Zeit. Irgendwann wirst du wieder dein altes Leben wiederhaben. Und dieser Moment ist jetzt..." Schweren Herzens sah ich sie seufzend an. Das war keine Entscheidung gewesen, die mir leicht gefallen war. Brooklyn war immer meine einzige Freundin gewesen. Und vielleicht sogar mehr. Aber man muss sich auch von Dingen und Menschen lösen die einem nicht gut tun.
„Such dir einen anderen Trottel, der dir dabei hilft, deine Supernovaträume zu verwirklichen." Dieses mal entbrannte eine unbändige Wut in Brooklyns Augen.
„Du hörst mir jetzt verdammt nochmal zu!" Sie wurde etwas lauter.
„Es geht um dich! Ich gebe nicht nur einen Scheiß auf dich! Du bist mir wichtig! Wie soll ich es denn noch sagen? Es geht mir nicht um meinen Traum! Oder doch! Denn du bist plötzlich mein größter Traum und ich kriege dich verdammt nochmal nicht mehr aus meinem Kopf! Es geht hier um wesentlich mehr, als dieses sing sang. Ich hätte selbst das schon aufgegeben, wenn ich mich nicht jeden Tag gefreut hätte, dich zu sehen, Violet! Wann geht es endlich in deinen dämlichen Kopf rein, dass dich auch mal jemand mag? So wie du bist! Fuck, ich bin wegen dir die Feuertreppe hochgeklettert! Ich brauche dich, du bist mir wichtig und ja warst du mir peinlich? Definitiv! Hab ich alles vermasselt? Oh mein Gott, natürlich!" Ich sah sie skeptisch an und fragte mich, wo das noch hinführen sollte.
„Aber Violet, am Ende zählt doch nur, dass ich bereit bin, die beste Version von mir zu werden. Deinetwegen und meinetwegen. Jeder von uns macht Fehler und meine waren unverzeihlich dumm. Ich habe mich verhalten wie das größte Arschloch der Geschichte. Aber ich kann mich ändern und ich will mich ändern. Weil du meine beste Freundin bist. Vor dir wusste ich nicht mal, was echte Freundschaft ist. Oder vielleicht wusste ich es, aber wollte es einfach nicht wahr haben. Seit ich dich kenne, oder besser gesagt, seit ich dich besser kenne, als vorher, hat sich meine ganze Welt verändert. Du bist wie dieses kleine, unsichtbare Mädchen von nebenan, was immer irgendwie alles auf den Kopf stellt. Du hast mein Universum um hundertachzig Grad gedreht und es schöner gemacht. Wie du alles schöner machst. Gib mir noch eine Chance und ich verspreche dir, ich lasse dich nicht mehr hängen... Violet, kannst du bitte etwas dazu sagen?" Ich saß da wie angewurzelt und geflasht, mir rasten tausend Gedanken durch den Kopf. Aber irgendwie schaffte es nur einer bis zur Umsetzung. Ich zog Brooklyn an mich ran.
„Jetzt hör doch einfach mal auf zu reden!" Und drückte meine Lippen auf ihre. In mir explodierte ein Feuerwerk von tausend Farben als sie meinen Kopf in ihre Hände nahm und den Kuss erwiderte.
Ich musste in den Kuss hineinlächeln. Mein erster Kuss den ich je hatte und er war was ganz Besonderes. Als würden sich die Schmetterlinge in meinem Bauch überschlagen und alle meine Gedanken wie weggeblasen sein. Endlich hatte alles einen Sinn in diesem ganzem Chaos.

Reach for the starsWhere stories live. Discover now