Kapitel 7 - Der Nerd in ihr

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"I bet you could sometimes find all the mysteries of the universe in someone's hand."
― Benjamin Alire Sáenz

Als hätte ihr jemand den Boden unter den Füßen weggezogen. Sie wusste selbst nicht einmal, wieso sie sich auf einmal so eine Hoffnung gemacht hatte, aber die Worte bohrten sich wie ein Messerstich in ihr Herz. Vielleicht war Brooklyn einfach so. Vielleicht hätte Violet nie die Hoffnung haben sollen, sie ändern zu können. Für sie war das alles nicht mehr als ein Buisnessdeal. Violet schluckte schnell ihren Frust runter, der sich in ihr angestaut hatte. Sie fühlte sich benutzt, hätte am liebsten um sich getreten und vor Wut gebrüllt. Aber sie blieb einfach sitzen und nickte. Denn eigentlich war das ihr ja von Anfang an klar gewesen, nur dass sie es einfach verdrängt hatte.
Aber wie sie sagte, manchmal sollte man vielleicht einfach den Moment genießen. Was passiert denn sonst mit dem Moment, in dem man gerade ist, wenn man immer zum nächsten rast?
Denn meistens ist man ja nicht in der Gegenwart unglücklich, sondern wenn man versucht die Vergangenheit zu verändern oder die Angst vor der Zukunft zulässt.
Also lächelte Violet nur. Ein Lächeln voller Schmerz, aber auch voller Dankbarkeit für diesen Moment.
Und plötzlich war Violet stolz auf sich. Dass sie die Dinge sagen konnte, die sie wollte. Und dass sie weiter dachte als alle anderen. Sie hatte keine Angst, sie fühlte sich unbesiegbar und das Wichtigste... Sie fühlte. Sie lebte und sie lebte ihre Gefühle. 
„Weißt du was wirklich faszinierend und unbegreiflich für mich ist?" wechselte sie das Thema, als wäre nichts gewesen.
„Die Sterne, die wir jetzt am Himmel sehen, existieren vielleicht in diesem Moment schon gar nicht mehr. Obwohl wir sie doch ganz klar leuchten sehen." Brooklyn zog eine Augenbraue nach oben. „Ist das jetzt ein Witz?" Violet schüttelte den Kopf. „Nein, das ist Wissenschaft." Brooklyn rückte näher an Violet heran.
„Erklär's mir!" Sie spielte peinlich berührt mit ihren Fingern. Ihr war es unangenehm, dass sie solche Dinge nicht wusste.
„Die Sterne die wir sehen, sind so weit von uns entfernt, dass ihr Licht, was sie ausstrahlen eine Ewigkeit braucht, bis wir es wahrnehmen können. In dieser Zeit, in der das Licht bis zu uns gelangt, kann der Stern schon längst erloschen sein und wir würden es erst viel später mitbekommen, weil sein Licht immer noch bis zu uns strahlt. Wenn man es so sieht, können wir also ein Stück weit in die Vergangenheit sehen."
Brooklyn schien nun wirklich fasziniert zu sein. „Woher weißt du das denn alles?" Violet zuckte verlegen mit den Schultern. Für Brooklyn schien es als würden Stürme in Violets Augen toben. Als hätte sie so viel zu sagen, so viel in ihrem Kopf, was sie am liebsten gesagt hätte. Ganze Universen. „Darf ich dir ein Geheimnis verraten?" fragte Violet und beugte sich näher an Brooklyn heran ohne eine Antwort abzuwarten.
„Ich bin ein Nerd- deswegen..." Brooklyn lächelte eingeschüchtert zu Violet, die wieder in den Nachthimmel grinste. „Ich wüsste gerne so viel wie du über sowas." Violet wank ab und ließ dann wieder ihre Arme auf ihre Knie sinken. „Dafür weißt du viel mehr über andere Themen. Du bist zum Beispiel total begabt darin dich zu schminken. Ich habe von sowas gar keine Ahnung. Bei mir sieht das eher aus als wäre ich auf einer Clownsparade gelandet. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass ich das Makeup an den falschen Stellen verwende. Allerdings würde mir das vielleicht manchmal viel mehr helfen, sowas zu wissen. Aussehen ist ja quasi die Eintrittskarte für alles Mögliche.
Du weißt eben auch viele Dinge, ohne jeden Abend vor dem Schlafengehen noch stundenlang darüber zu lesen." „Machst du das etwa?" Violet zuckte mit den Schultern.
„Selbst wenn... Egal wie viel ich lesen würde, es gibt noch so viele Dinge, die wir nicht wissen und vielleicht auch niemals wissen werden. Niemand. Auch wenn ich dafür brennen würde, herauszufinden, was niemand bis jetzt herausgefunden hat. Ich möchte so gerne wissen, was da draußen ist. Stell dir das mal vor. Wir kennen ja nicht einmal 10 Prozent aller Galaxien, die es gibt. Das ist so ein kleiner Bruchteil.
Wir denken immer, wir leben auf so einer riesigen Erde, weil wir so winzig sind, dabei ist die Erde so winzig im Vergleich zu dem was da draußen noch ist, oder noch entsteht." Brooklyn legte ihr Kinn nun auch auf den Knien ab und sah Violet stirnrunzelnd an.
„Naja das Universum ist ja auch unendlich, also unvorstellbar groß. Da ist die Erde natürlich nichts dagegen. Auch wenn ich mir Unendlich gar nicht so richtig vorstellen kann. Egal wie sehr ich mich bemühe." Violet lächelte Brooklyn an. Sie sah, wie sie sich bemühte ihren Gedanken zu folgen.
„Das liegt auch außerhalb der Vorstellungskraft des Menschen. Wir können uns das einfach nicht richtig vor Augen halten." Sie schluckte und unterdrückte ein bedrücktes Schluchzen.
„Das ist wie wenn ein Mensch von uns geht. Und wir akzeptieren müssen, dass dieser nie wieder kommt. Weil unendlich lange eben eine verdammt lange Zeit ist." Brooklyn nickte.
„Ja verdammt lang..." Violet überlegte für einen Moment.
„Ich kann es einfach nicht begreifen, wie wir für das Universum nur ein Wimpernschlag sein können. Wir kommen auf diese Welt und in der nächsten Sekunde, vom Universum aus gesehen, sind wir einfach weg... Ist die Menschheit einfach weg. Als wären wir nie da gewesen. Der Urknall ist vor 13,8 Milliarden Jahre passiert, was ist da schon ein Mensch, ein Jahr, dieser eine Moment? Und was passiert wohl, wenn es all das nicht mehr gibt? Dieses Universum? Ist all das hier dann ein luftleerer Raum? Wenn es im nächsten Wimpernschlag so schnell vergeht, wie es auf einmal gekommen ist?" Brooklyn biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. „Es gibt doch nur dieses Universum, es kann nicht nichts sein. Das Universum ist unendlich, etwas anderes kann es nicht geben." murmelte sie dann.
„Es ist nicht im herkömmlichem Sinne unendlich. Es breitet sich nur glockenförmig aus. Das heißt, in jeder Sekunde, wird es immer größer und größer. In diesem Sinne ist es unendlich. Aber außerhalb dieser Glocke, was ist dort? Wie unendlich kann etwas sein?
Wir Menschen denken immer wir wissen alles und sind was Besseres, weil wir ein größeres Bewusstsein haben, als die meisten Tiere. Aber ich bin mir sicher, dass da draußen noch irgendetwas ist, was weitaus Intelligenter ist als wir Menschen.
Vorallem streiten wir uns selbst über die Dinge, die wir vermeintlich wissen. Die meisten glauben ja nicht einmal an die Evolutionstheorie, geschweige denn den Urknall, den man rein theoretisch sogar heutzutage noch nachweisen kann...
Naja aber wir Menschen sind halt anders. Wir glauben teilweise nicht nur an Fakten, sondern an Emotionen. Das macht uns vielleicht auch manchmal schwach. Na wie auch immer..." Violet wurde plötzlich ganz warm ums Herz, als sie Brooklyn ansah, die ihr bedächtig zuhörte.
„Danke Brooklyn." „Wofür?" Violet seufzte und sah unsicher auf ihre Hände, mit denen sie nervös spielte. „Dass du dir mein Gedankenwirrwar anhörst. Ich weiß, das ich manchmal ein bisschen verrückt rüberkomme, aber ich glaube, man ist eher verrückt, wenn man sich keine Gedanken über all das macht. Wir stecken schließlich alle hier drin. In dem selbem Schlamassel.
Ich versteh das einfach nicht. Diese ganze Sache, wie wir sind. Früher ging es nur ums überleben und heute um so viel mehr. Plötzlich hat alles einen Sinn.
Oder auch nicht..." Violet starrte niedergeschlagen auf ihre Hände. Brooklyn nahm sanft Violets Hand und sah einfach auf die Sterne. Sie versuchte Violet Halt zu geben, weil sie merkte, wie sehr sie ihn brauchte. Sie war schlauer als alle anderen. Das machte es für sie aber nicht immer leichter. Es machte ihr Herz eher schwerer, weil die Probleme der Menschheit auf ihren Schultern lasteten. Als wären alle anderem um sie herum blind und nur Violet konnte klar und deutlich sehen, worüber all das war. Und es war als würde Violet Brooklyn endlich helfen zu sehen. Als wäre Brooklyn wieder nüchtern, in all dem Partychaos um sie drumherum.

Reach for the starsWhere stories live. Discover now