Kapitel 26 - Der erste Tag vom Rest ihres Lebens

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"Challenging the meaning of life is the truest expression of the state of being human." - Vitor E. Frankl

Es war endlich ihr großer Abend. Brooklyns großer Abend. Sie stand vor dem riesigem Spielfeld. Ihr zitterten die Hände, in der sie unsicher das Mikrofon hielt. Zweifelnd betrachtete sie die Menschenmengen, die in die Zuschauerränge strömten. Plötzlich tauchte Luna hinter ihr auf. Mit einem breitem Grinsen. Brooklyn zuckte bei ihrem: „Na, hallo Brooklyn." zusammen und schnellte herum. Luna fiel alles aus dem Gesicht, als sie nun auch Brooklyn von vorne sehen konnte. „Oh Gott, was ist denn mit deinem Gesicht passiert?" Brooklyn konnte nicht mal mit den Schultern zucken, so sehr schmerzte ihr jede Stelle ihres Körpers.
„Hast du das nicht mitbekommen? Ich hatte gestern einen kleinen... Zwischenfall..."
Luna schüttelte irritiert ihren Kopf, fragte aber nicht weiter nach. Brooklyn war allerdings froh, dass immerhin noch irgendjemand mit ihr sprach. Sienna und Jenna hatten sich seit gestern nämlich auch nicht mehr blicken lassen. Sie hatten ihr nicht geschrieben und auch nicht nach ihr gefragt. Es war einfach Funkstille. Aber irgendwie war Brooklyn darüber auch unfassbar erleichtert. Sie wussten nicht, dass Brooklyn heute hier sang. Sie wussten nicht, dass Brooklyn überhaupt sang. Sie hatten auch nicht gefragt. Ihre Eltern auch nicht.
Luna musterte Brooklyn noch einmal, sah dann auf die Uhr und nickte ihr zu.
„Ok, Brooklyn, es geht los. Du kannst das, du musst nur an dich glauben." Brooklyn nickte und ging auf das Feld zu, in den Übergangsbereich. Das hatte so nach Violets Worten geklungen. Das machte sie noch um einiges nervöser. Sie zitterte immer noch, sodass sie kaum das Mikrofon halten konnte. Sie wünschte sich einfach nur aus tiefstem Herzen Violet her. Dass sie wenigstens bei ihr war. Sie ließ die Augen kurz durch die Zuschauerränge gleiten. Aber auch von Summer schien keine Spur zu sein.
Brooklyn trat auf das Feld. Alle Augen richteten sich plötzlich auf sie, als sie in der Mitte des Feldes ankam und sie im Spotlight stand.
Es wurde ganz ruhig. Und da stand Brooklyn nun. Zwar bezaubernd, mit ihren langen Wimpern, den gelockten Haaren und dem wunderschönem Kleid, aber den vielen blauen Flecken und Verletzungen, die sie noch unwohler in ihrer Haut fühlen ließen. Sie hob ihr Mikrofon an den Mund um etwas zu sagen.
„Hey Leute, seid ihr gut drauf?" Ein Jubeln ging durch die Menge. Brooklyn wurde ganz rot im Gesicht.
„Ich möchte alle hier herzlich Willkommen heißen, zum ersten und einem der wichtigsten Footballspiele der Milligan Tigers in dieser Saison." Die Zuschauer applaudierten und pfiffen wie wild.
„Ich hoffe natürlich, dass ich einen besonderen Start für ein besonderes Spiel abliefere." Die Zuschauer jubelten wieder. Aber bevor Brooklyn zu singen beginnen konnte, stockte sie.
„Bevor ich anfange, möchte ich noch was los werden." Sie sah unsicher in die Zuschauermenge, in zweifelnde, verwirrte Gesichter.
„Ich möchte, dass jeder da draußen, der sich versteckt, jetzt aus sich rauskommt. Ich weiß, wie schwierig es ist, die Person zu sein, die man wirklich sein möchte. Und das liegt nicht nur an einem selber. Sondern an all denjenigen, die einen die Schulbücher aus den Händen reißen, weil man schlauer ist, als alle anderen. Und weil man mehr sein möchte, als nur so eine blöde Barbiepuppe. Ja ihr da, ihr wisst genau, dass ich euch meine...
Aber wenn ich eins gelernt habe, dann ist es, dass wir das ändern sollten. Hier und Jetzt. Sofort. Nicht nächstes Jahr, nicht nächsten Monat oder nächste Woche. Auch nicht morgen, sondern jetzt. Wir haben nur eine begrenzte Zeit auf dieser Erde, die wir sinnvoll nutzen sollten. Und die sollten wir mit unserem Leben füllen, nicht mit dem Leben von jemand anderem. Ihr seid besonders, wenn ihr seid, wer ihr sein wollt, nicht wie euch andere haben wollen. Das hat mir meine Freundin immer wieder gezeigt und ich hab es erst jetzt wirklich verstanden. Und ja ich meine damit die Liebe meines Lebens. Verschenkt nicht eure Zeit damit, euch zu verstellen. Ihr seid, wer ihr seid, ihr dürft lieben wen ihr wollt... Am Ende werden wir zwar alle alleine geboren und sterben auch alleine, aber dazwischen sind so viele Zeilen zu füllen.
Ich wünschte, ich könnte diese auch mit meiner großen Liebe füllen. Mit diesem hässlichem, kleinen Mädchen wie ihr sie genannt habt. Dabei hat sie einen Namen. Und ein Gesicht. Sie hat Gefühle und Träume. Sie heißt Violet Reese. Und sie ist genauso ein Mensch wie wir auch, der es nicht verdient hat, wie man mit ihr umgegangen ist, genau wie man mit anderen tausenden Menschen umgeht, nur weil sie versuchen die beste Version von sich selbst zu sein.
Violet kann heute leider nicht hier sein. Ich hab sie gehen lassen, damit sie mehr in ihrem Leben erreicht, als alle die, die sich nicht trauen, zu zeigen wer sie sind. Allerdings ist es mir das wert. Weil man das Liebe nennt.
Und das ist für Sie..."
Als Brooklyn anfangen wollte zu singen, wurde sie plötzlich unterbrochen.
„Du würdest doch nicht ohne mich anfangen oder?" Brooklyn musste sich nicht einmal umdrehen, um zu wissen, wer da hinter ihr stand. Sie tat es trotzdem. Aber da stand sie wirklich.
Violet. In einem wunderschönem Kleid, welches ihre Hüfte umschmeichelte. Die Haare waren wie die von Brooklyn gelockt. Aber irgendetwas war anders. Vielleicht Violets Ausstrahlung, wie sie sie erwachsen, aber überglücklich angrinste. Sie trug eine wunderschöne Kette und Perlenohringe, die förmlich strahlten. Brooklyn schlug sich die Hand vor den Mund, dann rannte sie auf Violet zu, welche ihre Hände an Brooklyns Gesicht legte und sie vorsichtig küsste. Vor allen. Brooklyn erwiderte den Kuss, musste aber in ihn rein lächeln und zog Violet an der Hüfte weiter zu sich heran. Aus den Zuschauerreihen drang ein lautstarkes, gerührtes „Aww." Als Violet die Augen öffnete, sah sie wie Freudentränen über Brooklyns Gesicht liefen. „Nicht weinen!" murmelte sie und wischte diese liebevoll weg. Brooklyn versuchte sich die Tränen zu verkneifen.
„Du kannst doch gar nicht echt sein! Wie...? Was...?" Violet kicherte. „Natürlich bin ich echt, du Doofnuss." Brooklyn strich Violet eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Aber ich dachte du bist in diesem blödem Camp." Violet musste grinsen.
„Ich hab deinen Livestream gesehen. Da konnte ich nicht anders, als herzu kommen und dich singen zu hören. Das Herz will, was das Herz will und unsere Zeit ist doch viel zu kostbar um sie nicht gemeinsam zu genießen, findest du nicht? Das Leben ist einfach zu kurz um beleidigt zu sein... Mein Flug war etwas verspätet, aber jetzt bin ich ja hier." In Violets Augen glänzte es, als sie daran dachte, wie sie einfach ihre Koffer um vier Uhr Nachts gepackt hatte. Colette war aufgewacht und hatte gefragt was zur Hölle sie da mache. Sie hatte Violet für dumm gehalten, dass sie sich diese einmalige Möglichkeit entgehen ließe. Aber sie hätte gegen sie eh keine Chance gehabt. Colette hatte Violet mit einem so abfälligem Blick angesehen, dass sie Violet einfach nur noch leid tat. Dass sie wohl absolut keine Liebe empfinden konnte und sie absolut nicht verstanden hatte.
Daraufhin war sie in Misses Briggs Zimmer gestürmt und hatte gesagt, sie müsse gehen. Diese war keinesfalls sauer gewesen. Eher ein wenig traurig und enttäuscht. Obwohl Violet immer gedacht hatte, sie hatte Violet gehasst, weil sie sie immer so herumgescheucht hatte, anders als alle anderen.
„Ich habe dich nur so behandelt, weil ich dein Potenzial gesehen habe, Violet. Ich glaube, in dir steckt Großes. Als ich in deinem Alter war, bin ich auch hier gewesen. Ich hatte gehofft, hier ein paar Freunde zu finden, aber es hat sich rausgestellt, dass wir alle nur Konkurrenz waren. Genau wie es dir ging. Und ich war genauso eine kleine, graue Maus wie du. Aber ich wollte, dass du den kleinen Schnäpfen gehörig in den Po trittst." Hatte sie mit einem Augenzwinkern gesagt. Und auf einmal tat es Violet furchtbar leid, dass sie Misses Briggs total falsch eingeschätzt hatte. Zumal sie die Einzige war, die Violet verstanden hatte und auch immer noch verstand. Sie hatte sie nämlich gehen lassen unter der Prämisse, dass sie jederzeit wieder kommen könnte.
„Du siehst so.... anders aus." stammelte Brooklyn und riss Violet aus ihren Gedanken. „Ich dachte, wenn du dich ändern kannst, dann kann ich das auch." Es ging nochmal ein „Aww" durch die Reihen.
„Du bist auch so schön. Aber jetzt bist du natürlich wunderschön... Also sind wir wieder ok?" Violet nickte. „Könnte nicht besser sein." Brooklyn grinste.
„Aber wenn du nochmal versuchst ins Weltall abzuhauen, kriegst du wirklich Ärger." Violet war immer noch verloren in Brooklyns nicht zu bändigenden Augen. Als würde darin ein Feuer lodern. Dann zog Violet Brooklyn noch einmal zu sicher heran. „Ich liebe dich auch." flüsterte sie, bevor sie Brooklyn noch einmal küsste.
Die beiden hatten gar nicht mitbekommen, dass jeder sie durchs Mikrofon mitgehört hatte und wie die Zuschauer plötzlich nach und nach aufstanden und applaudierten.
„Und jetzt, mach mich stolz!" murmelte Violet in den Kuss hinein und löste sich von Brooklyn, die Violet die ganze Zeit ansah und ihre Hand hielt, während sie sang. Ihr Herz fühlte sich an als würde es vor lauter Liebe zerspringen, von der Brooklyn nicht einmal vermutet hatte, dass es sie gab. So stark und unschuldig.
Und da war es wieder dieses Gefühl, als würden ihre beiden Herzen in einem Takt schlagen.

Und während Violet zwischen dem Publikum und Brooklyn hin und her sah, sah sie plötzlich einen Lichtschimmer. Sie sah zu ihm rüber auf das Spielfeld. Wo er stand. Ihr Dad. Eine wahre Erscheinung. Er grinste sein stolzestes Lächeln, was Violet je gesehen hatte. Als ob er stolz auf sie wäre, stolz auf ihre Leistung und vielleicht auch auf ihre Freundin. Stolz, dass sie zeigte, wer sie wirklich war.
Er fasste sich an die Brust, wo sein Herz sein würde und zeigte dadrauf. Mit den Lippen formte er ein: „Ich liebe dich." Und warf Violet noch einen letzten Luftkuss zu. Als würde er sagen wollen, dass genau jetzt, irgendwann ist. Und er drehte sich um und ging. Er ging dem Licht entgegen und lächelte bei dem Wissen, dass sein kleines Mädchen ihr Glück in den Armen eines anderen besonderen Mädchens gefunden hatte.

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