Kapitel 9 - Ein Teller Nudeln, der Boden und bohrende Blicke

465 31 2
                                    

"Some people change when they think they're a star." - Paris Hilton

Violets P.O.V
Als ich Brooklyn in der Cafeteria sitzen sah, begann mein Herz zu hüpfen. Ich hatte die ganzen letzten Tage mit ihr zusammen das Singen geübt. Nicht nur im Theaterraum. Als ich gemerkt hatte, dass sie soweit war, bin ich mit ihr in die U-Bahn Station gegangen. Sie hat mich dafür gehasst. Nicht nur, weil sie sich einfach hinstellen und singen sollte, sondern weil sie sich wie eine von den schmutzigen Obdachlosen gefühlt hatte, die dort normalerweise auf den Boden spuckten. Was sie nicht wusste war, dass ich viele von denen kannte. Ich brachte ihnen meistens meine restlichen Schulbrote mit und unterhielt mich mit ihnen kurz, bevor ich zurück in die U-Bahn in mein eigenes versifftes Viertel stieg.  Ich hatte nicht viele Freunde. Die hatte ich auch nie gehabt, aber diese Menschen, die dort unten in der U-Bahn saßen und auf etwas warteten, niemand weiß worauf, die konnten Freunde sein. Sie konnten nicht viel zurück geben. Aber das Wichtigste, das hatten sie. Und zwar Dankbarkeit. Sie schenkten mir jedes mal ein strahlendes Lächeln, wenn ich mich kurz zu ihnen setzte und einfach mit ihnen redete. Während alle anderen, nur naserümpfend an ihnen vorbei gingen und sie musterten wie Abschaum. Umso schlimmer war es, dass Brooklyn natürlich eine davon gewesen war.
Sie war vorher noch nie U-Bahn gefahren. Und hatte demzufolge auch noch nie eine U-Bahn Station von innen gesehen, deren Gestank sie fast umhaute.
„Mit was fährst du denn sonst, wenn du nicht U-Bahn fährst? Wie kommst du denn zur Schule?" fragte ich sie, als ich meinen Gitarrenkoffer an einer halbwegs sauberen und pinkelfreien Stelle der Pensington Station, abstellte.
„Mit meinem Chauffeur. Und wenn ich sonst irgendwo hin muss, gibts doch Uber." Die Antwort hätte mir klar sein müssen. Ich hatte die Augen verdreht und meine Gitarre aus dem Gitarrenkoffer genommen. Mein Goldstück. Mich verband eine tiefe Liebe mit meinen Instrumenten, die man nicht beschreiben konnte. Wenn ich anfing sie zu spielen, war es, als wären da nur noch ich und die Musik. Als könnte ich die Welt um mich drumherum ausschalten und für einen Moment auf stumm stellen. Musik war die einzige Möglichkeit mein Gedankenkarussel wenigstens mal kurz anzuhalten.
„Was machen wir jetzt eigentlich hier?" fragte Brooklyn dann mit einem angewiderten Blick auf den Kaugummi unter ihrem Fuß.
„Du meine Liebe..." ich zeigte auf sie... „wirst jetzt hier singen." Brooklyn fiel alles aus dem Gesicht.
„Bist du bescheuert? Vor den ganzen Menschen?"
„Du kannst jetzt ordentlich singen, jetzt wird es Zeit dein Lampenfieber unter Kontrolle zu kriegen. Sonst kannst du Milligan Records vergessen. Oder hast du das schon wieder verdrängt?" Sie biss sich resignierend auf die Unterlippe und flüsterte mir dann ein: „Was ist wenn mich jemand hier sieht? Jemand der mich kennt, du weißt schon!" entgegen. Ich verdrehte genervt die Augen. „Dann sieh einfach nicht hin. Außerdem glaubst du doch sowieso nicht, dass hier ernsthaft jemand von deiner Clique mit der U-Bahn fährt oder?" Brooklyn sah ein bisschen zweifelnd zu mir, dann gab sie aber nach. Mit verschränkten Armen sah sie sich immer wieder um. „Na dann mach aber los!"
Und sie hatte es wirklich durchgezogen. Sie war deutlich am Zittern und ihre Stimme war noch ein wenig brüchig. Am liebsten hätte ich ihre Hand genommen, um ihr ein wenig Halt zu geben, jedoch brauchte ich beide Hände zum Gitarre spielen. Aber ich wusste, sie kann das auch so. Und ich war unfassbar stolz auf uns beide gewesen. Auf Brooklyn mehr als auf mich. Ich war einfach glücklich. Es kamen auch immer mehr Leute, die uns umringten und deren Augen funkelten, als sie Brooklyns zarte, aber starke Stimme hörten. Viele um uns herum waren fasziniert von dem Kontrast den wir bildeten. Ein super hübsches, herausgeputzes Mädchen in diesem versifftem U-Bahntunnel.
Obwohl ich damit gar nicht gerechnet hatte, warfen einige Zuschauer sogar vereinzelt ein paar Münzen in meinen Gitarrenkoffer. Ich wollte nicht, dass sie uns Geld gaben. Zumal wir es gar nicht brauchten. Aber sie lächelten mich nur bedächtig an, als ob sie sagen wollten: „Ihr habt es euch verdient!"
Noch viel schöner als dieses Gefühl für all die Menschen zu spielen und zu sehen, wie sich etwas in ihnen bewegte, war jedoch der Stolz und die Erleichterung in Brooklyn zu sehen, als wir unsere Musikstunde beendet hatten.
Sie sprach noch die ganze Zeit wie ein Wasserfall von diesem einzigartigem Gefühl, als sie dort gestanden und gesungen hatte. Wie sie bewundert wurde und wie das kleine Kind in der ersten Reihe begeistert geklatscht hatte. Sie war nicht einmal ohnmächtig geworden und feierte ihren Sieg. Sie sprudelte förmlich vor Euphorie. Und ich war einfach glücklich, dass ich sie erreicht hatte. Dass sie glücklich war und mit mir einen Trinken gehen wollte. Einfach so, als wären wir zwei beste Freundinnen in ihrer eigenen Blase.  Und in diesem Moment dachte ich auch mal nicht daran, dass all das bald vorbei sein und diese Blase platzen könnte. Ich war einfach präsent.
Brooklyn wollte mir das Geld geben, was wir uns zusammen erspielt hatten. Aber ich hatte das nicht alleine verdient und ich wollte mir mit dem Geld Zeit mit Brooklyn kaufen. Denn im Endeffekt sind die wichtigen Abenteuer im Leben nicht nur die, von denen wir anderen erzählen können. Es ist doch viel schöner, wenn wir sie mit den wichtigsten Personen, denen wir diese Geschichten erzählen würden, zusammen erleben.
Also entschlossen Brooklyn und ich uns lieber, mit dem Geld etwas trinken zu gehen.

Reach for the starsWhere stories live. Discover now