Kapitel 3 - Das hast du verdient!

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"Who knows what true loneliness is—not the conventional word but the naked terror? To the lonely themselves it wears a mask. The most miserable outcast hugs some memory or some illusion."
― Joseph Conrad

Brooklyns P.O.V
Ich sah konzentriert in den Spiegel, welcher im Schulklo hing. Der hätte auch mal wieder geputzt werden können. Manchmal frag ich mich echt, ob meine Eltern mich bestrafen wollten. Mich auf diese Schule zu schicken. Eine ganz normale öffentliche Highschool. In der Privatschule, auf die auch alle Kinder der Geschäftspartner meiner Eltern  gehen, sind die Spiegel sicher weder durch Vandalen kaputt geschlagen, noch dreckig und dort gibt es sicher auch keine Kritzeleien an der Wand wie: „Wer das hier lesen kann: Viel Spaß bei deiner schnellen Nummer aufm Klo. Denkt an Verhütung!" Ich verzog angewidert das Gesicht und rümpfte die Nase. In der Westington Private School of New York riecht es auch sicher nicht nach Erbrochenem. Ich holte meinen matt roten Lippenstift aus meiner Handtasche und frischte angestrengt mein Makeup auf, während Sienna und Jenna mich imitierten. Eigentlich machten sie sowieso immer das, was ich tat. Manchmal waren sie mehr wie meine Schatten und ich war mir nicht einmal mehr sicher, ob sie überhaupt real waren. Oder einfach nur pure Einbildung. Weil sie nie eine eigene Meinung hatten, einen eigenen Stil oder etwas sagten, was ich nicht hören wollte.
Eigentlich echt ganz cool, immer recht zu haben. Auf der anderen Seite ziemlich langweilig.
Ich bemerkte in meinem Augenwinkel wie Jennas bohrender Blick auf mir ruhte.
„Was ist?" fragte ich sie, als ich meinen Lippenstift wieder in meine Tasche zu meinen anderen Schminkutensilien legte.
„Hattest du nicht gestern dein Treffen mit Violet Reese?" Ich hielt kurz inne und erstarrte. Ich hatte dieses Treffen mit Absicht verdrängt. Ich wollte nicht darüber reden. Und ich konnte es auch nicht, ohne nachdenklich zu werden. Ohne mich zu fragen, ob da vielleicht mehr zwischen uns war. Etwas was ich nicht zu lassen konnte... Irgendetwas hatte sie in mir bewegt, was mich nicht mehr loslassen konnte und was meine ganze Welt auf den Kopf stellte. Etwas, was ich nicht einmal beschreiben konnte.
„Es war nicht mein Treffen..." gab ich genervt zurück. Sienna zog interessiert eine Augenbraue nach oben. „Und wie schlimm war es auf einer Skala von Looser bis ich-möchte-lieber-mit-einem-Jungen-aus-dem-Schachclub- schlafen?" Ich seufzte genervt auf. Violet hatte recht. Jetzt wo mir Siennas Worte im Kopf hallten, hörte ich es auch. Diesen stechenden Unterton. Mir kamen diese Worte sonst so natürlich über die Lippen, aber ich fragte mich plötzlich immer wieder: Ist das die Version von mir selbst die ich sein möchte? Ich hatte mich entschieden.
„Lieber lasse ich mich von einem Bus anfahren." erwiderte ich kalt. Jenna hielt sich lachend die Hand vor den Mund, während ich meine Maskara auffrischen wollte. In dem Moment, als ich gerade ansetzte, zuckte ich zusammen, erschrocken von einem lautem Knall. Die hinterste Toilettentür schlug mit einem mal auf, stieß gegen die Wand und ein Mädchen mit blonden Haaren stürmte heraus. Erst erkannte ich sie überhaupt nicht, wie sie ihren Schulrucksack eng gegen die Brust drückte, den Kopf gesenkt hielt und ein leises Schluchzen unterdrückte.
Erst als sie aufsah und ich ihr Gesicht im Spiegel sah, bemerkte ich ihre grünen Augen unter der Nerdbrille, ihre Sommersprossen und den wütenden, sowie zugleich enttäuschten Blick darunter. Den Blick, den ich gestern schon einmal von der selben Person bekommen hatte. Violet hielt ganz kurz inne, nicht um sich die Hände zu waschen, sondern um mich mit einem bohrendem, tränenden Blick anzusehen. Der soviel sagte wie: „Ich hätte mehr von dir erwartet!" Es ließ mich vollkommen kalt. Ich verzog keine Miene. Violet schnaubte wütend und verließ dann so schnell wie sie gekommen war auch wieder den Raum. Jenna und Sienna sahen sich amüsiert und vielsagend an.
Jenna, die auf dem Waschbeckenrand gesessen hatte, sprang nun herunter und sah mich lachend und prüfend an.
„Was war das denn bitte? Hat Violet jetzt komplett den Verstand verloren?" Sienna stimmte ihr zu. „Ja ihr Blick war vollkommen schockiert. Als wäre sie ernsthaft getroffen gewesen... Was hat sie denn erwartet? Dass ihr jetzt Besties for life seid oder was?" Jenna lachte nun bitter.
„Pff... Du bist Brooklyn Young. Und sie... Ach sie weiß doch ganz genau, dass du auf einem ganz anderem Level bist als sie... Kindisch, nicht wahr?" Ich sah Jenna nur finster an. Ich wollte das Thema Violet jetzt einfach abschließen. Das war eine einmalige Sache gewesen. Ich würde Violet nur noch auf den Schulfluren sehen, ihre Blicke würden irgendwann aufhören, ihre Erwartungen würden wieder sinken und ich würde irgendwann dieses Gefühl vergessen, was sie bei mir hinterlassen hatte. Irgendwann würde alles wieder normal werden.
„Ach halt doch die Klappe..." fauchte ich. Und Jenna und Sienna sagten kein Wort mehr, sondern sahen sich nur noch mit irritierten Blicken an.

Reach for the starsWhere stories live. Discover now