Kapitel 6 - Nichts ist für immer

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"Du siehst die leuchtende Sternschnuppe nur dann, wenn sie vergeht." - Friedrich Hebbel

Brooklyn wurde von einem lautem Vibrieren neben ihrem Bett geweckt. Verschlafen öffnete sie die Augen. Als sie sich nach ihrem Handy ausstreckte, entwich ihr ein leiser, schmerzverzehrter Ton. Ihr Kopf schmerzte höllisch. Mit ihrem Handy in der Hand lies sie sich zurück in ihr Bett sinken. Auf dem Display stand der Name: „Violet". „Scheiße!" hauchte Brooklyn. Sie versuchte sich krampfhaft zu erinnern, was gestern Abend passiert war. So langsam kamen alle Erinnerungen zurück. „Fuck!" rief sie dieses mal etwas lauter, bevor sie dann Violets Nachricht öffnete.
„Heute Abend bei mir! Ich möchte dir etwas zeigen!" Brooklyn seufzte verzweifelt auf. So hatte sie sich das Ganze nicht vorgestellt. Woher hatte Violet eigentlich ihre Nummer?
„Wieso? Wieso ich?" Lachte sie nur verzweifelt auf, während sie ihr Handy neben sich fallen lies und sich mit den Händen übers Gesicht fuhr.

Einige Zeit später befand sich Brooklyn auch schon auf Violets Straße. Sie hatte ihr die Adresse geschickt, aber jetzt war sich Brooklyn nicht mehr ganz so sicher, ob sie hier richtig war. Für sie sah das hier nicht nach einer Gegend aus, wo man wirklich leben könnte. Die Broonx oder so. Die Häuser waren schäbig, riesengroß und grau. Brooklyn schrie kurz auf, als eine Ratte plötzlich vor ihr aus einer Hausecke flitzte und in die nächste Kanalisation raste. Brooklyn drehte sich nocheinmal kurz nach der Ratte um, die in den Untiefen der Stadt verschwunden war. Gerade in dem Moment prallte sie fast mit Violet zusammen, die lässig an einem Hauseingang gelehnt hatte.
„Vorsicht Brooklyn!" sagte sie nur. Brooklyn fühlte sich absolut unwohl.
„Sag mal, warum lockst du mich in solche Absteigen?! Wenn du mich umbringen möchtest, dann mach es bitte kurz und schmerzlos! Aber dann brings hinter dich!" Violet verdrehte nur die Augen, während Brooklyn von einem auf den anderen Fuß trat.
„Na komm schon rein!" Violet öffnete die Tür zu dem Hochhaus, neben dem sie standen.
Brooklyn blieb wie angewurzelt stehen.
„Wie jetzt... Du wohnst wirklich hier?" Violet nickte. Und plötzlich überkam Brooklyn ein winziges bisschen Mitleid. Hier war es dreckig und eklig, nicht besonders gepflegt und schön, wie sie es gewohnt war. Für sie war es unvorstellbar unter solchen Umständen zu leben. Sie bemühte sich krampfhaft nichts in dem Haus anzufassen, als sie durch die große Glastür zum Fahrstuhl traten.
„Wieso hast du eigentlich so lange gebraucht? Du solltest vor 2 Stunden hier sein!" Violet sah Brooklyn mit verschränkten Armen an, bis sie den Knopf für die letzte Etage betätigte.
„Wohnst du etwa im letzten Stock?" Violets Blick wurde noch ein Zacken finsterer.
„Nein und jetzt lenk nicht ab!" Brooklyn straffte ihre Schultern und schaute überheblich zu Violet. „Es braucht eben eine Weile um so..." Sie zeigte an sich herunter... „...auszusehen." Violet schnaufte verächtlich. Wenn sie nicht so sauer gewesen wäre, hätte sie durchaus lachen müssen.
„Verdammt, Brooklyn. Kannst du dieses arrogante Getue nicht einmal abstellen?" Brooklyn biss verärgert die Zähne aufeinander, als sie ihren ersten Schock überwunden hatte. „ Ich bin nicht einer deiner Schoßhunde. Also benimm dich auch nicht so! Ich will dir schließlich helfen." Brooklyn trat näher an Violet heran.
„Ich hab dich nicht dadrum gebeten mir zu helfen. Wieso tust du das dann überhaupt?" Violet schnaubte, drehte sich auf dem Absatz um und schritt schnellen Schrittes aus dem Aufzug. „Das frag ich mich auch!"
Violet stiefelte weiter. Brooklyn zuckte nur mit den Schultern als wäre sie sich keiner Schuld bewusst.
Violet blieb auf einmal stehen, drehte sich um, musterte Brooklyn und knirschte mit den Zähnen.
„Und lauf nicht so, das macht mich ganz irre!" Brooklyn zog verwundert eine Augenbraue nach oben.
„Wie lauf ich denn?" Sie schien ganz überrumpelt.
„Na,... wie ein Victoria Secret Model halt. Lass das einfach, ok?" Brooklyns Miene wurde ein bisschen weicher und sie ein bisschen nachsichtiger. Violet schien wirklich verletzt durch ihre Worte zu sein. Als Violet weiter stapfen wollte, hielt Brooklyn sie ganz vorsichtig am Arm fest und drehte sie zu sich herum. Sie sah ihr ganz fest in die Augen. „Nimm dir nicht immer alles um dich drumherum so an. Manchmal macht man die Dinge gar nicht so bewusst oder mit Absicht, ok? Das liegt nicht immer an dir. Oder vielleicht schon ein bisschen." Violets Augen schienen ein bisschen wässrig zu werden. Wie ein kleines Mädchen stand sie da und sah zu Brooklyn auf, die fast einen Kopf größer war als sie.
„Wieso?" Brooklyn strich ihr über die Haare, fast schon beschützend.
„Weil du die Dinge siehst und bemerkst. Das ist gar nichts schlechtes, aber den meisten Leuten würden diese Kleinigkeiten, wie diese arroganten Untertöne nicht einmal auffallen. Aber das ist schon ok.
Ist jetzt wieder alles gut bei dir?" Violet wischte sich schnell mit dem Handrücken über das Gesicht. Am liebsten hätte sie sich plötzlich einfach nur noch an Brooklyn gelehnt, ihren Kopf an ihr Herz gehalten und diesem zugehört, wie es bedächtig schlägt. Sie wollte Brooklyns Atem spüren und ihren Duft einatmen. Sie wollte sich noch sicherer fühlen. Violet wurde ganz ruhig, als sie in Brooklyns Augen sah. Als könnte Brooklyn all das Böse aus der Welt vertreiben.
Erleichtert atmete Violet auf. Sie kannte dieses Gefühl nicht, was sie plötzlich hatte, aber es machte sie ganz kribbelig. Sie fühlte sich gegenüber Brooklyn gleichzeitig so vertraut und doch so unbehaglich zu gleich.
„O...Ok, ähm ja lass uns... Ähm ich wollte.... Ja wir sollten da lang gehen..." Violet führte sie zu einer schweren Hintertür.
„Ach du scheiße, willst du mich jetzt doch entführen? Glaub mir, ich hab das alles nicht so gemeint, ich schwöre!" Violet musste ein bisschen kichern.
„Vertrau mir doch einfach mal!" sie grinste wieder, als wäre nie etwas gewesen.
„Ich kann niemandem Vertrauen, Violet!" Sie lächelte verständnisvoll.
„Ich weiß, Brooklyn. Komm einfach mit!" Violet führte Brooklyn eine Leiter nach oben. Sie öffnete dann die Luke über ihrem Kopf und kroch nach draußen. Schon als Brooklyn nach oben sah, konnte sie den Sternenhimmel sehen. Wie die Sterne auf sie herableuchteten. Der Sternenhimmel war hier so klar. Violet streckte Brooklyn von oben eine Hand entgegen, die sie ergriff. Sie sah sich fasziniert auf dem Dach um. Man konnte über die ganze Stadt sehen. Die Luft war frei und klar. Es fühlte sich an, als könnte sie das erste mal so richtig atmen. Die Lichter erstreckten sich unter ihren Füßen und sie hielt für einen Moment die Luft an.
„Und wie findest du's?" fragte Violet. Sie blinzelte Brooklyn von unten herab an. Am liebsten hätte Brooklyn die ganze Welt umarmt. Sie war durchflutet von Glücksgefühlen und wusste nicht wohin mit all ihren Emotionen. Das versuchte sie sich aber nicht anmerken zu lassen.
„Ganz ok!" Violet hatte ihren Blick gesehen und wusste ganz genau, dass da mehr war. Sie wollte aber nichts sagen. Es war schon gut. Brooklyn wollte sich Zeit lassen mit ihren Gefühlen. Man kann nicht einfach sagen, dass man etwas liebt. Das kann man nicht einfach so heraushauen. Zumindest nicht nach Brooklyn.
„Wieso sagst du nicht wie es wirklich ist?" platzte es dann doch aus Violet heraus. Sie setzte sich an den Rand des Daches und sah auf die Stadt unter sich herunter. Brooklyn wollte etwas sagen, wusste aber ehrlich gesagt gar nicht, wieso das so war. Das war eben so eine Sache. Mit Jenna und Sienna war es immer so gewesen. Da war man eben neutral und hat nicht gesagt, dass man gerade der glücklichste Mensch auf Erden ist. Aber vielleicht auch, weil man das nie war. Manchmal fragte sich Brooklyn, wieso Partys sie nie so ganz erfüllten. Da war sie schließlich jedes Wochenende mit Sienna und Jenna. Aber irgendwie fehlte immer etwas. Selbst wenn man am Abend davor sturzbesoffen die geilste Nacht seines Lebens gehabt hatte, wachte man am nächsten Morgen auf und fühlte sich hundeelend, kalt und leer.
Plötzlich schreckte sie auf. „Scheiße, ich habe mich gar nicht bei Sienna und Jenna gemeldet." Brooklyn holte ihr Handy heraus und wollte gerade eine Nachricht beginnen, als Violet ihren Arm herunter drückte.
„Brooklyn! Du lebst für dich, nicht für sie. Du bist ihnen keine Rechtfertigung schuldig!" Violet strahlte so eine Ruhe aus, dass Brooklyn tatsache wie hypnotisiert ihr Handy sinken lies.
„Es ist alles gut. Genieße doch einfach mal den Moment. Wenn du es mit Worten schon nicht ausdrücken kannst..." Brooklyn setzte sich zu Violet, jedenfalls nach dem sie versucht hatte den Boden etwas zu reinigen um ihr Designerkleid nicht schmutzig zu machen. Stirnrunzelnd beobachtete Violet sie.
„Du bist wirklich ganz anders als ich." lachte sie. Brooklyn musterte sie nun genauer. Mit ihrer ausgewaschenen, löchrigen Boyfriendjeans, ihren etwas kaputtgelaufenen Schuhen und dem zu großem T-shirt war sie wirklich anders und Brooklyn versuchte sich Violet in anderer Kleidung vorzustellen. Sie ertappte sich bei dem Gedanken, dass Violet dann durchaus attraktiv wäre. Mit ihren Sommersprossen und den hellen blonden Haaren. Dem verschmitztem, süßen Lächeln und ihrer Zärtlichkeit.
„Was machen wir denn eigentlich hier?" Violet zuckte die Schultern.
„Wieso muss es denn immer ein Warum geben? Ich wollte dir einfach mal zeigen, wie es sich anfühlt, mehr zu sein. Sich unendlich zu fühlen." Violet sah Brooklyns irritierten Blick.
„Vergiss es. Ich..." Violet biss sich auf die Unterlippe. Statt zu sagen: „Ich wollte dich bei mir haben." brachte sie nur ein: „Ich liebe einfach den Sternenhimmel so sehr..." heraus. Brooklyn nickte. „Ich auch." Aufmunternd lächelte sie zu Violet, die ihre Beine heranzog und mit ihren Armen umschloss.
„Nur schade, dass die Sterne irgendwann mal erlöschen werden." Brooklyn sah fragend zu ihr.
„Was meinst du denn damit?" Violet zuckte die Schultern und sah wieder über die Brüstung. „Stephen Hawking hat gesagt, dass einer der größten Gefahren für die Erde ist, einfach im Dunkeln zu verschwinden. Wenn die Sterne aufhören zu strahlen. Dabei liebe ich die Sterne doch so. Egal wie dunkel es um einen herum ist, die Sterne leuchten Einem immer den Weg..."
„Wie eine Konstante im Leben." ergänzte Brooklyn. Violet sah sie erstaunt an und ihr Gesicht erhellte sich.
„Ja..." Brooklyn sah nun auch zu ihr.
„Jetzt erwarte nur nicht immer solche intelligenten Sätze von mir. Wir müssen echt aufhören damit, du machst mich noch ganz schlau, pff. Dann muss ich ja demnächst meine Aufsätze doch noch selber schreiben!" Brooklyn versuchte ernst zu bleiben, aber dann mussten doch beide lachen.
„Es ist schön, dass du hier bist...." Violet sah verlegen auf ihre Füße. „Ich weiß, du hast wahrscheinlich was Besseres zu tun,..." Brooklyn winkte ab.
„Ist schon ok, ist ja nicht für immer." Das versetzte Violet einen schmerzhaften Stich.

Reach for the starsWhere stories live. Discover now