Kapitel 15 - Ich muss dir etwas sagen...

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"Speak when you are angry and you will make the best speech you will ever regret." ― Ambrose Bierce

Violets P.O.V
Irgendwie war alles normal geworden in den letzten Tagen. Nachdem Brooklyn und ich uns den Sonnenuntergang angesehen hatten, waren wir zu mir gegangen. Ich war anfangs dagegen gewesen, weil am Wochenende meistens der Freund meiner Schwester zu Besuch war. Und leise waren dann beide nicht. Als wir also am Sonntag Morgen vor der Haustür standen, stand meine Schwester mit zerzausten Haaren und einem verwundertem oder eher gesagt, verlegenem Blick, vor mir.
Seitdem lebte Brooklyn quasi vorerst bei uns. Bis sich ihre Mutter beruhigt hatte. Ehrlich gesagt, wussten wir nicht wie es weiter gehen sollte.
Brooklyn und ich taten weiter so, als wären wir einfach beste Freunde und trotzdem eigentlich Ferien waren, übten wir fleißig.
Das Vorsingen meiner Freundin war schließlich nicht mehr lange hin und es gab noch eine Menge zu tun. Meine größte Angst war, dass sie vor Lampenfieber zusammen klappte und alles um sonst gewesen war.
Also hatte ich mir als letzte Hürde etwas ganz Besonderes ausgedacht.
„Violet, was hast du jetzt wieder vor?" stöhnte Brooklyn genervt, als wir vor dem Theaterraum standen. Dieses mal allerdings vor dem Hintereingang. Die Schule war ja schließlich geschlossen.
„Na wir gehen üben."
„Im Theaterraum? Während der Ferien? Wie stellst du dir das denn vor?" Ich schmunzelte leicht verführerisch.
„Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg." Ich fummelte eine Haarspange aus meinen Haaren, die mir Brooklyn heute morgen hingebungsvoll gelockt hatte. Sie liebte diese Locken an mir und mit den Kontaktlinsen musste sie sich immer sehr beherrschen, ihre Finger bei sich zu behalten. Und ich muss auch ganz ehrlich zugeben, mir gefiel ich jetzt auch viel besser. Brooklyn hatte mir sogar gezeigt, wie man sich schminkt und jetzt weiß ich auch, wo der Lidschatten hingehört. Ich muss auch leider sagen, dass ich vorher wohl eine Makup Katastrophe gewesen bin.
Ich steckte die Haarspange ins Schloss und drehte diese geübt hin und her.
„Violet, das klappt nur in den Filmen... Lass gut sein." stöhnte Brooks nur genervt. Gerade in dem Moment, ploppte die Tür nach innen auf und ich sah Brooklyn vielsagend an. Na bitte geht doch... Brooklyn zog skeptisch eine Augenbraue nach oben, als sie an mir vorbei zum Backstage Bereich ging.
„Du kannst mir nicht sagen, dass das das Erste mal war, dass du sowas gemacht hast. Sei ehrlich!" Ich nickte genervt. „Ja schon, aber nur ein paar mal." Brooklyn blieb beeindruckt stehen. „Ein paar mal? Komm schon, das sah schon ziemlich routiniert aus." Eigentlich wollte ich nicht mit der Sprache rausrücken. Aber Brooklyns bohrender Blick quetschte die Wahrheit aus mir heraus. Wir gingen die Treppe auf den hinteren Teil der Bühne hinauf, der vom Vorhang abgegrenzt wurde.
„Naja vielleicht so jedes Wochenende die letzten 2 Jahre..." murmelte ich. Brooklyn blieb ruckartig vor mir stehen.
„Sag mal, du bist ja ein richtiges Bad Ass. Wieso machst du denn sowas?"' Ich zuckte verlegen mit meinen Schultern.
„Du hast meine Schwester und ihren Freund doch... naja du warst doch dabei. Das muss ich mir doch nicht jedes Wochenende antun." Brooklyn musste lachen und dabei stellte ich wieder einmal fest, wie sehr ich ihr Lachen liebte.
Wir setzten uns letztendlich an den Rand der Bühne und ich holte mein Handy raus.
„Was wird das jetzt?" Brooklyn stand schon die Panik ins Gesicht geschrieben. Ich nahm Brooklyns Hand, an der ihr Ring steckte und strich darüber.
„Atme tief ein und aus. Ich hab mir für den letzten Schliff etwas ganz Besonderes einfallen lassen." Brooklyn schüttelte mit dem Kopf.
„Pack bloß das Handy weg!" Sie wollte mir schon das Handy aus der Hand reißen, aber ich war schneller. „Du hast meine Idee doch noch gar nicht gehört!" Brooklyn seufzte resigniert auf. „Du kannst dann ja immer noch nein sagen." Konnte sie nicht... Wir würden das so oder so durchziehen.
„Pass auf... Ich habe vor einiger Zeit einen Social Media Account erstellt. Und die Leute dort lieben dich! Es sind sogar gar nicht mal so wenig. Wenn du vor denen singen kannst, dann kannst du das auch bei Milligan Records, verstehst du?
Wir werden heute einen Lifestream machen und das ist dann deine Probe aufs Exampel."
Brooklyn schüttelte wieder hektisch mit dem Kopf.
„Nein! Vergiss es!" Ich wurde langsam sauer, versuchte aber recht gelassen zu bleiben.
„Brooklyn, diese Menschen kannst du nicht sehen. Die sind nur hier drin!" Ich zeigte auf mein Handy. „Diese Angst ist nur in deinem Kopf." Brooklyn sprang auf und wollte davon laufen. Aber ich packte ihr Handgelenk und zog sie zu mir, sodass sie mir in die Augen schauen musste. „Brooklyn, man kann nicht immer vor allem davon laufen. Wenn du jetzt gehst, war unsere ganze Arbeit umsonst. Steh deinem Traum doch nicht selbst im Weg! Weißt du nicht mehr, was ich dir ganz am Anfang gesagt habe?" Brooklyn knirschte mit den Zähnen.
„Komm schon! Ich glaube an dich. Dann kannst du das auch!" Brooklyn ließ etwas lockerer. Ich gab ihr noch einen sanften Kuss auf die Lippen und dann setzten wir uns wieder an den Bühnenrand. Brooklyn zitterte und auch ich war etwas aufgeregt. Aber das sagte ich natürlich nicht. Und so griff ich nach Brooklyns Hand und startete den Lifestream. Brooklyn schaute nur perplex auf die Zuschauerzahlen, die immer weiter stiegen.
Ich erklärte unseren Zuschauern kurz die Situation und wer wir beide überhaupt waren. Bis jetzt hatte ich ja nur Brooklyn auf diesem Profil gezeigt.
„Bitte seid nachsichtig mit ihr." ergänzte ich noch schnell. „Sie wusste von diesem Account gar nichts. Ich hab sie jetzt einfach ins kalte Wasser geschubst." Brooklyn nickte zustimmend.
„Eigentlich bin ich schon sauer auf Violet, aber wie kann man ihr denn solange böse sein?" Sie kicherte und meine Ohren liefen knallrot an. Je mehr Komplimente und nette Kommentare eintrudelten, desto lockerer wurde Brooklyn. Und ich hingegen noch knallroter. Das war nämlich das erste mal, dass die Leute auch nette Sachen über mich sagten. Sachen wie: „Du hast so schöne Locken!" oder „Ich liebe dein Makeup, Violet!" Plötzlich war sogar Brooklyn diejenige, die meine Hand beruhigend drückte. Sie merkte, wie ich plötzlich immer aufgeregter wurde.
Nach ein paar Minuten nickte ich Brooklyn dann zu. Schließlich waren wir hier zum Singen und nicht nur um mit unsern Fans zu quatschen. Obwohl ich mich plötzlich wie ein Star fühlte. Und ein Gewinner. Diese Bestätigung tat mir besser, als ich gedacht hatte. Ehrlich gesagt, hatte ich gar nicht gedacht, dass mich irgendwer überhaupt bemerkt. Normalerweise war ich ja immer eher die kleine, graue Maus.
Brooklyn übernahm also die Kamera und ich setzte mich ans Klavier. Dieses mal machte mich das Lampenfieber allerdings ganz nervös und mir verschwammen die Tasten vor den Augen. Das kannte ich von mir gar nicht. Brooklyn hinter mir schien zu warten. Sie sah allerdings in meinem Blick, dass etwas nicht stimmte. Sie lächelte mich mutmachend an.   
Mein Lächeln hingegen schwand. Brooks legte mein Handy mit den Worten: „Tut mir leid, für die Verzögerung, ich muss mal kurz die... technischen Störungen beheben." ab. Sie lehnte das Handy an ihre Tasche, sodass unsere Zuschauer für einen kurzen Moment nur den Hintergrund der Bühne sahen.
Brooklyn stellte sich neben mich, strich mir über den Rücken, beugte sich neben mein Ohr und sagte ganz leise, sodass nur ich sie hören konnte: „Wenn ich das kann, dann kannst du das erst recht. Du hast mir gezeigt, dass diese Bühne eine Erfüllung ist. Jetzt ist es deine Aufgabe, mir das vorzuleben, ok Schatz?" Sie drückte mir einen leichten Kuss auf die Wange und wandte sich wieder unseren Zuschauern zu, während mir bei dem Wort „Schatz" eine Gänsehaut über den Rücken lief. Ich musste verstohlen lächeln. Schatz klang so unreal und ließ mein Herz hüpfen.
Also schloss ich die Augen und tat wieder so als wäre ich alleine und erinnerte mich an Brooklyns und meine erste Begegnung hier im Theaterraum. Wie sehr sich Brooklyn auch verändert hatte und wie ich selbst über mich hinausgewachsen war. Wie sich mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt hatte und wie ich jeden Tag besser werden wollte, als den vorherigen.
Und es fühlte sich wieder so an, als würde ich alleine hier sitzen. Ich merkte förmlich, wie mir die Tränen wie damals im Hals aufstiegen. Ich erinnerte mich an meine zerbrochene Brille und hatte noch den Schrecken in den Gliedern, als dort plötzlich Brooklyn stand. Der Unterschied war allerdings: Jetzt war sie nicht mehr Brooklyn. Sondern Brooks. Sie war nicht mehr dieses Mädchen, was mit jedem Jungen ins Bett sprang, sondern das Mädchen, was mich morgens zärtlich wach küsste.
Und es war nicht mehr der gleiche Song. Es war unser eigener. Den ich für Brooklyn geschrieben hatte. Irgendwie hatte mich Brooklyn dann doch dazu überredet. Sie hatte gesagt, sie sei einfach nicht kreativ genug, was mich an unser Treffen für unser Kunstprojekt erinnert hatte.
„Brooklyn, in jedem steckt ein bisschen Kreativität. Man muss sie nur herauskitzeln." hatte ich entgegnet. Das konnte ich tatsächlich. Zumindest ein paar Verse waren von ihr. Und ich fand das Lied perfekt. Genau wie sie.
Wenn man genau hinhörte, spiegelte es unsere Geschichte wieder. Zumindest in kleinen Scherben.
Brooklyn war inzwischen total aufgeblüht. Ich hätte ihr stundenlang zuhören können. Aber das Lied kam zu seinen letzten Worten und sobald Brooklyn den letzten Ton geformt hatte, fiel all der Druck von mir ab. Ich sprang vom Klavier auf und fiel Brooklyn um den Hals, die die Kamera geistesgegenwärtig wegdrehte, als sie mir einen leisen und kurzen Kuss aufdrückte. Ich hatte nichts davon gesagt, dass Brooklyn und ich sowas wie ein, wow klingt das merkwürdig, Paar waren. Social Media ist schließlich nicht gerade für seine beständige Toleranz bekannt. Und ich wollte auch nicht, dass diese Sache die Runde macht. Nicht meinetwegen. Sondern um Brooklyn zu schützen. Ihr Ruf hing bereits am seidenen Faden und ich wusste nur zu gut, was die Meinung anderer für einen Einfluss auf unser Leben hatte. Umso schöner war unser kleines Geheimnis, was zwischen uns wie eine hübsche Blüte wuchs.

Reach for the starsTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang