Onyx

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Es gibt Dinge die jeder Mensch automatisch tut. Atmen, Blinzeln oder Verdauen zum Beispiel.
Gelegentlich jedoch, kam es vor das man selbst diese Dinge einfach vergaß. So ist es bei mir oft mit dem Blinzeln der Fall! Wenn ich zu sehr auf etwas fokussiert bin, die Augen weit aufreiße und nur die Pupillen wie wild von einer Seite zur anderen schießen kann es gut vorkommen das ich für unwahrscheinlich lange Zeit einfach so verweilen würde und das ohne ein einziges Mal die Augen zu schließen. Irgendwann würden meine Augen unweigerlich anfangen zu Tränen und zu brennen, bis ich die Lider schließlich hart aufeinander presste. Meist unfreiwillig und mit einem entnervten Schmerzensschrei auf den Lippen. Ich würde die Arme hoch reißen um über meine erschöpften Augen zu reiben und dann-...
„Tod Kim Jongin. Das dritte Mal in Folge."
„Was?" Ich riss die Hände hinunter, der Controller noch immer fest von meiner rechten Hand umklammert. „Moment! Das war nicht fair, ich hatte 'ne Auszeit! Auszeit! Meine Augen haben gebrannt! Ich war nicht bereit!"
„Nette Ausrede, aber die kauft dir keiner ab."
„Hyung das war keine Ausrede!"
Kyungsoo schüttelte amüsiert den Kopf. „Game Over."
„Hyung!", stöhnte ich und warf den Kopf in den Nacken um meine Unzufriedenheit noch deutlicher zu machen. „Es waren wirklich meine Augen! Ich habe nicht geblinzelt und sie haben angefangen weh zu tun, und irgendwann haben sie gebrannt und dann musste ich sie einfach schließen!", erklärte ich und fuchtelte umständlich mit meinen Armen herum. Kyungsoo biss sich auf die Unterlippe um ein Lachen zu unterdrücken. „Verstehst du jetzt? Ich habe nicht wirklich verloren. Ich wurde hereingelegt von meinen eigenen Augen und-..." Ein Kissen kollidierte mit meinem Gesicht und dämpfte die restlichen Worte, die ich noch hinzugefügt hätte.
„Aish ist ja schon gut. Wenn's dich beruhigt kann ich diese Runde einfach nicht speichern und aus der Rekord-Tabelle löschen. Alles klar?"
Das gute an Kyungsoo war, das er sich meist ganz nach dem Prinzip: ‚Der Klügere gibt nach' wandte, was mir meist sehr entgegen kam.
Kyungsoo hantierte mit seinem eigenen Controller, drückte ein paar Knöpfe und tat was er versprochen hatte.
„Wenn du schon dabei bist", warf ich grinsend ein. „Die Male als ich davor verloren habe, da habe ich zwar nichts gesagt, aber in Wahrheit gibt es auch sehr logische Gründe die meinen Sieg vereitelt haben."
„Ach?", fragte Kyungsoo mit einer gehobenen Augenbraue.
„Ja ganz ehrlich! Also das Mal davor, da war ich so konzentriert dass meine Verdauung plötzlich schlapp gemacht hat! Und davor, da habe ich vergessen zu atmen! Lustige Geschichte Hyung, glaub mir. Auf jeden Fall habe ich vergessen zu atmen und du weißt ohne Sauerstoff funktioniert die Sache mit dem Leben nicht so recht, also musste ich meine wertvolle Konzentration vom Spiel abwenden um zu atmen!"
„Du bist wirklich ein schrecklicher Verlierer Jongin." Er lächelte während er das sagte.
„Hyung du hörst nicht zu! Ich sagte damit doch in Wahrheit-..."
Wahrscheinlich hätten wir noch ewig einfach so weiter geplärrt, wenn in diesem Moment nicht das Öffnen meiner Zimmertür unsere Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte. Die Person die im Türrahmen stand, hatte einen Anzug an, dunkle Hosen mit Bügelfalte, ein weißes, strahlendes Hemd, zerknittert von einem anstrengenden Tag und eine Krawatte die bereits oben gelockert war und nun nur noch lose um den Hals hing. Das passende Jackett zum Business-Look hing meinem Vater den rechten Arm hinunter, wie einem Kellner ein weißes Handtuch in den besonders feinen Lokalen.
„Kyungsoo, schön dich zu sehen." Dad lehnte sich erschöpft an den Türrahmen und lächelte auf uns herab. „Bleibst du heute über Nacht bei Jongin?"
Wie aufs Stichwort schnellte der Kopf meines Kindheitsfreundes zu dem großen Fenster über meinem Schreibtisch und wir staunten beide nicht schlecht über die tiefe Finsternis die sich draußen breit gemacht hatte.
„Oh mh, nein eigentlich nicht", antwortete er zerknirscht und kratze sich verlegen am Hinterkopf.
„Es ist schon spät", stellte der ältere Mann fest und dämpfte gleichzeitig ein Gähnen in seinem Handrücken. „Du solltest nicht mehr alleine auf die Straße gehen, ich fahre dich nach Hause."
Eines der Dinge die ich am meisten an Kyungsoo schätzte war seine Freundlichkeit. Dabei durfte man mich nicht falsch verstehen. Der Kerl konnte ein Teufel sein, Satan höchstpersönlich. Videospiele spielte er ohne Gnade oder Mitleid, aber im wahren Leben handelte er meist sehr Uneigennützig und fürsorglich.
„Nein ist schon in Ordnung Mr. Kim, ich brauche nur etwa zehn Minuten wenn ich mich beeile, es ist nicht weit."
„Dennoch, es ist schon dunkel und mit meinem Wagen brauchen wir gerade mal zwei Minuten. Ich werde besser schlafen können, wenn ich weiß das du gut Daheim angekommen bist."
Kyungsoo erhob sich aus seinem Schneidersitz und strich sich die Jeans glatt. „Sie sind selbst erst gerade eben nach Hause gekommen Mr. Kim, Sie sehen müde aus."
Das konnte mein Vater nicht abstreiten, er konnte sich ja kaum aufrecht auf beiden Beinen halten. „Na gut, dann soll wenigstens Jongin dich ein Stück begleiten."
„Ach für mich ist es in Ordnung alleine im Dunkeln herum zu laufen? Alter Mann du bist viel zu offensichtlich wen von uns beiden du lieber als Sohn hättest."
„Wenigstens nennt Kyungsoo mich nicht ‚Alter Mann' du Flegel."
Ich verdrehte die Augen und stand ebenfalls auf. „Ja ja alter Mann, geh schlafen ich sorge dafür das dein Lieblings Sohn sicher nach Hause kommt."
Ich zwinkerte Kyungsoo zu um ihm zu zeigen, dass ich nicht wirklich etwas dagegen hatte ihn zu begleiten und meinen Vater nur aufzog. Als ich durch die Türe gehen wollte, schlang mein Dad mir den Arm um den Hals und drückte meinen Kopf fest an seine Brust. „Hey Stopp! Lass das! Aufhören!", weinte ich während er mir gleichzeitig mit den Knöcheln ordentlich über die Kopfhaut rubbelte bis es brannte und höllisch wehtat. Ich duckte mich aus seinem Griff heraus und funkelte ihn wütend an, während ich meine Haare wieder platt drückte. „Nicht lustig alter Mann!" Dennoch konnten wir beide uns ein Grinsen nicht verkneifen.
Mein Vater begleitete uns die Treppe hinunter, bis zur Garderobe vor der Eingangstür. Während Kyungsoo und ich Schuhe und Jacken anzogen, stand Dad mit verschränkten Armen vor der Brust da und sah uns zu. Aufmerksam gemacht von dem Licht im Flur und den Geräuschen vor der Haustüre, schlüpfte auch Mrs. Kim aus dem Wohnzimmer.
„Ach du gehst schon Kyungsoo?"
„Ja es wird Zeit", lächelte mein Kindheitsfreund zurück und unweigerlich musste ich daran denken, dass meine Mom mir mal verraten hatte, dass ihr immer warm ums Herz wurde wenn sie Kyungsoo lächeln sah. ‚Es ist als würden seine Lippen Herzen überbringen, findest du nicht?' hatte sie mal gesagt und tatsächlich hatte sie nicht unrecht. Kyungsoos Lippen formten wirklich ein Herz wenn er lächelte. Nur war mir das bevor sie es erwähnt hatte, noch nie aufgefallen.
„Ah jetzt hätte ich es fast vergessen!", äußerte sie als meine Hand bereits auf der Türklinke lag. Sie rannte den Flur hinunter in Richtung Küche und verschwand für eine Sekunde, bevor sie mit einer großen Tupper-Box zurückkehrte. „Wie geht es deiner Mutter?", fragte sie sanft, während sie Kyungsoo die orangefarbene Box in die Hände drückte.
„Oh, unverändert", lächelte er.
Meine Mutter nickte. „Da drinnen sind ein paar Kleinigkeiten die du einfach aufwärmen kannst. Ich habe zu viel zum Abendessen gekocht und wollte nicht das die Sachen schlecht werden."
„Danke das ist sehr freundlich." Kyungsoo verbeugte sich leicht und meine Mutter winkte bescheiden ab.
„Trödelt nicht zu sehr!", rief mein Vater uns noch hinterher, ehe ich seufzend die Türe hinter uns zu zog.
„Echt peinlich die beiden", beschwerte ich mich während wir die Einfahrt hinunter liefen.
„Finde ich nicht", erwiderte Kyungsoo und drückte die orangefarbene Box gegen den Bauch.
„Du musst auch nicht mit ihnen leben!"
Er stieß mich mit der Schulter an, so dass ich leicht zur Seite taumelte. Wir lachten leise, während wir im Schein der Straßenlampen an den Nachbarhäusern vorbei liefen.
Eigentlich hatte ich nur geplant Kyungsoo ein Stück zu begleiten, doch letztlich landeten wir vor seinem Zuhause und Kyungsoo beschwerte sich darüber das ich nun den ganzen Weg alleine zurücklegen müsste.
„Ich bin ein großer Junge, keine Sorge."
„Ach, sagt der vermeintlich große Junge der sich vom Blinzeln hat außer Gefecht setzen lassen."
„Touché", meinte ich achselzuckend und Kyungsoo schüttelte nur den Kopf.
„Also...", ich vergrub meine Hände tiefer in den Hosentaschen, während ich das Wort in die Länge zog. „Das ist wohl der Moment indem der Junge das Mädchen zum Abschied küsst."
Kyungsoo prustete los und wandte sich ab. „Such dir 'ne Freundin Jongin, du wirkst verzweifelt", rief er mir über seine Schulter hinweg zu, während er zu der Haustür des grauen Mehrfamilien Hochhauses schritt, bevor er ohne einen weiteren Blick über die Schulter zu werfen hinter der Türe verschwand.
Grinsend machte ich ein paar Schritte rückwärts, während ich nach oben spähte. Vor dem Hintergrund des schwarzen Abendhimmels das nur von dem Leuchten eines Flugzeuges unterbrochen wurde, erstreckte sich das Hochhaus in weite Höhe. Dort im zehnten Stock hatte Kyungsoo sein kleines Zimmer. Ich wartete ein paar Minuten, bis schließlich ein weiteres Licht den Kolossen aus Beton erhellte. Jetzt konnte ich mit gutem Gewissen die freudige Botschaft überbringen das Do Kyungsoo tatsächlich sicher Zuhause angekommen war.
Ich wandte mich ab und trat den Heimweg an.

DiamantenstaubOnde histórias criam vida. Descubra agora