Achat

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Pünktlich um 17 Uhr als die Schulglocke das Ende des Tages verkündete, vibrierte mein Smartphone in der Hosentasche. Ich zog es heraus und staunte nicht schlecht über den Namen des Absenders der auf meinem Display aufleuchtete.
 „Jongin hast du nach der Schule Zeit?“, fragte Kyungsoo in dem Moment und ich zuckte ein bisschen zusammen, so vertieft war ich in meinen Gedanken.
 „Was?“
 „Ich hab gefragt ob du jetzt noch Zeit hast?“ Kyungsoo runzelte die Stirn über meinen eigenartigen Gesichtsausdruck. „Ist alles in Ordnung?“  
 „Ja. Ich denke schon?“ Das meine Aussage mehr nach einer Frage klang verunsicherte Kyungsoo.
 „Was ist da?“ Er deutete mit einem Kopfnicken auf mein Handy.
 Ich drehte es um, so dass er das Display ebenfalls sehen konnte.
 „Oh. Deine Mutter? Ich wusste gar nicht das sie KakaoTalk hat.“
 „Ich auch nicht“, bestätigte ich mit einem Achselzucken.
 „Und was schreibt sie?“
 Ich tippte mit dem Daumen auf das Display und öffnete die Nachricht. Ein völlig neuer Chatroom erschien, an dessen oberen Ende der Name ‚Mama <3‘ prangte. Ich musste unweigerlich über ihr Profilbild schmunzeln. Es war ein altes Bild von mir auf dem ich gerade mal sechs Jahre alt war. Die Sonne strahlt meinem jüngeren Ich ins Gesicht, während das Kind mit den Zahnlücken, wo die Milchzähne abgefallen waren, noch heller zurück strahlt.
 Das Lächeln entglitt mir als meine Augen die einzige, kurze Nachricht nachfuhren.
 „Jongin?“ Kyungsoo legte mir eine Hand auf die Schulter.
 „Sie hat geschrieben ich soll schnell Nachhause kommen. Mehr nicht.“
 „Glaubst du…denkst du alles ist in Ordnung?“
 Überrascht wandte ich mich zur Seite, wo Kyungsoo mit blassem Gesicht auf seine Hand an meiner Schulter starrte. Sein Blick war ganz starr und die Finger verkrampften sich leicht. „Klar, es ist bestimmt alles in Ordnung“, lachte ich und hoffte die Situation damit etwas hinunter zu spielen. Ich wollte Kyungsoo nicht unnötig beunruhigen, obwohl die Situation mir selbst auch nicht ganz geheuer war.
 Zumindest hatte ich überzeugt genug geklungen, um Kyungsoo zu beschwichtigen. Er ließ von meinem Shirt ab und trat einen Schritt zurück. „Na gut, du solltest trotzdem schnell Nachhause gehen.“
 „Ist gut.“ Ich schulterte meine Tasche und nahm meine Jacke von der Stuhllehne ohne sie anzuziehen. „Ich schreib dir dann später, was es mit der Sache auf sich hatte.“
 „Okay.“ Er hob leicht die Hand zum Abschied und ich trat lächelnd an ihm vorbei. An der Klassenzimmertür hielt ich noch einmal inne und drehte mich um. „Was wolltest du nach der Schule noch unternehmen?“
 Er blickte mich nur ganz kurz an, bevor er sich daran machte seine Sachen zusammen zu stapeln –anders als ich, hatte Kyungsoo nicht schon fünfzehn Minuten vor Schulschluss damit angefangen seine Schulsachen in den Rucksack zu verstauen. „Nicht so wichtig. Ein andermal.“
 Ein ungutes Gefühl machte sich in meiner Magengrube breit und ich überlegte mir ob ich nicht vielleicht doch ein oder zwei Stunden später Heim gehen könnte.
 „Jetzt geh schon Jongin, es ist wirklich in Ordnung.“ Er blickte mich dabei noch nicht einmal an.
 „Ich mach es wieder gut Hyung, versprochen! Gib ihr einen großen Kuss von mir“, rief ich über meine Schulter und wurde von Kyungsoos leisem Lachen hinaus begleitet.

 Ich kam atemlos auf unserer Haustürschwelle zu stehen und musste mich mit einer Hand an der Tür abstützen, um ordentlich zu Luft zu kommen. Ich war den gesamten Schulweg nach Hause gerannt, weil ich auf die S-Bahn ganze fünf Minuten hätte warten müssen und die Ungeduld Nachhause zu kommen, dies nicht zugelassen hatte.
 Jetzt da ich endlich angekommen war, kramte ich meinen Haustürschlüssel aus einer Vordertasche meiner Schultasche hervor und streifte kurz darauf Schuhe und Rucksack ab. Die Jacke ließ ich einfach neben  den anderen Sachen zu Boden fallen.
 „Mom?“
 „Wohnzimmer!“, kam mir entgegen und ich lief schnurstracks in die angegebene Richtung. Meine Mutter saß neben meinem Vater auf der hellen Couch, die Hände zwischen ihnen verschränkt auf dem Polster ruhend. Meine Mutter hatte rot geränderte Augen und ihre Mascara war an den äußeren Augenrändern leicht verwischt. Sie hatte offensichtlich geweint.
 Dad hingegen sah völlig ernüchtert aus. Sein Blick war etwas glasig, als wäre er weit weg in Gedanken versunken. Ich hatte ihn schon seit Ewigkeiten nicht mehr so früh zu Hause gesehen. Automatisch verschränkte ich die Arme vor der Brust, als müsste ich mich vor etwas schützen.
 „Hi.“ Ich erhielt keine Antwort, die Köpfe meiner Eltern drehten sich nur, so dass zwei Augenpaare nun auf mich gerichtet waren. Jetzt wurde es so richtig gruselig. „Alles klar bei euch?“
 „Komm her Jongin.“ Dad winkte mich heran und zog mich neben sich auf die Couch. Er schüttelte den Kopf, ließ von der Hand meiner Mutter ab und griff sich mit beiden Händen ins dunkle Haar. Wir hatten die gleiche Haarfarbe.
 „Könnt ihr mal was sagen, ihr seid echt eigenartig!“ Langsam wurde ich wütend, was war nur mit den beiden los?
 Dad nahm mich unerwartet in die Arme und Erfahrungsgemäß waren spontane Umarmungen unter Sohn und Vater nie ein gutes Zeichen. Ich nahm schon an jemand aus unserem Verwandtenkreis hatte das Zeitliche gesegnet, als Dad wieder von mir abließ und ich in sein strahlendes Gesicht blinzelte.
 „Er funktioniert Jongin.“
 Meine Kinnlade fiel hinunter. „D-du meinst?“
 Er nickte schnell und nachdrücklich und dieses Mal war ich es der die Arme um den Hals meines Vaters schlang. „Ich fasse es nicht. Du hast echt die Super-Batterie vollendet?“
 Sein Kopf an meiner Halsbeuge nickte noch einmal und gleichzeitig hatte meine Mutter ein Taschentuch gefunden in das sie hineinschniefen konnte.
 Ich weiß nicht genau wie lange wir noch so dasaßen, irgendwann hatte meine Mutter mich in den Arm genommen und angefangen mein Shirt nass zu weinen, während Dad und ich versuchten sie zu beruhigen. Natürlich  waren alles nur Freudentränen die aus ihr hinaussprudelten.
 Es war bereits stockfinster draußen als wir uns aufrappelten und in die Küche schlurften. Dad hatte bereits im Wohnzimmer angefangen uns alle Details des Projektes zu erzählen und wie erfolgreich die heutigen Experimente verlaufen waren. Nun in der Küche, während Mom sich etwas aus den Ärmeln schüttelte und mir Aufgaben erteilte, wie ich ihr helfen konnte, sprach Dad von den unbegrenzten Möglichkeiten die die Super-Batterie nun geöffnet hatte. Als Erfinder und Bauingenieur der Super-Batterie galt ihm das alleinige Patentrecht und somit jegliche Entscheidungsgewalt was mit der Erfindung geschehen würde.
 Es war ein ungewohnter Anblick als wir uns gemeinsam an den Esstisch setzten, ich konnte mich nicht an das letzte Mal erinnern als wir gemeinsam zu Abend gegessen hatten.
 Dad machte eine Flasche Wein auf die er aus einer Vitrine im Wohnzimmer entwendet hatte. Der Wein hatte Zimmertemperatur, aber Niemand störte sich daran. Jeder erhielt ein Glas, sogar ich obwohl ich in Südkorea mit siebzehn Jahren eigentlich noch als Minderjährig galt und ließen die feinen Gläser aneinander klirren als Mom und ich, Dad noch einmal gratulierten. Er musste mehrfach blinzeln und nahm einen zügigen Schluck aus seinem Weinglas bevor er tatsächlich noch ein paar Tränen vergießen würde.
 Ich vergaß völlig, dass ich versprochen hatte mich bei Kyungsoo zu melden.
Um Mitternacht entschuldigte ich mich schließlich für die Nacht und ging hoch in mein Zimmer. Meinen Rucksack schmiss ich auf mein Bett und legte mich gleich daneben. Ich blickte für eine Weile an die weiße Deckenwand und gähnte. Ich schloss die Augen und driftete bereits weg, obwohl ich noch komplett angezogen war und das Licht mir eigentlich auf die Augenlider hinunter strahlte, als ein leises Vibrieren meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Ich wandte mich zur Seite und kramte mein Handy aus der Schultasche.
 Neun verpasste Anrufe.
 Ich schreckte fluchend auf, ich hatte Kyungsoo völlig vergessen. Mit flinken Fingern begann ich eine Nachricht einzutippen, zögerte dann jedoch. Ich wollte Kyungsoo jetzt nicht schreiben, ich wollte sein Gesicht sehen wenn er die Nachricht erfuhr, er würde sich bestimmt freuen. Ich schüttelte Müdigkeit und Erschöpfung beim Aufrappeln ab und lief bereits wenige Sekunden später die Treppe hinunter.
 „Mom, Dad! Ich geh noch mal kurz weg!“
 „Was? Wohin?“ Dad streckte  den Kopf aus dem Wohnzimmer heraus, eine unglückliche Miene auf dem Gesicht.  
 „Ich will zu Kyungsoo - ihm alles erzählen.“
 „Ah“, nickte mein Vater und wie zu erwarten löste sich sein Widerwille in Luft auf. „Das ist schön, wieso nicht.“ Ich verdrehte die Augen. „Ach und möchtest du ihn und seinen Dad dann gleich zum Essen einladen? Wir haben schon lange nichts mehr alle zusammen unternommen.“
 „Klar, kann ich machen.“ Und damit war ich auch schon wieder zur Haustüre raus. Den Weg zu Kyungsoo rannte ich sogar noch schneller, als den Weg Nachhause, heute nach der Schule. Erst als das Hochhaus in unmittelbarer Nähe war, wurde ich langsamer und kam schließlich zum Stehen.
 Kyungsoo saß auf den wenigen Stufen die Gehweg und Hauseingang voneinander trennten und blickte zum Himmel empor. Zwischen seinen Händen hielt er sein Handy umklammert und machte sich gleichzeitig ganz klein um sich warm zu halten. Ich fragte mich seit wann er wohl schon so da saß.
 Ich näherte mich ihm langsam, ohne dass er zu mir hinunter blickte, doch ich war mir sicher dass er meine Anwesenheit bereits bemerkt hatte. „Hey“, grüßte ich und überwand auch die letzten Meter Abstand, bevor ich mich zu ihm auf die Treppe setzte.
 „Hey.“ Er blickte zur Seite  und lächelte mir erschöpft zu. „Du bist nicht an dein Handy gegangen.“
 „Tut mir leid, das war keine Absicht.“
 Er nickte nur und blickte dann zurück gen oben.
 „Was ist dort?“, fragte ich nachdem wir längere Zeit nichts gesagt hatten und ich spürte Kyungsoo die Achseln zucken, bevor er leicht erschauderte. „Hier nimm.“ Ich streifte meine dünne Lederjacke ab und reichte sie ihm. Er blickte mich verwundert an. „Ich bin das ganze Stück hierher gerannt, keine Sorge mir ist warm.“
 „Danke.“ Als Kyungsoo in die Jackenärmel schlüpfte mussten wir beide Lachen. „Das war wohl der Moment indem der Junge sich wie ein Gentleman benimmt?“, fragte der dunkelhaarige und erinnerte an den Scherz den ich nur am Abend zuvor losgelassen hatte.
 „Nur wenn du das Mädchen spielst.“
 Kyungsoo schnaubte und schüttelte den Kopf. „Du bist wirklich verzweifelt Kim Jongin.“
 Ich konnte bloß darüber lachen.
 „Also, ist alles in Ordnung? Was wollte deine Mutter?“
 Ich lehnte mich grinsend an den dunkelhaarigen und legte den Kopf auf seiner Schulter ab. „Das wirst du nicht glauben.“
 „Was?“
 Ich erzählte meinem besten Freund also von dem Erfolg meines Vaters, während Kälte langsam an meinem dünnen Shirt zerrte.
 „Das ist wirklich unglaublich“, kommentierte Kyungsoo schlussendlich und klang wahnsinnig aufgeregt. Ich wusste er würde sich freuen. „Dann wird sich jetzt so einiges für euch ändern nehme ich an.“
 „Wieso?“ Das Wort wurde durch ein gleichzeitiges Gähnen in die Länge gezogen.
 „Hast du nie darüber nachgedacht das dein Vater damit etwas erfunden hat das den Menschen viel Gutes bringen wird. Etwas sehr nützliches?“
   Ich zuckte die Achseln. „Mich freut am meisten, dass der alte Mann endlich seinen Lebenstraum erfüllt hat.“
 Kyungsoo brummte in Einverständnis. Danach redeten wir nicht mehr und irgendwann hielt ich meine Augen nach einem Blinzeln einfach verschlossen.
 „Es ist schon spät Jongin“, murmelte Kyungsoo irgendwann und ich gab ihm mit einem Kopfnicken Recht. „Du solltest jetzt Nachhause gehen.“ Dieses Mal schüttelte ich den Kopf. „Jongin…“
 „Kann ich bei dir schlafen? Wie früher?“
 Kurz schwieg Kyungsoo dann seufzte er. „Ich hab nicht viel Platz.“
 „Mir egal.“
 Der dunkelhaarige atmete tief aus, dann klopfte er mir auf den Rücken. „Na dann los, hoch mit dir. Du hast Glück das mein Vater ab heute für längere Zeit weg bleibt.“
 Irgendwo in meinem Hinterkopf meldete sich eine Stimme zu Wort die anmerkte, dass das gemeinsame Essen zu dem mein Dad mich gebeten hatte, Kyungsoo und seinen Vater einzuladen, nun auf sich warten lassen müsste.
 Mit halb geschlossenen Augen taumelte ich Kyungsoo hinterher durch den Hauseingang und zu den Fahrstühlen. Im zehnten Stockwerk angekommen schloss er die Türe auf und bugsierte uns in seinen schmalen Flureingang. Ein paar holprige Schritte später und Kyungsoo drückte mich auf sein Bett hinunter und griff nach meiner Hose.
 „I-ich kann das allein!“, rief ich erschrocken aus und wurde rot, weil ich sogar gestottert hatte.
 Es war zu dunkel in Kyungsoos Zimmer, als das ich gesehen hätte wie er die Augen verdrehte, aber ich wusste nichtsdestotrotz dass er es getan hatte. Er griff in meine Hosentasche und kramte mein Handy heraus, ehe ich beobachtete wie er die Tastensperre entfernte und die Kurzwahl betätigte. Meine Augen fielen mir zu, als ich hörte wie Kyungsoo leise mit meinem Vater oder meiner Mutter telefonierte. Er lachte über irgendetwas was einer von beiden gesagt hatte und beendete das Gespräch mit einem gute Nacht Wunsch.
 Als ich hörte wie Kyungsoo das Zimmer verließ und die Türe hinter sich schloss, öffnete ich die Augen noch einmal. Mein Blick war direkt an die Deckenwand gerichtet, von der weiße Sterne auf mich hinunter lachten. Ich erinnerte mich daran, wie Kyungsoo und ich als kleine Kinder genau diese Sterne an die Deckenwand seines früheren Zuhauses geklebt hatten, damals als er noch im Haus neben dem meinem gelebt hatte.
 Seine Mutter war eines Tages von der Arbeit gekommen, ein großes Lächeln auf den Lippen. Kyungsoo und ich saßen gerade in seinem Zimmer und ließen unsere Aktion Figuren auf dem Teppichboden herum springen und miteinander reden. Sie hatte uns beiden aufs Haar geküsst und dann eine kleine Schachtel hinter dem Rücken hervorgezaubert. Deckensterne die im Dunkeln leuchten, hatte sie uns erklärt und wir waren ganz aufgeregt gewesen, die Teile tatsächlich an die Decke zu befördern.
 Kyungsoos Dad wurde dazu berufen eine Leiter aus der Garage zu holen und abwechselnd durfte einer von uns mit auf die Leiter steigen damit er Kyungoos Vater dabei helfen konnte, die Sterne anzukleben. Als alle gut verteilt waren aber noch sieben Sterne in der Verpackung übrig  waren, reichte Kyungsoo die Schachtel meinen kleinen Händen, damit auch ich ein paar Sterne in mein Zimmer hängen könnte.
 An diesem Abend wurde mir erlaubt bei Kyungsoo zu übernachten und wir waren ganz hibbelig als es schließlich dunkel draußen wurde, so dass kein Licht mehr durch die geschlossenen Jalousien drang. Anschließend saßen wir eingemummt in unseren Decken da und starrten an die Zimmerdecke, die uns so unendlich weit entfernt vorkam. Als Stadtkinder hatten wir nicht oft die Gelegenheit die Sterne zu sehen, umso größer war die Freude sie jetzt betrachten zu können und das wann immer wir wollten.
Nach einer Weile kam leise Kyungoos Mutter zu uns, ausgestattet mit einem Tablett auf dem drei Becher heiße Schokolade standen. Wir machten ihr zwischen uns unter der Decke Platz und sie schlüpfte zu uns und zog uns beide ganz dicht an sich. Ich lag auf ihrer linken Seite und konnte ihren Herzschlag hören, während ich den kleinen Becher zwischen meinen Händen hielt. Irgendwann schlief sie neben uns auf dem Boden ein und Kyungsoo und ich hielten uns einen Finger vor die Lippen um zu bedeuten, dass wir ganz leise sein mussten. Wir stellten die Becher weiter fort und kuschelten uns noch enger an ihre Seite, dennoch blieben wir beide noch lange wach, während wir an die Decke stierten und den Sternen beim Leuchten zu sahen.
 Kyungsoo hatte kurz vor seinem Umzug die Sterne von der Deckenwand geklebt, um sie auch in seinem neuen Zimmer erneut aufzuhängen. Was aus der Schachtel mit den sieben letzten Sternen geworden war, die ich niemals aufgehangen hatte, war mir ein Rätsel. Und bevor ich mich daran erinnern konnte, driftete ich auch schon davon.      
Ich hasste es am Morgen von dem Geplärre eines Weckers geweckt zu werden. Ob es nun ein schriller Pips Ton war, oder ein Lind, spielte überhaupt keine Rolle. Ich hasste dieses abrupte Einschneiden in den Schlaf wie verrückt, weshalb ich  mir niemals freiwillig den Wecker stellen würde. Stattdessen ließ ich es einfach sein und hoffte meine Mutter würde vergessen mich zu wecken…was noch nie vorgekommen war.
 Wie auch immer, das Problem war, ein Wecker plärrte mir gerade ins Ohr. Mit der Melodie von Taeyangs ‚Eyes, Nose Lips‘ um genau zu sein. Ich stöhnte unzufrieden und vergrub meinen Kopf im Federkissen. Ich war wirklich kein Morgenmensch.
 Lustigerweise war nicht die Tatsache das ein Wecker losgegangen war der springende Punkt der mich daran erinnerte, dass ich nicht Zuhause war, sondern der vertraute Duft den ich aus dem Kissen einatmete und der mich im Grunde von überallher einhüllte. Ich stützte mich auf die Hände ab und blickte mich mit halb geschlossenen Lidern um. Das Handy das nun lauter schrie, als meine angespannten Nerven ertragen konnten, lag auf dem Schreibtisch neben der Steckdose, am anderen Ende des Raumes. Oh Gott wie ich Kyungsoo hasste.
 Die Möglichkeit bestand also, mich einfach wieder hin zu legen und das Lied auszublenden, oder aufzustehen und es einfach schnell abzustellen. Natürlich entschied ich mich für die Variante die weniger Anstrengung forderte und ließ mich zurück fallen.
 Alle Versuche das Lied einfach auszublenden brachten jedoch nichts, als es mit Beendigung einfach wieder von vorne anfing, also stand ich schließlich auf und drückte einen Knopf auf Kyungsoos uraltem Handy mit dem der blöde Klingelton endlich verschwand. Ich hielt das kleine Gerät etwas länger in der Hand und blickte verwundert darauf hinab. Das Teil war fast so breit wie zwei Mal meine Handfläche von der Seite und wog gefühlte Tonnen. Hatte er vor jemanden damit umzubringen? Es wäre gewiss nicht minder effektiv als ein Backstein… Und was war aus seinem alten Telefon geworden?
 Achselzuckend legte ich das alte Nokia Handy zurück auf den Schreibtisch und entschied mich nach kurzem Hin und her, schließlich doch dafür mal nach Kyungsoo zu sehen. In seinem Zimmer war er ja offensichtlich nicht. Die Tatsache dass er mir sein Bett überlassen hatte, war so typisch für den dunkelhaarigen das ich mich gar nicht wunderte, dennoch hieß das nicht dass ich dies gutheißen würde. Wie gedacht fand ich meinen Kindheitsfreund im Wohnzimmer, wo er sich mit einer dünnen Tagesdecke auf dem zu kleinen Sofa eingerollt hatte. Würde er die Beine ausstrecken, würden sie für mehrere Zentimeter über das Bettende ragen. Dennoch schlief er tief und fest.
 Mein Plan war es gewesen, Kyungsoo mit einem lauten Poltern oder einem Schrei in sein Ohr zu wecken, damit ich ihm die Sache (die er gewiss nicht einmal absichtlich geplant hatte) mit dem Wecker Heim zu zahlen. Jetzt jedoch, als ich ihn beim Schlafen beobachtete und sich die Ruhe selbst auf seinem Gesicht wiederspiegelte, konnte ich meine gemeinen Gedanken nicht mehr in die Tat umsetzten. Stattdessen holte ich auch die dicke Decke aus seinem Zimmer und legte sie über den kleinen Körper des anderen. Kurz verweilte mein Blick dann auf dem friedlichen Gesicht meines Freundes und mir war als hätte ich ihn schon lange nicht mehr genau angesehen. Sein rundes Gesicht war sichtlich eingefallen und die Wangenknochen höher und deutlich scharfkantiger. Wann hatte Kyungsoo Gewicht verloren? Seit wann waren seine Wimpern so lang?
 Ich schüttelte den Kopf und suchte nach einer Uhr, anders als auf meinem Samsung Handy, wo die Uhrzeit einem förmlich entgegensprang wenn man das Display anschaltete, hatte ich eine Uhr auf dem Nokia noch nicht einmal erkannt. Die Wanduhr neben dem großen Familienfoto gab mir schließlich Auskunft. Keine freudige soll jedoch gesagt sein. Es war sechs Uhr früh. Zu so einer unheiligen Uhrzeit war ich noch nie aufgewacht! Für gewöhnlich schlief ich bis um halb acht und an guten Tagen (sprich Tage des Schwänzens) sogar noch länger. Was um Himmels Willen veranlasste Kyungsoo so früh bereits aufstehen zu wollen?
 „Weirdo“, murmelte ich und schüttelte den Kopf. Ich verschwand schnell im Bad und als ich erneut ins Wohnzimmer kam, saß Kyungsoo aufrecht auf dem Sofa und rieb sich mit den Fäusten den Schlaf aus den Augen.
 „Jongin?“
 „Dir auch guten Morgen“, gab ich zurück und musste ein wenig über meinen Freund schmunzeln. Jetzt sah er tatsächlich ein wenig aus wie ein kleines Kind.
 „Wie viel Uhr haben wir?“
 „Mh circa Viertel nach sechs?“ Ein Blick an die Uhr gab mir Recht.
 Kyungsoo sprang auf wie vom Blitz getroffen. „Was schon? Wo ist mein Wecker? Wieso bin ich nicht aufgewacht?“
 „Ich bin aufgewacht“, antwortete ich und sah Stirnrunzelnd dabei zu wie Kyungsoo von einem Ort zum anderen flitzte.
 „Und?“
 „Was und?“
 „Wieso hast du mich nicht aufgeweckt?“
 „Weil wir erst sechs Uhr morgens haben.“
 Kyungsoo stöhnte entnervt auf. „Nein mittlerweile schon Viertel nach!“
 „Das ist immer noch viel zu früh“, stellte ich fest, was auf taube Ohren stieß. „Und könntest du vielleicht mal stehen bleiben? Mir wird noch schwindelig.“
 Tatsächlich blieb Kyungsoo daraufhin vor mir stehen, ein Schmunzeln auf den Lippen. „Sorry.“ Er griff nach oben und strich mir das abstehende Haar glatt. Ich musste ausgesehen haben wie ein Clown, super. „Du musst jetzt übrigens Heim.“
 „Was?“, fragte ich enttäuscht. „Kein Frühstück?“
 „Keine Zeit tut mir Leid.“
 „Zeit? Aber es ist sechs Uhr früh!“
 „Genau und in zwei Stunden fängt die Schule an und du musst noch Nachhause, deine Sachen packen, dich Duschen, Umziehen und so weiter.“
 Ich verschränkte die Arme vor der Brust und wartete ab, ob er noch etwas hinzufügen würde. Schließlich gab Kyungsoo nach.
 „Na gut. Ich hab noch einen Nebenjob den ich vor der Schule erledigen muss.“
 Das war wirklich neu für mich. „Was denn für ein Nebenjob?“
 „Nur etwas Zeitungaustragen für die benachbarten Blocks.“
 „Und seit wann machst du das schon?“
 Kyungsoo zuckte die Achseln, er hatte den missbilligenden Tonfall in meiner Stimme natürlich gehört. „Seit einer Weile“, antwortete er vage. Ich seufzte und gab mich letztlich geschlagen. Kyungsoo sah nicht so aus, als würde er noch weitere Informationen mit mir teilen wollen, also ließ ich es dabei sein.
 Wenige Minuten später, nachdem Kyungsoo die Zähne geputzt und sich was Frisches angezogen hatte, verließen wir gemeinsam das Haus, trennten uns jedoch bald in unterschiedliche Richtungen. Die Zeitungen und das gestellte Fahrrad würde er von einer speziellen Firma erhalten die praktischerweise nur zwei Blocks hinunter residierte.
 Während ich Nachhause schlenderte, vergrub ich meine Hände tief in den Hosentaschen und zog den Reisverschluss meiner Lederjacke bis obenhin zu. Es war bereits später Herbst und bald würde es sehr kalt werden. Jetzt bereits am Morgen war es sehr frisch, so dass Frost die Wiese in eine dünne, weiße Decke einkleidete. Ob Kyungsoo nicht schrecklich fror um diese Uhrzeit mit einem Fahrrad durch die Straßen zu fahren?
 Als ich ein paar Minuten später Daheim angekommen war, fiel mein Blick auf den Briefkasten. Es war das erste Mal das ich mich fragte wie es möglich war, das er jeden Morgen aufs Neue gefüllt war, damit Dad am Frühstückstisch durch die Nachrichten blättern konnte. Anders als Mom und ich war Dad oft bereits um sechs Uhr morgens auf den Beinen und immerzu las er dann seine Zeitung. Heute, obwohl bereits nach sechs, lag keine Zeitung in unserem Briefkasten.
 Das letzte Stück bis zur Tür legte ich rennend zurück. 

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Liebe Grüße :)

DiamantenstaubWhere stories live. Discover now