Emerald

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Baekhyun hatte den Kopf auf meiner Schulter abgelegt während er leise vor sich hin döste, das Geräusch seines gleichmäßigen Atems machte mich selbst etwas schläfrig und ich spürte meine Augenlider schwer werden und meinen Kopf auf meine Brust sinken. Sehun stupste mich in die Seite und lachte leise als ich unweigerlich zusammenzuckte, worauf Baekhyun kurz aufwachte, dann jedoch grummelnd wieder einschlummerte.
„Was?"
„Ich hab gesehen du hast dich für Luhans Tanz-AG eigetragen."
Ich seufzte tief. „Mir blieb leider keine andere Wahl."
„Ich kann dir helfen dort wieder herauszukommen."
Ich merkte auf. „Wie?"
Sehun schüttelte den Kopf, in der Dunkelheit des Raumes konnte ich seine Augen nicht erkennen. „Ich mach das schon."
„Nein ist schon in Ordnung."
„Was?" Sehun hatte einen eigenartigen Unterton in der Stimme, den ich keinem Gefühl zuzuordnen wusste. „Ich kann dich da wirklich rausholen Jongin."
„Sag mir wie."
Sehun schwieg für eine ganze Weile und meine Antwort erhielt ich letztlich von anderer Richtung. „Sehun ist der Neffe der Schulrektorin. Ist das noch nicht zu dir durchgedrungen?" Chen klang belustigt.
Tatsächlich hatte ich ein jüngeres Schulmädchen mal so etwas zu ihrer Freundin tuscheln hören, als Sehun und ich den Gang hinuntergelaufen waren. Seitdem hatte ich so meine Vermutungen.
„Deshalb weißt du also wie man das Schultor mit seinem Handy öffnet und wo sich die Aufnahmen der Sicherheitskameras befinden."
„Gut erkannt Sherlock", Sehuns Widerwille versüßte mir den Moment. Wieso er dieses Detail geheim gehalten hatte war mir unklar, doch ich konnte mit Sicherheit behaupten, dass Sehun noch deutlich mehr Geheimnisse vor mir hatte.
Das Licht im Raum ging an, worauf Baekhyun wie aufs Stichwort den Kopf von meiner Schulter nahm. „Wegen der AG...", begann Sehun auf ein Neues, doch ich ließ ihn nicht zu Ende sprechen.
„Ich werde es einfach mal versuchen. Keine Sorge, wenn es mir nicht gefällt, höre ich auf."
Der Biologielehrer stellte sich erneut in die Mitte des Raumes, um den Film zu besprechen, den ich nicht eine Sekunde lang mitverfolgt hatte.
Ich sah Sehuns Stirnrunzeln und die verkrampften Finger und wusste plötzlich, was ich vorher nicht in seiner Stimme erkannt hatte: Eine Mischung aus Besorgnis und Unzufriedenheit.
Ich lächelte Sehun an zum Zeichen das unser Gespräch vorbei war und wandte mich dem Lehrer zu, die Hände brav auf dem Tisch vor mir verschränkt. Aus den Augenwinkeln sah ich wie Sehun mich noch lange ansah, dann wandte er sich ebenfalls ab.
Das Sehun mir nicht verraten hatte, dass er der Neffe der Schulrektorin war, bewies ja nur das er mir noch nicht vollends vertraute. In dieser Sekunde fühlte sich unsere Freundschaft schrecklich gezwungen an.
Am Freitag darauf bat mich Luhan vor seiner Stunde nach vorne. Ich legte den Kopf schief und lehnte mich an sein Pult. „Ich bin zur Schule gegangen", verteidigte ich mich, noch bevor er ein Wort gesagt hatte.
„Hab ich mitbekommen", sein Blick war etwas müde. „Aber du hast die Tanz-AG geschwänzt."
Oh. Stimmt, da war noch was. „Wann ist die noch gleich?"
„Du hast dich nicht einmal informiert."
Ich lächelte etwas verschmitzt und rieb mir mit der flachen Hand über den Nacken. „Nicht wirklich, tut mir Leid, es war jedoch wirklich keine Absicht."
Luhan seufzte. „Donnerstags nach der Schule. Komm in die Sporthalle in bequemen Klamotten und nimm genug zu trinken mit."
Ich nickte und ahmte einen Militärs Salut nach. „Geht in Ordnung."
„Okay, geh auf deinen Platz Jongin", erwiderte Luhan Augenverdrehend.
„Ist alles in Ordnung?", fragte Baekhyun flüsternd, als ich mich zurück zu den Logenplätzen des Klassenzimmers begab.
„Bestens", grinste ich und berührte Baekhyuns Schulter im Vorbeigehen.
„Um was ging's?", wollte auch Sehun wissen, als ich wieder neben ihm Platz gefunden hatte. Er blickte demonstrativ auf seine Fingernägel hinunter, doch ich konnte erkennen, dass es ihn brennend interessierte.
„Nicht so wichtig."
Sehun runzelte die Stirn, fand jedoch keine Erwiderung.
Luhan ließ uns Aufgaben aus dem Buch lösen. Chinesische Schriftzeichen deren Sinn sich mit der Setzung des Akzents völlig verändern konnte und in nur einem Fall einen plausiblen Satz ergab.
Sehun zögerte zwar, öffnete sein Buch letztlich jedoch trotzdem. „Wir könnten ‚Stadt-Land-Fluss' spielen", schlug ich vor, mit der Idee Schulaufgaben zu machen gar nicht einverstanden.
„Willst du einen Einzelplatz Jongin?" Luhan musste mich durch den gesamten Raum gehört haben, denn er stand gerade bei Jessica, die bei einem Satz partout nicht weitergekommen war.
„Hören Sie immer bei den Gesprächen anderer Leute mit zu?", erwiderte ich, Luhans Ton nachäffend.
Luhan blinzelte irritiert und auch Sehun hatte keine Anstalten gemacht einen Kommentar auf Luhans Drohung abzugeben. Die Klasse lachte leise.
„Führt eure Gespräche in den Pausen, nicht in meinem Unterricht."
„Aber in der Pause waren SIE ja so scharf darauf mit mir zu sprechen." Ich klimperte unschuldig mit den Wimpern. Die Klasse brach nun in schallendes Gelächter aus, während Luhan von Sekunde zu Sekunde dunkler errötete.
„Jongin..."
„Wie soll ich mit meinen Freunden sprechen, wenn Ihnen meine Aufmerksamkeit so viel bedeutet?"
Luhan öffnete den Mund, doch es kam kein Ton heraus und wenn, dann wäre jeder Laut im allgemeinen Chaos der Schüler untergegangen. „Außerdem", setzte ich an, verlor den Faden jedoch als ich spürte wie schlanke Finger nach meinem Handgelenk griffen. „Ich blickte verwundert zu Sehun hinüber, der mich mit ernstem Blick ansah.
„Genug jetzt."
„Was?", ich konnte mir den fassungslosen Ton nicht verkneifen.
„Hör auf, das reicht."
Ich schloss den Mund, weil ich nicht bemerkt hatte, dass er mir auf gefallen war. Die Klasse beruhigte sich und machte sich zurück an seine Aufgaben. Ich blieb für den Rest der Stunde still sitzen, ähnlich wie Luhan, der sich vor sein Pult setzte und so tat als würde er irgendwelche wichtigen Papiere durchgehen.
Sehun bearbeitete die Aufgaben neben mir im Stillen, während ab und an Klassenkameraden zu uns herüber sahen und lächelten.
Ich spürte mein Gesicht aufglühen, bei dem Gedanken dass die anderen nun glauben würden, Sehun hätte mich unter seiner Kontrolle, nur weil ich auf sein Einschreiten aufgehört hatte spitze Kommentare von mir zu geben.
Und ich wurde noch wütender, weil es gut sein konnte, dass ich tatsächlich, zumindest meinem Ruf an dieser Schule zu folgen, ein wenig unter Sehuns Pantoffel stand.
Ich biss mir auf die Zunge um nicht laut zu schnauben.
Meine Mutter hatte angefangen teurere Kleidung und deutlich mehr Schmuck zu tragen. Sogar zu Hause, fiel mir auf während ich sie von meinem Platz am Tisch beobachtete. Etwas lustlos bewegte sie den hölzernen Kochlöffel in der Suppenschüssel herum. „Wir hätten einfach auswärts essen gehen können. Oder uns etwas liefern lassen", meinte sie und nippte kurz an der Suppe. „Dort würde es auch deutlich besser schmecken, das französische Restaurant neben dem Grand Hotel in Seoul Downtown soll zum Beispiel ziemlich gut sein."
Mein Vater nickte nur und gab zustimmende Laute von sich, während er angestrengt auf sein Handy sah. „Wann hast du eigentlich zuletzt was von Hyunseun gehört?" Das war der Name von Kyungsoos Vater.
Meine Mutter sah kurz überrascht aus, dann zuckte sie die Achseln. „Ich erinnere mich nicht, was ist mit dir Jongin? Du bist doch sicher immer mal wieder bei Kyungsoo gewesen in den Tagen als wir weg waren."
Nein, wenn sie es genau wissen wollten, dann war ich schon ziemlich lange nicht mehr bei Kyungsoo, Ravi, Hyuk oder sonst wem gewesen. Meine alten Freunde wollten wahrscheinlich nicht einmal mehr etwas mit mir zu tun haben und meine neuen...
„Ich habe seinen Vater auch schon lange nicht mehr gesehen", antwortete ich ausweichend und war echt froh einen Collegeblock vor mir zu haben damit ich so tun konnte als würde ich Hausaufgaben bearbeiten.
„Das ist eigenartig", murmelte Dad. „Er geht auch gar nicht mehr an sein Telefon. Ich habe ihm schon dutzende SMS geschrieben."
„Er wird auf Geschäftsreise sein."
„Aber mir wurde gesagt sein Geschäft läuft nicht zu gut, seine Firma hat Insolvenz beantragt und entlässt nun Leute um sich noch irgendwie über Wasser zu halten."
„Das klingt nicht gut."
Dad nickte. „Ich muss dort mal vorbeischauen, vielleicht irre ich mich auch und sein Handy hat einfach nur einen Schaden."
Mom nickte und begann Suppe in tiefe Teller zu schöpfen. Die Ringe an ihren Fingern glänzten im Licht wie Diamanten.
Das K-Drama mit dem ich meine Stunden nach der Schule füllte anstelle mich der Hausaufgaben zu widmen, die ich eigentlich hätte tun sollen, beschrieb Freundschaft mit Büchern. ‚Freundschaft ist wie ein guter Roman ', hatte der Protagonist ernst in die Kamera gesprochen. ‚Du liest Seite um Seite und bist gefangen in der Geschichte, bis du den letzten Satz erreicht hast und das Buch langsam schließt. Bei manchen Menschen scheint das Buch gar kein Ende zu besitzen, bei anderen gibt es einfach mehrere Bänder die immer mal wieder auftauchen und auf sich aufmerksam machen. Andere Freundschaften jedoch, enden mitten im Buch, weil ein Teil der Geschichte eventuell gerade zu langweilig ist.'
Ich war mir unsicher wie viel Glauben ich dem Protagonisten da schenken durfte, immerhin war sein bester Freund gerade eiskalt dabei die Rechte für seine Firma zu stibitzen. Aber ja, ich konnte dennoch nicht anders als mir zu überlegen in welche Kategorie meine Freundschaft mit Sehun wohl fiel. Vielleicht war sie nicht mehr als eine Kurzgeschichte, vielleicht ein Gedicht das man nicht versteht, vielleicht ein Bilderbuch das jeder von uns in unterschiedlichen Farben sah...
Nicht das unsere Freundschaft ein Ende gefunden hatte, doch sie erhielt einen Dämpfer und einen stumpfen Nachklang nachdem was in Luhans Unterricht passiert war. Ich hatte das Gefühl Sehun nicht vertrauen zu können und wollte Beweisen das ich auch ohne ihn jemand an dieser Schule war. Und Sehun...Sehun beäugte mich mit einem Lächeln, dass Freundlichkeit in die Welt hinaus schrie und Misstrauen flüsterte.

DiamantenstaubWhere stories live. Discover now