Kapitel 32

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"Der Düsterwald ist nur noch einen Tagesritt entfernt", informierte uns Gandalf, während wir unser Frühstück verspeisten. "Ich werde mit Frodo, Merry, Pippin und Sam eine Nacht im Waldlandreich rasten, bevor wir weiter nach Bruchtal reiten." Vier Tage waren nun seit unserem Aufbruch aus Gondor vergangen. Und in diesen vier Tagen hatte ich mir immer mehr Gedanken um Thranduil gemacht. Ich wusste, dass ich vor ihm keine Angst haben musste, denn er würde mir nichts tun. Außerdem war Legolas auch noch da. Doch noch mehr Sorgen machte ich mir um ihn. Ich wollte nicht, dass Thranduil in irgendeiner Weise wütend auf Legolas war und es war kein Geheimnis, dass die Beziehung zwischen dem König und dem Prinzen angespannt und kompliziert war. Nachdem alle fertig gegessen hatten brachen wir unser Lager ab und ritten weiter. Die letzten Tage hatte die Landschaft hauptsächlich aus grasüberwachsenen Hügeln bestanden doch jetzt war das Land abgeflacht und wir ritten nicht ständig hoch und runter.

Die Hobbits unterhielten sich gerade mit Gimli und Gandalf, als Legolas nach vorne zu mir aufschloss. "Was ist los?", wollte er mit einem besorgten Unterton in der Stimme wissen und schirmte mit seine Hand die Sonne ab, welche nach unserem Aufbruch hinter den schneeweißen Wolken hervorgekommen war und nun auf uns herunter schien. "Was meinst du?", fragte ich unschuldig nach und wich seinem prüfenden Blick aus. "Seit unserer ersten Rast auf der Heimreise denkst du viel mehr nach als sonst. Du reitest immer vor uns. Ich sehe doch, dass ich etwas beschäftigt", erklärte er seine Beobachtungen, ritt ein Stück näher an mich heran und nahm meine Hand in seine. Ich seufzte und meinte dann ausweichend: "Es ist wirklich nichts wichtiges. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen." Eigentlich war es ja etwas sehr wichtiges, doch ich wollte ihn nicht beunruhigen. Ich verstand meine Vision selber noch nicht und wenn ich Legolas davon erzählte, würden sich zwei Leute - oder drei, sollte man Gandalf mitzählen - unnötig über etwas den Kopf zerbrechen.

Im Moment konnte man sowieso nichts tun, außer sich darüber dauerhaft Gedanken zu machen. Legolas hob angesichts meiner Aussage eine Augenbraue, beließ es aber dabei. Der Tag schritt voran und bevor ich mich versah, konnte ich in der Ferne die Bäume des Düsterwaldes erkennen. Je näher der Wald kam, desto mehr meiner - vorher erfolgreich - unterdrückten Ängste und Sorgen kamen wieder hervor. Auch bei Legolas bemerkte ich eine Gewisse Anspannung. Er hielt immer noch meine Hand, weswegen ich sie kurz drückte, um ihn zumindest teilweise zu beruhigen, bevor ich beide Hände wieder an die Zügel legte. Er lächelte mich dankbar an, bevor er seinen Blick zurück auf den Wald lenkte. Plötzlich spürte ich ein Ziehen an meinen Händen. Zuerst dachte ich, es wäre Leo, doch ihr Kopf war komplett ruhig und das Ziehen verstärkte sich nur noch. Dann war es genauso schnell verschwunden, wie es gekommen war. Verwirrt betrachtete ich meine Hände. Was war das gerade gewesen?

Und noch wichtiger - was hatte es verursacht? "Was ist los?", wollte Legolas wissen. "Keine Ahnung", murmelte ich, während ich immer noch meine Hände betrachtete und versuchte herauszufinden, woher dieses Ziehen her gekommen war. "Auriel", sagte Legolas, ritt noch näher an mich heran und hob sanft mein Kinn an, wobei er meinen Kopf zu sich drehte. "Was ist los?" "Nichts. Ich... bin nur nervös. Ich habe den Befehl deines Vaters missachtet und bin dir gefolgt. Und jetzt weiß ich nicht, wie er reagiert wenn er mich wieder sieht." "Das weiß ich auch nicht. Aber das habe ich nicht gemeint, als ich gefragt habe, was los ist." Auch wenn ich wusste, dass es eine indirekte Wiederholung seiner Frage war, antwortete ich nicht, sondern betrachtete die immer näher kommenden Bäume des Düsterwaldes. Eigentlich sollte ich ihm von meiner Vision erzählen. Er machte sich nur Sorgen um mich und wollte, dass es ihm gut ging. Aber ich wollte nicht, dass er sich Sorgen um mich machte. Nicht jetzt.

Zum Glück ließ Legolas das Thema fallen. Unsere anderen Gefährten hatten mittlerweile zu Legolas und mir aufgeholt. Als wir vor dem Wald anhielten, um eine letzte, kurze Pause zu machen, betrachtete ich die Bäume. Im südlichen Teil des Düsterwaldes war ich bis jetzt noch nie gewesen, doch die Bäume glichen den anderen, die ich Tag für Tag im Training oder auf Spaziergängen gesehen hatte. Aber was mir am meisten auffiel, war das Zwitschern der Vögel und das hellere Grün der Pflanzen. Vögel hatte man im Wald um den Palast nur ab und zu gehört und die Pflanzen waren noch von Saurons Schrecken und der Spinnenplage dunkelgrün, wenn nicht sogar braun gewesen. Jetzt allerdings strotzen die Blätter der Bäume und das Gestrüpp am Boden nur so vor hellgrün und ich konnte mir vorstellen, dass nun, da Sauron besiegt war, auch generell mehr Tiere im Wald gesehen werden würde. Als ich meinen Kopf zurück zu den anderen drehte, bemerkte ich, dass Legolas mich lächelnd beobachtete.

"Was ist?", wollte ich von ihm wissen und legte den Kopf schief. "Nichts", erwiderte mein Verlobter leicht verträumt. "Und wegen nichts starrst du mich an?" Ich musterte ihn und fing - angesteckt von ihm - ebenfalls an zu lächeln. "Nein. Du sahst nur gerade süß aus, wie du den Wald betrachtet hast", gab er schließlich zu. Ich konnte spüren, wie ich rot wurde, weswegen ich meinen Blick zurück auf den Wald lenkte. Ich hatte noch nie gut mit Komplimenten umgehen können, ich wusste einfach nie, wie ich darauf reagieren oder sagen könnte. Nach einer viertel Stunde stiegen wir wieder auf die Pferde und ritten in den Düsterwald hinein. Sofort merkte ich, dass die Luft besser war, als noch vor unserem Aufbruch ins verborgene Tal. Wenn ich so darüber nachdachte, kam es mir vor, als wäre dieser eine halbe Ewigkeit her. Was in dieser vergleichsweise eigentlich kurzen Zeit alles geschehen war, wie zum Beispiel, meine Verlobung mit Legolas, fühlte sich so unreal an, wenn man bedachte, dass ich mir meine Gefühle für den blonden Elben erst kurz vor Bruchtal eingestanden hatte.

Die Bäume zogen an uns vorbei und zeitweilen konnte ich Rehe im Dickicht erkennen. Die Vögel zwitscherten ununterbrochen. Es war schön, wieder zu Hause zu sein. Doch je weiter wir in den Wald vordrangen und umso mehr vertraute Dinge ich sah, stieg meine Nervosität. Ich blickte hinüber zu Legolas, der tiefenentspannt zu sein schien, aber seine Körperhaltung konnte mich ganz einfach täuschen. Immerhin war er ein Prinz und ich glaubte nicht, dass er während all den Feiern auf denen er schon gewesen war, seine wahren Gefühle durch seine Körperhaltung preisgegeben hatte. Der Wald vor uns lichtete sich. Und da war es; das große Tor, welches mir vorher immer so riesig vorgekommen war, mir jetzt aber kleiner erschien, durch all die Dinge, die ich auf meiner Reise erlebt und durch die Festungen, die ich gesehen hatte. 

Zu meiner Überraschung waren die großen Flügeltüren geöffnet und nur zwei Wachen standen am Eingang. Normalerweise war das Tor zu jeder Zeit geschlossen gewesen und die Türen wurden nur geöffnet, wenn jemand passieren wollte. Unsere kleine Gruppe hielt an und wir stiegen von den Pferden. Ich sah zu Legolas, der mir ermutigend zunickte, dann bewegten wir uns mit den Pferden an den Zügeln auf das offene Tor zu, welches mir förmlich zurief: Willkommen zu Hause.

𝙳𝚒𝚎 𝙼𝚊𝚌𝚑𝚝 𝚍𝚎𝚛 𝚃𝚛ä𝚞𝚖𝚎 - 𝙻𝚎𝚐𝚘𝚕𝚊𝚜 𝚏𝚏Where stories live. Discover now