Kapitel 35

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Mitten in der Nacht schreckte ich aus dem Schlaf hoch. Mein Herz schlug unnatürlich schnell und für einige Minuten atmete ich einfach nur tief ein und aus, um meinen Puls zu beruhigen und nicht in eine Panikattacke zu verfallen. Doch entgegen meiner Bemühungen, mich zu beruhigen, kam ich nicht umhin, immer wieder meine Hände zu betrachten. Noch nie hatte ich solche Schmerzen verspürt wie in diesem Traum. Ich hatte die Stimme aus meiner Vision gehört, immer und immer wieder, während alles um mich herum in Flammen aufgegangen war und meine Hände gebrannt hatten. Riesige Brandflecken hatten sich über meine Hände und Unterarme gezogen, doch jetzt war meine Haut so glatt und rein wie eh und je.

Legolas lag neben mir im Bett und schlief friedlich, seine Brust hob und senkte sich gleichmäßig und sein Mund stand leicht offen. Obwohl ich ihm noch vor wenigen Stunden versprochen hatte, ihm zu erzählen wenn es mir schlecht ging oder mir etwas auf der Seele lag, konnte ich mich nicht überwinden, ihn aus seinem Schlaf zu reißen. Stattdessen stand ich langsam aus dem Bett auf und lief auf den Balkon, auf den das sanfte Mondlicht hinunter schien. Ich lehnte mich mit den Unterarmen auf das Geländer und blickte hinauf in den Nachthimmel, über den schier unendlich viele Sterne tanzten und um die Wette funkelten. Mir war etwas kalt in dem dünnen Nachthemd, das ich mir zum schlafen angezogen hatte, aber ich ging nicht wieder hinein oder holte mir eine Decke. Die kühle Nachtluft tat mir gut und ließ meinen immer noch rasenden Puls schwächer werden, während meine Gedanken immerhin für eine kurze Zeit betäubt wurden, bevor sie noch stärker als vorher auf mich einprasselten, wie ein Platzregen.

Ich war mir zuerst nicht sicher gewesen, ob mein Traum eine Vision war, aber je länger ich jetzt darüber nachdachte, desto unwirklicher erschien es mir. Ich hatte erst vor kurzem in die Zukunft geblickt und - auch wenn ich diese Visionen noch nicht besonders lange hatte, wenn man die Zeitspanne mit der Zeit meines ganzen bisherigen Lebens verglich und sie noch nicht so lange auftraten - es war noch nicht vorgekommen, dass die Visionen mich so nah hintereinander heimgesucht hatten. Doch gleichzeitig wusste ich, dass dieses etwas, von dem die Gestalt gesprochen hatte, bald seinem Besitzer entrissen werden würde. Denn der Traum war keine Vision gewesen, sondern vielmehr eine Warnung - aber wovor? Wieso musste mich jemand so unbedingt vor etwas warnen, dass er mir solch einen schrecklichen Traum schickte?

Langsam begann ich etwas zu zittern, doch ich blieb draußen stehen und starrte weiterhin in den Himmel, als könnte ich zwischen den Sternen die Antwort auf meine Frage finden. Ich stieß einen Seufzer aus und zum ersten Mal wünschte ich mir, ich hätte diese Fähigkeit nie erhalten. Gleich darauf widersprachen ich mir in Gedanken selber und verdrängte diesen Wunsch. Wenn mir die Möglichkeit gegeben würde, alles Rückgängig zu machen und irgendwie dafür zu sorgen, dass ich meine erste Vision nie bekommen hätte, würde ich mich dagegen entscheiden. Denn durch meine Fähigkeit war ich nach Bruchtal gelangt, hatte mich der Gemeinschaft angeschlossen, so viele tolle Menschen kennen gelernt und das wichtigste: Ich war Legolas näher gekommen, hatte mich vollkommen in ihn verliebt und war mit ihm zusammen gekommen, jetzt sogar verlobt. Er hatte mir geholfen mich selbst zu finden. Und für ihn würde ich mich selbst auch wieder aufgeben, solange ich ihm damit helfen konnte.

"Auriel?", ertönte plötzlich Legolas Stimme hinter mir und gleich darauf schlangen sich zwei Arme um meinen Körper. "Was machst du hier draußen?" Ich seufzte und lehnte mich an ihr, genoss das Gefühl, sicher in seinen Armen zu liegen. "Ich konnte nicht... ich hatte einen Albtraum. Oder auch eine Vision, aber... es ist so undeutig. Vielleicht wollen mich meine Träume seit neuestem auch vor etwas warnen", murmelte ich. "Vor was warnen?", wollte Legolas leise wissen. "Ich weiß es nicht... aber ich denke, dass sich meine Vision sehr bald verwirklichen wird", sprach ich meine Vermutung laut aus. "Dann muss es aber etwas schreckliches sein, wenn du nicht nur eine Vision darüber hast, sondern auch noch von einer Warnung träumst", meinte Legolas vorsichtig und malte ein unsichtbares Muster auf meinen Bauch. "Möglich wäre es. Vielleicht frage ich sie mal." "Mach das. Aber jetzt komm bitte wieder rein und geh schlafen", murmelte er. Ich seufzte. "Ich weiß nicht, ob ich jetzt schlafen kann."

Legolas schwieg für einige Augenblicke. "Warte kurz hier", meinte er dann und verschwand kurz nach drinnen, bevor er mit einer Decke zurück kam und mich sanft zu der hölzernen Bank auf dem Balkon zog. Er drapierte die Decke um mich herum und zog mich dann auf seinen Schoß. Ich lächelte glücklich und kuschelte mich an ihn. "Hast du Sorgen, was... was deine Zukunft betrifft, weil ich jetzt in deinem Leben bin?", fragte ich ihn nach einer Weile, in der wir schweigend die Sterne beobachtet hatten. Ich wusste selber nicht, woher dieser Gedanke gekommen war, aber irgendwie hatte er sich so drängend gegen meine Lippen bewegt, dass ich nicht anders gekonnt hatte, als ihn auszusprechen.

"Ein wenig", gab Legolas zu, doch ließ mich nicht zu Wort kommen, als ich etwas sagen wollte, sondern redete direkt weiter, "weil ich mir Sorgen um dich mache. Ich bin mein Leben lang mit diesem Druck aufgewachsen irgendwann König werden zu müssen und da wir heiraten werden, wirst du zwangsläufig Königin werden. Ich mache mir Sorgen, dass du diesem Druck nicht gewachsen bist, auch wenn das eigentlich Unsinn ist, weil du eine der stärksten Personen bist, die ich kenne. Und wenn du unter diesem Druck zusammen brechen würdest, wüsste ich nicht, was ich tun soll."

Ich drehte mich so, dass ich ihn ansehen konnte und lächelte ihm aufmunternd zu. "Danke, dass du deine Sorgen mit mir teilst. Und ich kann dir versprechen, dass ich dich niemals im Stich lassen werde. Das bedeutet auch, dass ich nicht einfach zusammen brechen werde, weil mich eine Last schier zerdrückt. Wir schaffen das. Zusammen, Legolas." Jetzt lächelte er ebenfalls. "Ich liebe dich, Auriel." Er drückte mir einen kurzen, aber süßen Kuss auf die Lippen. "Ich liebe dich so sehr, dass ich glaube, mein Herz zerspringt gleich vor Liebe, wenn ich in deiner Nähe bin." Gerührt von seinen Worten lächelte ich. "Ich liebe dich auch Legolas. Und ich werde es immer tun."

𝙳𝚒𝚎 𝙼𝚊𝚌𝚑𝚝 𝚍𝚎𝚛 𝚃𝚛ä𝚞𝚖𝚎 - 𝙻𝚎𝚐𝚘𝚕𝚊𝚜 𝚏𝚏Where stories live. Discover now