K A P I T E L 7

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E d w a r d

„Komm schon, Herzensbrecher!", brüllt mich mein bester Freund an. Wir sind irgendwo im Nirgendwo. Es ist heiß, so unfassbar heiß, meine Schulter schmerzt und mein Bein will nicht mehr, wie es soll. „Ich kann nicht", keuche ich. Entsetzt sehen meine engsten Verbündeten, meine Freunde, meine Kameraden zu mir. „Wir brauchen dich aber!", sagen sie. Laute Rufe kommen von hinten, wenn wir Pech haben, nicht einmal mehr hundert Meter entfernt. Auch, wenn wir jetzt sofort los rennen, werden wir es nicht mehr schaffen. Ich sehe es in den Gesichtern jedes einzelnen. Wir sind Krieger. Kämpfer, die sich für diesen Weg entschieden haben. Ist es nicht eine Ehre, für sein Land zu streben? Und doch ist es das Letzte, was ich will. Ich will nach Hause, will nach Hause zu meiner Familie, zu meinen Geschwistern, zu ihr. Doch es ist egoistisch, diese Gedanken zu hegen, denn das wollen wir alle. Jeder einzelne, der sich für diese gottverdammte Eliteeinheit gemeldet hat. Mehr als ein gottverdammtes Jahr, in dem wir jetzt schon von unseren Liebsten getrennt sind. Wir alle wollen sie endlich wiedersehen. Nun schauen sie mich an, denn als ihr Captain muss ich wissen, was zu tun ist, doch ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht. Das einzige was ich weiß, ist, dass ich diese tapferen, mutigen und ehrenvollen Männer nicht sterben lassen kann. Kurz schließe ich meine Augen, versuche meinen hektischen Herzschlag zu beruhigen und sehe entschlossen in die Gesichter meiner Männer. „Geht den Gang weiter geradeaus, in ein paar Metern müsste der Ausgang sein und in wenigen Minuten wird die Verstärkung einrücken. Ihr werdet hier rauskommen. Verstanden?!", sage ich laut und deutlich. „Jawohl, Sir!", rufen sie im Einklang. „Was ist mit dir?", fragt mich mein bester Freund, Bobby. Vielsagend sehe ich ihn an und er versteht meinen Blick sofort. „Geht.", sage ich noch und lade meine Pistole. Alle gehorchen, außer natürlich Bobby. „Du wirst draufgehen, Alter." „Ich weiß..."
Wir drehen uns um und sehen in den bisher noch leeren Gang, aus dem wir kamen. „Nun geh!", murmle ich. Kopfschüttelnd sieht er zu mir und legt sein Maschinengewähr in Position, bereit zu feuern. „Ich lass dich doch nicht alleine. Einheit über alles." Noch einmal blicke ich in die grauen Augen meines besten Freundes, mit dem Wissen, dass es das letzte Mal sein wird. „Einheit über alles." Und schon kommen die Männer, die so viele von uns getötet haben, auf uns zu gerannt. Das laute, ohrenbetäubende, zerstörerische Geräusch unserer Waffen hallt von den Wänden wieder.
Bis ein Schuss, der wohl qualvollste von allen, genau im Kopf meines besten Freundes landet. „Nein!", brülle ich schmerzerfüllt.

Ruckartig wache ich aus dem Traum auf, der nicht mehr als eine furchtbare Erinnerung meiner Vergangenheit gewesen ist. Hektisch atme ich ein und aus, fahre mir angespannt über das schweißnasse Gesicht und stehe langsam von meinem Bett auf.
Ein Wunder. Das hat man einst zu mir gesagt, als ich wieder aufgewacht bin. Ein Wunder und ein Held. Ich bin vielleicht vieles, aber ein Held? Nein, zu dieser Zeit bin ich es nicht gewesen, nicht in meinen Augen. Die Männer haben überlebt und doch ist mein bester Freund dabei ums Leben gekommen und ich habe Monate bei ihnen verbracht. Alleine, wenn ich daran zurückdenke, würde ich mir am liebsten meine Waffe, die unter meinem Kopfkissen liegt, an die Schläfe halten und meinem Leiden ein Ende setzen. Nein, ich bin kein Held, aber noch viel weniger bin ich ein Feigling, deswegen werde ich mich nicht feige aus dieser Sache rausziehen. Posttraumatische Belastungsstörung ist die Diagnose.
Sie haben meiner Familie nie erzählt, dass ich ein ganzes verdammtes halbes Jahr in Gefangenschaft gelebt habe. Das mich alle für tot geglaubt haben und doch nie etwas erzählt haben, da diese Mission geheim und nicht autorisiert gewesen ist. Ich habe erst einen Monat später erfahren, dass meine Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen sind. Zu der Zeit habe ich noch immer im Krankenhaus gelegen, auf der anderen Seite des Globus. Körperlich bin ich genäsen, haben sie mir versichert, doch geistig bin ich kaputt. Vielleicht haben sie es nicht so ausgedrückt, doch ist es das, was ihr ärztliches Geschwafel bedeutet hat. Es ist merkwürdig gewesen, nach Hause zu kommen. Nicht so, wie ich es erwartet habe. Ich habe gedacht, sie wären sauer, alle, auch sie. Doch, auch wenn ich weiß, dass sie es sind, versuchen sie es so gut wie möglich zu verstecken. Die Abneigung von Alex ist zu erwarten gewesen, jedoch die tiefe Zuneigung von Ellie überraschend. Ich bin zu Stillschweigen verpflichtet, somit ist das erste, was ich ihnen von meinen Erlebnissen erzählt habe, eine Lüge gewesen. Man hat mir gesagt, dass sie mir irgendeinen bescheuerten Orden verleihen wollen. Ich habe abgelehnt, jedoch bestehen sie auf den Mist. Verstehen sie denn nicht, dass es für mich keine Heldentat gewesen ist? Was würde ich für ein Captain sein, der seine Männer, seine Kameraden sterben lässt? Es ist keine Heldentat, wenn man sich dazu verpflichtet fühlt! Meine Pflicht für mein Land, für meine Familie. Und nun verliere ich mich immer mehr in mir selbst. Wenn mich Bobby jetzt sehen könnte, würde er sich über mich beschweren. Was für ein hoffnungsloser Fall ich doch geworden bin. Ich reiße mir das nasse Shirt über den Kopf und ziehe mir ein frisches Tank-Top raus, was ich überziehe. Leise, in der Hoffnung niemanden zu wecken, gehe ich nach unten. Es ist fünf Uhr morgens. Selbst Ellie wird noch ein paar Stunden schlafen. Also schnappe ich mir meine Schuhe und nehme einen alten Pulli von meinem Vater, ehe ich nach draußen in die erfrischende Kälte gehe. Seit der penetranten Hitze im Süden liebe ich die Kälte im Norden. Ohne weiter zu zögern laufe ich los, durch die Straßen, weit hoch in die Berge. Leere meinen Geist und konzentriere mich nur auf meine Umgebung. Die eisigen Temperaturen fressen sich in meine geschundene Haut und hinterlassen ein leichtes Kribbeln, was mir die Bestätigung gibt, dass ich echt bin. Dass dies hier mein zu Hause, meine Freiheit ist und nicht nur Halluzinationen der unerträglichen Schmerzen.
Ich bin echt und sie ist es auch.

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