K A P I T E L 30

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E l i z a b e t h

Kein Wort. Wir haben kein einziges Wort mehr gewechselt, seit diesem Abend. Was wahrscheinlich daran liegt, dass ich ihn nicht wirklich mehr zu Gesicht bekommen habe. Soweit ich weiß, unterrichtet er noch immer Basketball und so viel ich von Clair mitbekommen habe, mit der ich mich gestern noch ein paar Stunden unterhalten habe, unterrichtet er jetzt auch Sport. Die Schule leidet wohl seit dem Amoklauf unter extremen Lehrermangel. Viele sind so traumatisiert gewesen, dass sie die Schule verlassen haben. Ein paar sind dazu gekommen, sowie auch einige neue Schüler. Es gibt wohl eine Gedenktafel für die drei verstorbenen, doch ansonsten wird dieser Tag wohl totgeschwiegen. Auf die Frage, woher sie das alles wisse, erklärte sie mir, dass ihr toller Freund Justin sitzen geblieben ist. Na toll. Ich habe gedacht, der Typ bleibt mir wenigstens erspart, doch scheint das wohl nicht der Fall zu sein. Wenig motiviert betrete ich die Schule. Nachdem uns Ed letztes Jahr immer gefahren hat, ist es für mich heute wirklich merkwürdig gewesen, zum ersten Mal wieder mit dem Bus zu fahren. Um ehrlich zu sein, habe ich Angst vor dem Tag. Außer Tony und Maddy habe ich eigentlich keine wahrhaftigen Freunde gehabt. Und da ich das Gefühl habe, dass mir Maddy nicht gerade um den Hals fallen wird, wenn sie mich sieht, bin ich wohl alleine.
Oh Mann. Ich ziehe mir meinen Mantel enger und klammere mich in den Henkel meines Rucksacks. Die Leute beäugen mich überrascht, da sie wohl nicht damit gerechnet haben, mich jemals wieder zu sehen. Ein kleiner Teil von mir fragt sich auch, warum ich nicht in Australien geblieben bin, da meine Abreise auch ermöglicht hat, nicht mehr durch diese Flure laufen zu müssen, in denen vor nicht einmal ein paar Monaten drei Typen mit Waffen langgelaufen sind und einfach so Menschen angeschossen haben. Es ist natürlich keine Frage, dass das für viele traumatisierend war. Zum Glück ist mein alter Spind nicht vergeben worden, sodass ich ihn einfach wieder übernehmen kann. Als ich ihn zuklappe, sehe ich sie. Maddy. Sie lacht. Herzhaft und laut. Und ein Arm von einem niedlichen Typen hängt um ihre Schulter, während sie mit ein paar anderen Leuten quatscht. Als sich unsere Blicke treffen, verstummt ihr Lachen und ihr Mund verzieht sich zu einer geraden Linie. Das trifft mich tief und mein Herz fängt an zu bluten.
Bitte hör nicht auf zu lachen... Zaghaft hebe ich die Hand und versuche mich an einem schiefen Lächeln, doch sie dreht sich mit dem Typen um, der sie verwundet ansieht und geht. Traurig lass ich meine Hand sinken und schultere meinen Rucksack, ehe ich in meinen Klassenraum gehe. Was hast du erwartet, Ellie? Kurz davor ruft jemand meinen Namen. „Ellie?! Ich fass es nicht!", Tony kommt auf mich zu und nimmt mich fest in den Arm. „Wow! Schön dich zu sehen. Wie geht es dir? Wie war es in Australien?" Sofort fange ich an zu grinsen und sehe in sein freundliches Gesicht. „Gut und dir? Australien war ein Traum", erzähle ich ihm, während wir gemeinsam in die Klasse gehen. Ich berichte ihm, was ich so erlebt habe und er mir, was es so Neues zu wissen gibt. Wir lachen viel und es ist wirklich angenehm.
„Es ist wirklich schön, dass du wieder hier bist. War merkwürdig ohne dich...", er lächelt schief. „Wie... wie geht es Maddy?", frage ich ihn. „Gut! Sie hat jetzt einen Freund. Der ist eigentlich ganz nett, auch, wenn er sich manchmal für etwas Besseres hält. Sie hat echt viele neue Freunde gefunden, aber keine ist so wie du", aufmunternd stößt er mit seiner Schulter gegen meine, als er mein trauriges Gesicht gegen Ende sieht. Ich wünschte, ich hätte das von ihr erfahren... „Und was ist mit dir?", lächle ich nun wieder. „So wie immer. Ollie und ich sind immer noch beste Freunde. Und naja...", er zögert und kratzt sich am Nacken. „Was?", lache ich und sehe ihn neugierig an. „Ich habe jetzt eine... Freundin. Seit anderthalb Monaten", berichtet er mir und ich freue mich für ihn. Ich freue mich wirklich sehr und das bringe ich auch zum Ausdruck. Natürlich gibt es da einen kleinen Stich, den hätte wohl jeder, aber er hat es so sehr verdient. „Ich freu mich für dich, Tony." Er nickt zögerlich und lächelt schwach. Wir denken wahrscheinlich an dasselbe. „Und... und bei dir?", fragt er dann. „Gibt es da jemanden, der dein Herz erobert hat?" Unweigerlich werde ich rot, da mein erster Gedanke Ed gilt. Doch ich schüttle schnell mit dem Kopf. „Nein", sage ich schlicht und könnte schwören, Erleichterung über sein Gesicht ziehen zu sehen. „Der Richtige kommt bestimmt bald", versichert er mir. Doch was ist, wenn er das schon die ganze Zeit gewesen ist? Nur ich habe es nie gemerkt? Als jedoch unsere Lehrerin die Klasse betritt, beenden wir unser Gespräch und konzentrieren uns auf den Unterricht.

Die nächsten Stunden schleifen nur so dahin. Erleichtert gehe ich in die Cafeteria mit Tony. Wir holen uns was zu essen und quatschen währenddessen ununterbrochen. „Baby!", quickt jemand und sofort liegen ein paar Lippen auf Tony's. Überrascht sehe ich das Mädchen an. Sie hat braune lockige Haare. „Ella...", lacht Tony und legt einen Arm um sie. „Ellie... das ist meine Freundin Ella", stellt er sie mir vor und ich lächle sie freundlich an. „Hey, freut mich dich kennenzulernen." Kurz reißt sie die Augen auf, als sie mich erkennt, ehe sich ein Schatten über ihr Gesicht legt. „Mich auch", sagt sie jedoch weniger erfreut. „Isst du bei uns?", fragt mich Tony hoffnungsvoll. Ich sehe zu unserem ehemaligen Stammplatz, wo schon Maddy und ihr Freund mit ein paar andern Leuten sitzt, die ich nicht kenne. Allgemein laufen hier viele rum, die ich bisher noch nie gesehen habe. „Ich...", unschlüssig sehe ich von Ella zu Maddy und mir scheint es nicht so, dass mich die beiden wohl gerne bei sich hätten. „Nein. Ich werde mich weiter hinten hinsetzen. Wollte noch was lesen." „Aber...", will Tony protestieren. „Lass sie doch. Wenn sie nicht will, musst du das akzeptieren", unterbricht ihn seine Freundin. Ich lächle noch schwach, ehe ich meinen Rucksack schultere und mit meinem Tablett weiter nach hinten gehe. Seufzend lasse ich mich auf einem leeren Platz nieder und schlage mein Lieblingsbuch von Jane Austen auf. Es vergehen einige Minuten und ich schaffe, trotz des Lärms, einige Seiten zu lesen, als es plötzlich etwas leiser wird. Es wird viel getuschelt und gekichert. Irritiert sehe ich auf und schaue mich um. Einige Mädchen haben die Köpfe zusammengesteckt und laufen rot an, während sie mit davor gehaltener Hand kichern. Sie sehen zum Eingang und ich entdecke Edward. Er schultert gerade seine braune Ledertasche und fährt sich durch die Haare. Er trägt ein graues T-Shirt und eine schwarze Jeans, wie so oft. Mir wird klar, dass sie alle ihn anstarren.
„Gott! Er ist so heiß!" „Sieh dir seine Narbe an! So männlich!" „Ich würde töten, um diesen Oberkörper nackt zu sehen." „Mr. Jonas ist so hübsch!"
Beinahe muss ich anfangen zu lachen, als ich das ganze Getuschel vernehme. Was ist denn nur mit der Schule passiert? Ist jetzt Ed der Lehrer, auf den alle stehen oder was? Ich muss mich stark konzentrieren, um nicht laut los zu lachen, weswegen ich mir auf die Lippen beiße. Er holt sich von der Theke einen Apfel und beißt hinein. Seufzen ist von allen Seiten zu hören. Ich schnaufe belustigt und schaue wieder in mein Buch.
„Er ist heiß, nicht wahr?", verwirrt sehe ich zu dem Mädchen zwei Stühle weiter, die mich angesprochen hat. „Redest du mit mir?", frage ich sicherheitshalber. Sie hat blonde Haare und ist auch wirklich hübsch. Sie nickt und steht auf, ehe sie sich neben mich setzt. „Ich bin Angelina, aber du kannst mich Angie nennen", sie lächelt und beißt von ihrem Apfel ab, wie Edward eben. „Ich bin Ellie." „Bist du neu hier?", fragt sie mich. „Sowas in der Art", murmle ich. „Bist du geflogen oder warum kommst du mitten im Jahr?" Überrascht sehe ich sie an. „Äh... Nein. Ich... war im Ausland", erkläre ich ihr. Angie's Blick liegt schon die ganze Zeit bei meinem Bruder, was mich irgendwie verstört. „Ich bin hier auch erst seit einem halben Jahr. Unsere Schule hat sich aufgelöst. Hätte ich jedoch gewusst, dass hier so heiße Lehrer sind, dann wäre ich schon früher gekommen", seufzt sie. Ich schüttle nur grinsend den Kopf und stecke ihn wieder ins Buch. „Meinst du, er ist Single?" „Ja", sage ich, ohne darüber nachzudenken. Überrascht sieht sie mich an. „Echt? Woher willst du das wissen?" „Äh... Keine Ahnung. Vermutung...", murmle ich nur, da ich nicht vorhabe unbedingt allen zu erzählen, dass er mein Bruder ist. „Hm... Hoffentlich." Irgendwie nervt es mich, auch, wenn ich sie eigentlich ganz nett finde. Immerhin hat sie mich angesprochen, obwohl sie mich nicht kennt. „Oh mein Gott. Ellie!", erschrocken sehe ich zu ihr, als ihre hohe Stimme zu mir durchdringt. „Er kommt auf mich zu", sie fährt sich schnell durch die Haare. „Habe ich Lippenstift auf den Zähnen?" Sie zeigt mir gehetzt ihre geraden, strahlend weißen Zähne. „Nein. Alles gut", beschwichtige ich sie, auch, wenn ich nicht denke, dass er jetzt wirklich auf uns zu kommt, sondern an uns vorbei läuft zu den anderen Lehrern. Deswegen lese ich auch weiter in meinem Buch, jedoch wird es nach einiger Zeit so still im Raum, dass man eine Feder hören könnte. Ich schaue von meinem Buch auf und ahne schon schlimmes. Das war's dann wohl mit meinem Plan.

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