K A P I T E L 19

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E l i z a b e t h

Gelangweilt sitze ich an meinem Schreibtisch und scrolle durch verschiedene Webseiten. Schon lange spiele ich mit dem Gedanken über ein Auslandssemester. Meine Beraterin in der Schule hat es mir vorgeschlagen und um ehrlich zu sein, hat es mich extrem neugierig gemacht. Es ist zwar sehr teuer, aber so viel Geld haben meine Eltern mir zurückgelegt. Beworben habe ich mich schon vor Wochen bei verschiedenen Programmen. Gefühlt tausende YouTube Videos habe ich mir davon angesehen. Doch das ist alles passiert, bevor Edward nach Hause gekommen ist. Mittlerweile bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich das will. Ich habe nur noch ein paar Wochen, dann muss ich ihnen meine Entscheidung mitteilen, bei denen ich angenommen worden bin. Trotzdem bin ich mir ziemlich sicher, dass ich es lassen werde. Meine Familie braucht mich und ich brauche sie. Weswegen ich das MacBook zuklappe, aus meinem Fenster starre und den Regen beobachte. Nur noch wenige Tage, dann habe ich Geburtstag. Ich werde siebzehn und das stimmt mich traurig. Ein Geburtstag ohne meine Eltern fühlt sich nicht richtig an. Die Stadt wird von einem grauen Schleier verschluckt. Große Pfützen bilden sich vor unserem Haus auf der Straße. Entschlossen nehme ich meinen gelben Regenmantel und schlüpfe in die Gummistiefel meiner Mutter, auf denen bunte Blumen drauf sind. Ich laufe an Clair's Zimmer vorbei und klopfe an. „Ja?", dringt es genervt zu mir vor. Leise öffne ich die Tür. „Ich wollte raus gehen, möchtest du vielleicht mit?", fragend sehe ich das Mädchen auf ihrem Bett an, welches Musik hört und sich ihre Fußnägel lackiert. „Sehe ich so aus?"
„Äh..."
„Nein. Ich will nicht mit", murrt sie und widmet sich wieder ihren Nägeln. „Okay, bis nachher", verabschiede ich mich und gehe nach unten. „Wo willst du hin?", fragt mich Alex aus dem Wohnzimmer, wo er es sich mit Amber bequem gemacht hat. „Raus...", offensichtlich deute ich auf mein Outfit. „Mach aber nicht zu lange... es gibt bald Essen." Augenverdrehend gehe ich zur Tür. „Tschühüss...", rufe ich noch laut. Freudig laufe ich Richtung Berg, immer weiter in den schönen grünen Wald. Saftig knirscht das Moos unter meinen Stiefeln. Nur das leise Prasseln des Regens, wie er auf meine Kapuze abprallt, ist klar wahrnehmbar. Wie in einer anderen Welt sauge ich all diese wunderschönen Farben in mich auf und genieße die Natur. Schon immer habe ich es geliebt. Strahlend beobachte ich ein Reh, das, als ich ausversehen auf einen Stock trete, erschrocken davonrennt. Ich verliere mich immer mehr im Grünen. Werde eins mit meiner Umgebung. Fühle mich einfach so unfassbar geborgen und wohl. Bis ich an meinen Lieblingsplatz ankomme. Ungeschickt klettere ich von einem Ast auf den anderen, bis ich endlich in der Krone ankomme und den Ausblick genieße. Wie ich diesen Platz doch liebe. Es ist Glück gewesen, den Baum aus reinem Zufall zu finden. Das Beste ist, dass seine Äste so gut liegen, dass ich ohne große Probleme auf den Baum klettern kann. Fast schon wie meine persönliche Treppe.

~

Es kommt mir vor wie Stunden. Die Zeit entgleitet mir und lässt nur noch diesen Moment wie eine Ewigkeit erscheinen. Prachtvoll ragen die saftig grünen Blätter umher und bilden fast schon einen Bilderrahmen für die Aussicht auf die kleine Stadt unten im Tal. Träumerisch betrachte ich die Sonne, wie sie immer weiter hinter dem gegenüberliegenden Berg verschwindet. Als mir erschreckend klar wird, wie spät es bereits sein muss. Verdammt! Schnell erhebe ich mich und klettere vorsichtig Ast für Ast weiter runter. Es ist im Nachhinein nicht die beste Idee gewesen, bei Regen auf einen Baum zu klettern, denn sonst wäre es mir vielleicht erspart geblieben, abzurutschen und mich nur noch mit einem Arm notdürftig zu halten. Scheiße! Mal wieder so typisch ich! Panik macht sich in mir breit, während ich versuche nicht nach unten zu sehen, weil ich weiß, dass ein Sturz aus dieser Höhe mindestens einen Bruch mit sich bringt. Toll. Ein Geburtstag mit Gips. Typisch. Shit! Ängstlich kralle ich mich in das Holz. Hektisch versuche ich mit meinen Schuhen irgendwas zum Stützen zu finden, denn ich besitze nun wirklich nicht ansatzweise so viele Muskeln im Arm, dass ich mich alleine durch meine Kraft hoch ziehen könnte. Als ich endlich was finde, durchzieht mich mein Adrenalin und ich versuche mich hochzustemmen. Jedoch rutsche ich mit dem Stiefel ab und kann mein Gewicht nicht mehr halten. Kreischend rutschen meine Hände vom Ast und ich kneife die Augen fest zusammen. Geschickt werde ich jedoch aufgefangen. Panisch klammere ich mich an den Hals von demjenigen. „Immer muss ich dich retten", lacht eine mir nur zu bekannte Stimme. „Eddie?", erleichtert sehe ich in sein Gesicht. „Es ist spät Ellie, was machst du denn immer noch hier. Alex hat mir versichert, dir gesagt zu haben, du sollst nicht so lange wegbleiben", tadelnd sieht er mich an und schuldig ziehe ich den Kopf ein. „Tut mir leid, ich habe die Zeit vergessen." Schnaufend schüttelt er mit dem Kopf und läuft los. „Das Essen ist jetzt bestimmt schon kalt", brummt er. Schmollend sehe ich ihn an, denn ich mag es gar nicht, wenn er sauer auf mich ist. „Das wird Konsequenzen haben", knurrt er, jedoch kann ich sein verstecktes Grinsen erkennen. „Tut mir leid... Kommt nicht mehr vor, Sir", kichere ich. „Will ich auch hoffen." „Wie hast du mich denn eigentlich gefunden?", neugierig sehe ich ihn an, während ich mich fest an ihn presse und erst jetzt merke, dass er nicht mehr als ein graues T- Shirt trägt, was ganz durchnässt ist. Selbst sein kurzes Haar hängt ihm nass ins Gesicht. „Ich kenne dich besser als jeder andere. Ich weiß, wo dein Lieblingsplatz ist...", murmelt er, während er geschickt den Ästen ausweicht und mich geschmeidig durch die Gegend trägt. Der Gedanke ihn zu fragen, ob er mich denn nicht runterlassen will, kommt mir gar nicht erst. Mit roten Wangen lehne ich mich an ihn und ziehe seinen markanten Duft tief in die Nase, der meinem Bauch wieder so ein merkwürdiges Gefühl verleiht. Von unten sehe ich zu ihm auf, wie seine kräftigen Kieferknochen arbeiten, wie sein Blick konzentriert geradeaus gerichtet ist und wie sich seine stählerne Brust immer wieder hebt und senkt. Ohne es zu merken, fahre ich mit meiner Hand über diese und male kleine Kreise auf sie. Wie kann eine Brust eigentlich gleichzeitig so hart, aber auch so warm und weich sein? „Lass das", knurrt er plötzlich und sofort halte ich in meinen Bewegungen inne. „'Schuldige", nuschle ich. Seufzend greift er um mich und schmeißt mich kurz etwas hoch, was mich quieken lässt, ehe er mich laut lachend wieder an sich presst. „Was sollte das?!", verstimmt sehe ich ihn an. „Strafe muss sein", unschuldig zuckt er mit den Schultern. „Blödmann", murre ich. „Damit kann ich leben.", erwidert er wie immer. „Es macht überhaupt keinen Spaß dich zu beleidigen!"
„Das tut mir aber wirklich leid...", sagt er gespielt ernst. Genervt stöhne ich. Kurz darauf spüre ich einen Hauch von einem Kuss an meiner Schläfe. Sofort schießt mir das Blut in den Kopf. Shit! Schnell verkrieche ich mich an seiner kräftigen Schulter und hoffe, dass er es nicht gesehen hat. Gott wie peinlich. Vielleicht sollte ich darüber mal mit Dr. Monroe reden...

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