K A P I T E L 41

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E l i z a b e t h

„Es stört ihn auch wirklich nicht?", fragend sieht mich Angie an. Wir liegen zusammen auf dem Bett und lernen schon seit ein paar Stunden für die Prüfungen, die nur noch wenige Monate in der Zukunft liegen. „Nein", murmle ich leicht genervt, doch sie scheint es gar nicht zu bemerken. Seit ein paar Tagen zeige ich Edward die kalte Schulter. Ich bin wütend. Verdammt, ich bin rasend vor Wut und das auch noch vier Tage später. Wie hat er sowas nur sagen können? Mich einfach wegschicken, nachdem wir so intim miteinander geworden sind. Es hat mich so unfassbar verunsichert. Obwohl ich ihm alles in die Schuhe schieben will, suche ich doch die Fehler bei mir. Habe ich denn etwas falsch gemacht? Hat... es ihm gar nicht gefallen? Ist es das? In Gedanken versunken, malträtiere ich meine Lippe und male sinnlose Kreise auf mein Blatt. Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn hasse... Das habe ich nicht sagen wollen und doch habe ich bis jetzt nicht einmal gezeigt, dass ich eigentlich ganz anders empfinde seit der Nacht. Natürlich hasse ich ihn nicht. Das wäre absurd. Er könnte mir mein Herz rausreißen, ein Massenmörder werden, mich verlassen und doch würde ich ihn noch immer lieben. Bedingungslos. Ist das krank? Naja, gesund wird es wohl nicht sein... aber ich kann einfach nicht anders. „Was machen wir denn jetzt wegen Geschichte", seufzt Angie. Gedankenverloren starre ich vor mich hin und denke nur an Ed. „Die Fabel von den Kugelmenschen...", flüstere ich, als sie mir wieder einfällt. „Was? Kugelmenschen?" "Ja. Es war in alten Zeiten, da war die Beschaffenheit der Menschen eine andere. Damals waren die Menschen kugelförmig mit zwei Gesichtern und jeweils vier Armen und vier Beinen. Sie waren von großer Kraft und großer Stärke, und sie waren so vollkommen, dass sie die glücklichsten und freundlichsten Wesen auf Erden waren. Doch dies erregte bei Zeus und den anderen Göttern Neid und Missfallen. Fürchteten sie doch, dass ihnen die Menschen zu ähnlich wären und sie ihnen deshalb nicht mehr die gebührende Verehrung zuteil werden ließen. So berieten sie, was sie mit den Menschen anfangen sollten. Lange wussten sie sich keinen Rat, denn sie wollten die Menschen nicht töten und zugrunde richten. Nach langen Überlegungen sprach Zeus: „Ich glaube, einen Weg gefunden zu haben, wie die Menschen erhalten bleiben können, wie sie aber gehindert werden, uns zu ähnlich zu sein. Ich will jeden von ihnen in zwei Hälften zerschneiden und sie so schwächen. So werden sie uns als schwache Menschen lieben und verehren." So wurden die Menschen zusammengerufen, indem die Götter ihnen ein neues, großes Abenteuer versprachen. Stattdessen aber schleuderte Zeus Blitze vom Himmel, die jeden Menschen in zwei Hälften zerschnitten. Und damit sich die zusammengehörigen Hälften nicht wieder zusammentun konnten, zerstreuten die Götter die Menschen über die ganze Erde. Als nun so ihre Körper in zwei Teile zerschnitten waren, da sehnte sich jede Hälfte mit unendlichem Verlangen nach ihrer anderen Hälfte. Zu spät erkannten die Götter, dass sie aus Selbstsucht großes Leid unter die Menschen gebracht hatten. Und so gelobten sie, dass sich zwei zueinander gehörige Kugelhälften wieder untrennbar vereinen dürften, wenn sie einander gefunden hätten. So sucht seit damals jeder Mensch den zu ihm gehörenden Menschen, um sich mit ihm wieder zu verbinden", erzähle ich. „Wow", kommt es nur von ihr und ich nicke. Wenn ich so darüber nachdenke, ist die Vorstellung, Edward könnte meine zweite Hälfte sein, erfüllend.
Wir beide entscheiden uns dafür ein kleines Referat über die Fabel zu halten. Die restliche Zeit verbringen wir damit dieses vorzubereiten, ehe es an meiner Zimmertür klopft. Alex steckt den Kopf ins Zimmer. „Kommt ihr, es gibt Essen." Sofort sehe ich, wie Angie nervös wird und vom Bett aufspringt. Aufgeregt zupft sie an ihrem roten lockeren Kleid rum. „Du siehst toll aus", brumme ich und krieche vom Bett. „Meinst du?", sie betrachtet sich im Spiegel. Seufzend sehe ich runter zu meiner Jogginghose und dem weiten Pulli unseres Dad's. Stanford steht auf ihm. Schwach lächelnd erinnere ich mich daran, wie begeistert er immer über seine Studiums Zeit geredet hat. Sie sind jetzt schon über ein Jahr tot. Der Schmerz sitzt noch immer tief. Alle sagen immer, es wird besser, doch das wird es nicht. Man lernt nur mit dem Schmerz, der Leere zu leben. Die Leere, die unsere geliebten Personen in unserem Herzen hinterlassen. Ich nehme mir einen Zopfgummi und mache mir einen unordentlichen Dutt. Irgendwie kann ich mich nicht entscheiden, ob ich Ed mit meinem Look die kalte Schulter zeigen will oder ob ich mich einfach so kleide, wie ich mich fühle. Natürlich laufe ich oft im Gammelklamotten rum. Immerhin ist das hier mein Zuhause. Wenn nicht hier, wo dann? Aber wenn Angie sich so rausputzt, komme ich mir immer total fehl am Platz vor. Eigentlich habe ich gerade überhaupt kein Interesse, Ed gleich unter die Augen zu treten. Ganz im Gegenteil dazu Angie, sie ist Feuer und Flamme. Zur Sicherheit trägt sie noch ein wenig Lippenstift auf.
Genervt schlurfe ich mit ihr zusammen die Treppen runter. Alle sitzen schon am Tisch und sehen hungrig auf das dampfende Essen. Ed jedoch sieht konzentriert auf seinen Teller. Kalt und ausdruckslos wie immer. Er trägt ein weißes Hemd, dessen obere Knöpfe er geöffnet und die Ärmel nach hinten gekrempelt hat. „Da seid ihr ja", freut sich Alex und packt sich auch schon eine Ladung Essen auf den Teller, dass Edward wieder zubereitet hat und schon jetzt weiß ich, dass es perfekt schmeckt. Angie setzt sich schräg neben Ed, der an der Spitze sitzt und ich seufzend neben sie. Sie strahlt und schaut ihn so heftig verliebt an, dass mir schlecht wird. Wenn er es merkt, weiß er es gut zu ignorieren. Doch wie könnte man es nicht merken. Es steht ihr beinahe auf der Stirn geschrieben. Wenn wir nicht immer diese dämlichen Schulprojekte aufbekommen würden, würde ich sie gar nicht erst so oft zu mir mitnehmen. „Wo warst du denn bis eben noch?", fragt Clair Edward und gespannt sehen wir ihn an. In letzter Zeit geht er öfter abends wieder weg. Er versucht es zu verheimlichen, doch ich schlafe seit ein paar Tagen nicht mehr gut ein, dadurch höre ich, wie er ab und zu abends verschwindet. „Unterwegs", brummt er nur. Wir wollen es natürlich alle genauer wissen, doch Ed wird uns nichts sagen. Das wissen wir. „Freuen Sie sich schon auf den Unterricht am Montag, Sir?" Fragt ihn Angie das jetzt wirklich? Alex muss sich mit mir stark ein Lachen verdrücken. Vielsagend sieht er zu mir und verdreht belustigt die Augen. „Sicher, Angelina." Die Zeit vergeht und Angie nutzt jede Minute irgendwie mit Ed zu reden, doch er scheint mir heute sehr grüblerisch. Ich hingegen lache die ganze Zeit. Eigentlich ist mir nicht dazu zu mute, doch Alex hat sich heute wohl die Aufgabe gestellt mich zum Lachen zu bringen. Er spielt mit dem Essen oder schneidet wirklich urkomische Grimassen. Am Anfang habe ich noch wirklich versucht nicht zu lachen, doch wenn Alex eins beherrscht, dann mich zum Lachen zu bringen. Clair hat nur genervt die Augen verdreht, jedoch ist ihr ab und zu auch ein breites Grinsen übers Gesicht gehuscht. „Könntest du dich vielleicht ein bisschen erwachsen verhalten?", knurrt Edward zu Alex. Er schaut wütend aus, beinahe rasend. Verwirrt sehe ich zu ihm. „Wieso denn? Wir machen doch nur Spaß", lacht Alex und zwinkert mir zu. „Sehr erwachsen." „Das sagt der richtige", rutscht es mir raus. Sofort rucken alle Blicke zu mir. Shit. Habe ich das so laut gesagt? „Wie bitte?" Oh Kacke, jetzt ist er wirklich sauer. Doch eigentlich habe ich ja Recht, weswegen ich ihn jetzt auch anfunkle. Er hat sich mehr als albern verhalten. „Du hast mich schon verstanden." Plötzlich ist alles so still, selbst unsere Uhr, die immer so nervig tickt, scheint die Zeit angehalten zu haben. „Pass auf was du sagst!" Oh! Für wen hält er sich, meinen Vater?! Jetzt werde ich aber sauer! „Ach!", ich schmeiße mein Besteck auf den Teller, wissend, dass Edward solches Verhalten hasst. „Vielleicht solltest du mal aufpassen!" Eine merkwürdige Stimmung entsteht im Raum. Es scheint fast so, als wäre ein Sturm zwischen uns aufgezogen. Ed schmeißt nur so mit Blitzen um sich, die aus seinen Augen treten. „Du verhältst dich kindisch", sagt er dann tatsächlich. Ruckartig stehe ich auf und glühe vor Wut. Laut kommt der Stuhl auf dem Boden auf. „ICH verhalte mich kindisch?! ICH?!", brülle ich ihn an. Wütend schmeißt er seine Serviette auf den Teller und springt nun auch auf. „Geh auf dein Zimmer!", knurrt er und ich fange sarkastisch an zu lachen. „Oh wirklich? Das sagst du ja seit neusten sehr gerne, hm?!" Störrisch verschränke ich die Arme vor meiner Brust und blähe meine Wangen auf. Ich könnte platzen. Was erlaubt er sich?? „Das gehört jetzt absolut nicht hier hin, Elizabeth!" Gespielt verstehend sehe ich ihn an. „Ja, natürlich. Wo bleibt mein Kopf. Lass uns das einfach ganz erwachsen nachher besprechen. Ach warte! Das hast du ja nicht." Unschuldig klimpere ich mit den Wimpern. „Aber du hattest sicher deine Gründe." Hektisch atmet er ein und aus und ballt seine Hände. Wow, so habe ich ihn mir gegenüber noch nie gesehen. „Elizabeth-", knurrt er, doch ich unterbreche ihn. „Ach weißt du was. Ist mir egal. Nicht mein Problem! Und weißt du was...", mein Zeigerfinger zeigt bedrohlich auf ihn. „Ich habe es ernst gemeint. Ich ha-", gerade als ich blind vor Wut meine Lüge erneut sagen will, kommt er auf mich zu und schmeißt mich über seine Schulter. Was zum...?!

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