--6--

2.3K 347 43
                                    

Es vergehen weitere vier Wochen, in denen Liam und ich zu insgesamt sechs Galerien gerufen werden, in denen ebenfalls eingebrochen, aber nichts entwendet wurde. Wie auch bei unserem ersten Fall dieser Art finden wir keine Einbruchspuren. Nichts deutet darauf hin, dass sich jemand unerlaubt Zugang verschaffen hat. Auch unser Tatort heute zeigt keinerlei Einbruchspuren auf und als wir die Galerie betreten, sehen wir gleich, dass es der gleiche Täter gewesen sein muss, denn an der Wand hängen zwei Gemälde von Picasso. Und zwar genau identisch.

"Ich verstehe das einfach nicht", murmelt mein Kollege gedankenverloren und lenkt unseren Streifenwagen zurück zum Revier. "Wozu der Aufwand? Was bringt es ihm?"
Ich kratze an meinem Kinn. Gestern habe ich mir endlich meinen Bart abrasiert, doch schon heute kann ich wieder kleine Stoppeln fühlen und diese jucken ungemein. Meine Hand greift nach dem kleinen Notizblock, den Liam in der Mittelkonsole abgelegt hat und meine Augen huschen über die Notizen.
"Vielleicht eine versteckte Botschaft?".
Liam schüttelt den Kopf. "Welche beschissene Botschaft soll er uns denn sagen wollen? Seht her, ich bin genauso gut wie der bescheuerte Picasso?".
Irgendetwas übersehen wir. Dieser Täter macht das nicht nur einfach so.
Was zum Teufel will er damit bezwecken?

Zurück auf dem Revier schreibt Liam den Bericht, während ich für Kaffeenachschub sorge. Gedanklich bin ich noch immer bei der Frage, worum es unserem Täter eigentlich geht, als unser Chef den Raum betritt und direkt auf Liam und mich zukommt.
"Payne? Tomlinson?"
"Chief Hount", begrüße ich den Leiter des Reviers und nicke diesem zu. Liams Kaffee stelle ich neben meinen Kollegen und sehe unseren Chef fragend an.
"Sie haben einen neuen Fall. Das Museum in der Lancaster Avenue hat gerade einen Einbruch gemeldet und dem sollten Sie einmal nachgehen."
Schnell nippe ich an meinem Kaffee, lehne mich zu meinem Schreibtisch und greife nach meiner Jacke.
"Ich stelle Ihnen dieses Mal einen Experten zur Seite. Wir müssen langsam mal herausfinden, was dieser ganze Mist soll. Sie treffen ihn vor Ort".
Damit verschwindet der Chief und fragend sehe ich zu meinem besten Freund, der augenrollend seine Dienstmarke und die Waffe aus der Schublade seines Schreibtisches holt. 
"Einen Experten?", möchte ich wissen, kippe schnell den letzten Rest meines Kaffees herunter und sammele dann auch meine Sachen zusammen. 

Zwanzig Minuten später kommen Liam und ich bei dem Museum an und werden sofort von einem vollkommen aufgelösten Wachmann in Empfang genommen. Stotternd versichert er uns, dass er nichts gesehen, nichts bemerkt hat und führt uns unterdessen in die zweite Etage, wo bereits ein anderer Mann auf uns wartet.
"Gut, dass Sie da sind, Officers", begrüßt er uns und reicht erst Liam, dann mir die Hand. "Samuel Higgs, Leiter des Museums", stellt er sich vor und wirft einen kurzen Blick auf den Wachmann, der wie ein verlorener Hundewelpe aussieht. "Und dieser Mann dort ist Clark Smulder. Unser Sicherheitsmann".
Mein Blick gleitet durch den Raum, doch ich kann nichts erkennen. Keine Kopie, keine zwei gleichen Bilder.
"Weshalb haben Sie uns gerufen?", möchte ich deshalb wissen und sehe zurück zum Museumsleiter.
"Smulder?", sagt dieser auf meinen Blick und sieht den Sicherheitsmann auffordernd an.
Der etwas zu schmächtige Mann mit Halbglatze wischt sich über die Augen und sieht schuldbewusst auf seine Füße. Der Arme hat sicherlich den Anschiss seines Lebens hinter sich.
"Ich war in meinem Wachhäuschen, wie jeden Tag. Wissen Sie, ich habe meistens die lange Schicht. Von 8.00 Uhr bis 22.00 Uhr. Jedenfalls saß ich dort, habe wie gewohnt auf die Monitore geschaut, als mir auf einmal etwas aufgefallen ist."
Smulder schiebt seine Hände in die Hosentaschen und sieht dann zu Liam und mir. "Ich hatte mir gerade etwas zu Essen genehmigt. Mein Frühstück war schon so lange her und mein Magen hatte sich gemeldet. Naja und dann habe ich mein Sandwich gegessen, welches meine Frau mir immer mitgibt." Ein kleines Lächeln huscht über sein Gesicht. "Sie hatte Schinken darauf getan und Mayonnaise. Außerdem diese kleinen, gewürzten Gurken, die ich so liebe. Die kauft sie nicht so oft, weil es die in dem Supermarkt in unserer Nähe nicht gibt und dann muss sie immer in den anderen fahren, der zwanzig Kilometer weiter weg ist."
"Smulder!"
Erschrocken zuckt der Mann zusammen und sieht entschuldigend zum Museumsleiter.
"Jedenfalls habe ich dann auf dem Monitor gesehen und dabei ist mir etwas aufgefallen. Ich war irritiert und wollte es mir genauer ansehen, weshalb ich beschloss, einen Rundgang zu machen. Das Museum öffnet ja eigentlich erst um 13.00 Uhr und normalerweise mache ich vorher immer einen kleinen Rundgang. Ich habe ihn einfach vorgezogen. Also bin ich los und dann habe ich das hier entdeckt."
Er deutet auf das Gemälde hinter Liam und sofort geht mein Blick ebenfalls dorthin. Doch ich kann nichts erkennen und ziehe deshalb fragend die Augenbraue in die Höhe. Auch Liam dreht sich um, sieht das Gemälde an und ich kann an seiner Körperhaltung sehen, dass auch er nicht weiß, was Smulder meint.
"Der Bilderrahmen", erklärt der Museumsleiter und tritt näher an das Gemälde heran. 
"Wir haben ausschließlich schwarze Rahmen. Bei jedem einzelnen Bild. Keine Ausnahme".
"Und dieser Rahmen ist Gold", stelle ich fest und nehme meinen Notizblock heraus. "Irgendetwas stimmt hier nicht", murmelt Smulder leise und sieht betreten zu seinem Chef. "Ich kann mir nicht erklären, wie das passieren konnte."
"Vielleicht ist es heute Nacht schon passiert", überlege ich laut und sehe zu Schmulder, dessen Augen sofort heller werden. "Das würde erklären, weshalb Ihnen nichts aufgefallen ist. Vielleicht hat unser Täter heute Nacht die Rahmen getauscht, oder eben das komplette Bild." Zweiteres kommt mir wahrscheinlicher vor, denn warum sollte jemand einen Bilderrahmen klauen? Das ergibt wenig Sinn.
Genervt brummt der Leiter des Museums auf und kramt nach seinem Handy. "Ich werde den Wachmann anrufen, der heute Nachtschicht hatte. Vielleicht ist ihm was aufgefallen."

Plötzlich erklingen weitere Schritte. Absätze klackern über den gefliesten Boden, schallen laut durch das Gebäude und lassen uns alle aufschauen.
"Das wird dann wohl unser Experte sein", murmelt Liam neben mir und dreht sich vom Bild weg, um den Neuankömmling zu begrüßen.
Die Schritte werden lauter und als die fremde Person um die Ecke biegt, schnappe ich nach Luft.
Hellblauer Anzug, rote Schuhe mit leichtem Absatz, unzählige Ringe und eine große Sonnenbrille, dazu ein spitzbübiges Grinsen, gepaart mit Grübchen, die mir nur allzu bekannt vorkommen.
"Ach du Scheiße".

Der Kunsthändler Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt