Warte hier

1.5K 284 26
                                    

Vor der Bar angekommen lehne ich mich mit dem Rücken gegen die Steinmauer und atme einmal tief durch. 
Scheiße.
Warum muss er auch unbedingt heute hier sein?
Und warum zum Teufel muss er so unglaublich gut aussehen?
Ich werde den restlichen Abend definitiv nur noch Wasser trinken. 

Mit zitternden Händen fische ich mir eine Zigarette aus meiner Jackentasche und zünde diese an. Ich rauche definitiv zu viel in letzter Zeit. Viel zu viel.
"Hi"
Ich zucke zusammen und blicke nach links. Harry steht neben mir, die Hände in den Hosentaschen.
Oh bitte.
Hasst mich das Universum so sehr?

Fragend hebe ich eine Augenbraue und sehe den Lockenkopf an. Doch er sagt nichts, starrt mich einfach nur an und scheint in seiner Bewegung eingefroren zu sein. 
Gut. Meinetwegen.
Ich ziehe an meiner Zigarette und richte meinen Blick geradeaus. 
"Ich -", beginnt Harry, bricht dann aber ab und schweigt weiter. Genervt kneife ich meine Augen zusammen, ziehe erneut an der Zigarette und drücke diese anschließend in dem Aschenbecher neben mir aus. 
Fragend drehe ich mich zu meinem Ex-Freund, sehe ihn an und merke, dass die frische Luft meinem Alkoholpegel nicht wirklich guttut. Ich bin nicht in dem Stadium, der mich kotzend auf der Toilette enden lässt, aber richtig Herr meiner Sinne bin ich trotzdem nicht. 
"Hast du noch was zu sagen? Sonst gehe ich wieder rein", motze ich und bin unfreundlicher als geplant. 
Aber mal ehrlich; das ist scheiße.
Ich wollte hier heute einen schönen Abend mit meinen Freunden verbringen, mich ablenken und nicht an ihn denken. Und dann taucht er hier einfach auf, haut mich mit seiner bloßen Erscheinung um und sorgt dafür, dass meine Gedanken doch nur wieder um ihn kreisen. 
Das ist nicht fair!

Harry blinzelt zweimal hintereinander, ehe ein Ruck durch seinen Körper geht und er einen Schritt auf mich zumacht. 
Er sieht mich an, sieht mir direkt in die Augen und keine Millisekunde später drückt er mich gegen die Steinwand und presst seine Lippen auf meine. 
Erschrocken japse ich auf, brauche einen Moment, ehe ich kapiere, was hier gerade los ist. Doch kaum habe ich es kapiert, wird mein Körper von einer Welle der Emotionen überrollt und ich kann nicht anders, als meine Hände in sein Hemd zu krallen, ihn enger an mich zu ziehen und den Kuss gierig zu erwidern. 

Fuck, wie sehr hat mir das gefehlt!

Harrys Hände legen sich an meine Taille, sein Körper presst sich eng gegen meinen und wir scheinen Eins zu werden. 
Keuchend lösen sich unsere Lippen voneinander, unsere Körper noch immer so nahe, dass sein Atem deutlich gegen mein Gesicht prallt. 
"Du fehlst mir so schrecklich, Love", haucht Harry leise, der Griff um meine Taille stärker. 
Seufzend schließe ich meine Augen, merke meinen zittrigen Atem und meine weichen Knie. 
"Ich hasse dich für das alles hier", gestehe ich, merke, wie mein Herz verdächtig stark schlägt.
"Ich weiß."
Sein Gesicht verschwindet in meiner Halsbeuge, seine Nase streicht über meine Haut und als seine Lippen sanfte Küsse auf meinem Hals verteilen, kralle ich mich instinktiv fester in sein Hemd. 
Scheiße!
Seine Lippen wandern weiter, während seine Hände meine Taille verlassen und sich stattdessen auf meinen Hintern schieben. Seine Berührungen sind wie Balsam für meine Seele und gleichzeitig sind sie die reinste Folter. 
"Ich liebe dich", flüstert er leise, verlässt mit seinen Lippen meinen Hals und legt sie stattdessen erneut auf meinen Mund. "Ich liebe dich", wiederholt er, bevor wir uns erneut küssen. 

Von meiner Umgebung bekomme ich nicht wirklich viel mit.
Ich bin gefangen in meiner wundervollen Blase. 
Meiner Blase, in der nur Harry und ich existieren. 
Seine Lippen sind betörend, seine Berührungen sinnlich und irgendwann kann ich nicht mehr leugnen, dass mich diese Knutscherei nicht vollkommen erregt. Aber auch Harry scheint es nicht anders zu ergehen. Ich kann es spüren. Deutlich.
"Lass uns verschwinden", nuschelt er zwischen unseren Lippen, küsst mich allerdings gleich wieder. 
Ein leises Stöhnen entweicht meiner Kehle, als Harry sein Becken gegen meins drückt. 
Fuck!
Ich nicke. 
"Warte hier", verlangt er, lässt abrupt von mir ab und verschwindet in die Bar. 
Überfordert fahre ich mir durch meine Haare und bin froh, dass wir weiter zur Seite gegangen sind und nicht mehr direkt neben der Eingangstür stehen. 
Ich versuche meinen Blick zu fokussieren, allerdings kann ich nicht mehr richtig scharf sehen und merke, wie der Alkoholpegel mittlerweile seinen Höhepunkt in mir erreicht hat. 
"Hier".
Erschrocken fahre ich herum und bekomme meine Jacke in die Hand gedrückt. Nickend ziehe ich sie mir über, wobei mir alles andere als kalt ist. 
Ein Uber hält direkt vor mir und etwas überfordert sehe ich zu Harry, welcher allerdings schon die Hintertür aufhält und mich ansieht. Logisches Denken ist vermutlich nicht mehr in meinem Kopf vorhanden, denn sonst wäre ich vermutlich niemals mit ihm gemeinsam in diesen Wagen gestiegen. 
Kaum sind die Autotüren geschlossen, nennt Harry dem Fahrer eine Adresse. Dann dreht er sich zu mir, grinst mich mit seinem unverkennbaren Grübchen an und zieht mich an sich. Ein letzter Blick in meine Augen reicht aus, damit wir erneut gierig übereinander herfallen. 

Die restliche Nacht fühlt sich an, wie in einer dicken Nebelwand. 
Nur schemenhaft bekomme ich mit, was eigentlich passiert. 
Wir kommen bei Harry an, taumeln die Treppe hinauf und landen in seinem Schlafzimmer. Wie wir unsere Kleidung verlieren weiß ich nicht und auch danach fehlen mir einige Details. 
Was ich allerdings sehr bewusst wahrnehme, ist, wie er sich anfühlt. 
Wie er sich anfühlt, seine lieblichen Laute, die von ihm kommen und seine Hände, welche sinnlich über meinen Körper gleiten. Ich höre meinen Namen aus seinem Mund, höre ein kehliges Stöhnen und dann erscheint wieder der Nebelschleier. Es passiert alles wie in Trance und als es uns überkommt, wir uns hingeben, uns vollkommen fallen lassen, ahne ich vermutlich schon in der hintersten Ecke meines Gehirns, dass das hier ein Fehler war. 

Der Kunsthändler Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt