Was für ein Tag

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Es ist ja bekanntlich so, dass man einige Dinge niemals aussprechen darf. Eigentlich ist es eine heilige Regel. Wie zum Beispiel in der Gastronomie. Ein Freund von mir arbeitete viele Jahre als Kellner und wirklich jedes Mal, wenn jemand gesagt hat: "Heute ist es aber ruhig", rannten die Gäste ihnen eine halbe Stunde später die Bude ein. 
Oder allgemein auf der Arbeit, wenn man denkt ; oh, heute kann ich pünktlich Feierabend machen. Kaum hat man diesen Gedanken laut ausgesprochen, kommt der Chef um die Ecke und verhindert den wohlverdienten Feierabend mit einem Haufen Akten, die unbedingt noch fertig werden müssen.
Und ich hätte mich einfach nicht fragen dürfen, wie beschissen dieser Tag eigentlich noch werden darf.
Wirklich, ich hätte einfach meine Gedanken abstellen sollen.

Kaum haben Liam und ich die Galerie verlassen, werden wir zu einem Diebstahl in einem Einkaufszentrum gerufen. Der Dieb ist dumm und dämlich, streitet natürlich alles ab und behauptet felsenfest, dass er keine Ahnung hat, wie die zehn Parfumflakons in seinen Rucksack kommen. Irgendjemand hat ihm diese untergejubelt, da ist er sich sicher.
Nee, ist klar.
Anschließend werden wir zu einem Mehrfamilienhaus gerufen, in dem sich einer der Mieter wegen Ruhestörung beschwert hat. Es sind die neuen Mieter, erklärt er uns. Erst vor wenigen Wochen eingezogen. Komische Leute. Immer wieder schmeißen sie Partys und er muss sich jeden Tag beschweren. Eine Zumutung, so seine Worte.
Dumm ist nur, dass die besagten Mieter seit drei Wochen im Urlaub sind, wie uns dann die Mutter der Hauptmieterin erzählt, die zufällig gerade zum Blumengießen vorbeikommt. 
Wie sich am Ende herausstellt, will der nörgelnde Kerl aus dem dritten Stock die Erdgeschosswohnung selbst haben und versucht nun mit etlichen Beschwerden die neuen Bewohner hinauszuekeln. 
Menschen gibt es. Kaum zu glauben.
Wir verschwinden und setzen uns zurück in den Streifenwagen.
Ich bekomme nervöses Augenzucken und brauche dringend Kaffee. Doch das wird mir leider vergönnt, denn ein Verkehrsunfall schickt Liam und mich direkt weiter. Gott sei Dank läuft dieser ohne viel Drama ab und wir können schnell wieder verschwinden. Immerhin etwas.

"Was für ein Tag", brummt Liam neben mir und lenkt den Wagen durch die Straßen. Zur Antwort knurrt mein Magen und mein bester Freund lacht leise. "Wie sieht es aus? Wollen wir uns einen vor Fett triefenden Burger holen?". Begeistert nicke ich. Das ist genau das, was ich an so einem Tag gebrauchen kann. 
Wir fahren also zu einer Fast-Food-Kette, stellen uns in den Drive-in und verbringen dann unsere Mittagspause im Streifenwagen, einen fetten Burger auf dem Schoß, Pommes in der Mittelkonsole und eine große Cola im Becherhalter. Der Radiomoderator spricht von einem wundervollen Tag. Viel Sonne und gute Musik. Ich hingegen möchte ihm das dumme Mikro aus der Hand schlagen. Der soll mir mit seinem wundervollen Tag gestohlen bleiben.
"Bei dir und Niall alles wieder in Ordnung?", möchte ich zwischen zwei Bissen wissen und unterbreche so die Stille, die in unserem Wagen bis eben noch geherrscht hat. Mein Kollege schluckt seinen Bissen herunter, nickt und trinkt einen Schluck, ehe er mir antwortet. "Ja, ich denke schon. Ich habe nicht bemerkt, dass ich mich seit einigen Wochen die Axt im Walte verhalten habe."
"Du meinst, dass du ein egoistisches Arschloch warst?".
Überrascht dreht Liam seinen Kopf zu mir. "Woher -", will er wissen und ich schlucke die Cola in meinem Mund herunter. "Das Revier hat überall Ohren, weißt du?". Mein bester Freund verdreht seine Augen und beißt in seinen Burger.
"Aber jetzt ist alles wieder gut?".
Liam nickt, kaut zu Ende und schluckt den letzten Rest seines Mittagessens herunter. "Alles wieder gut."

Keine zehn Minuten nach unserer Mittagspause kommt der nächste Einsatz und ich kann mir ein genervtes Stöhnen nicht verkneifen. Was ist denn heute nur los? Sonst passieren hier auch nicht so viele Dinge an einem Tag. 
Das artet ja richtig in Arbeit aus.

Gemeldet wird uns eine Schlägerei auf offener Straße. Als wir vor Ort ankommen, wird schnell klar, dass beide Kontrahenten ordentlich einen im Tee haben. Um diese Uhrzeit verwunderlich, aber als ich mich umschaue, wird mir klar, dass wir vor der einzigen Kneipe der Stadt stehen, die schon um 8.00 Uhr morgens ihre Türen öffnet. Dementsprechend ist hier auch der Kundenstamm.
Ich überlasse Liam den Anfang, doch schnell wird klar, dass hier niemand auf ihn hört. Die beiden Herren prügeln munter weiter auf sich ein, während sich eine kleine Gruppe um die beiden gebildet hat, die das ganze auch noch anfeuert. Vermutlich alles Gäste, aus dieser Kneipe. Zum Frühstück gab es sicher billigen Wodka mit Cola. Würg.
Liam wird lauter und ich straffe meine Schultern. Wenn die so weiter machen, müssen wir eingreifen und darauf habe ich ehrlich gesagt keine Lust. 
Zehn Sekunden später ist es aber leider schon so weit. Mein Kollege wird angegangen, geschubst und damit ist klar, dass das hier kein friedlicher Einsatz wird.
Ehe ich mich versehe wird das Handgemenge stärker, die Zuschauer mischen sich mit ein und ich wünschte mir, dass ich mich heute Morgen einfach krankgemeldet hätte.
Liam schafft es, die Streithähne auseinander zu bringen und schnell schiebe ich mich dazwischen, dass sie nicht erneut aufeinander losgehen. Sie schreien sich noch immer an, wollen immer wieder aufeinander losgehen, doch Liam hat den rothaarigen Prügelknaben fest im Griff. Den etwas hageren der beiden versuche ich mit meinen Händen fernzuhalten, rede auf ihn ein und hoffe, dass er endlich nachgibt, doch dann holt er aus. Blitzschnell beugt er sich vor, will den Rothaarigen treffen, welcher allerdings von mir verdeckt wird. Stattdessen landet seine Faust in meinem Gesicht und bevor ich überhaupt realisiere, was hier passiert, sacke ich zusammen. Ein stehender Schmerz breitet sich in meinem Gesicht aus, ein Piepen durchdringt meine Ohren und meine Sicht verschwimmt. 
Verdammt, dieser Kerl hat einen ordentlichen Schlag drauf. 
Ich versuche aufzustehen, stütze mich auf meinem Knie ab, doch dann trifft mich ein Fuß. Genau gegen die Schläfe und mit so einer Wucht, dass ich nach hinten umkippe.
Und dann wird alles schwarz.

Der Kunsthändler Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt