Ich fahre bei dir mit, wenn das okay ist.

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Nach zwei Stunden geben wir die Suche auf.
Von Harry ist weit und breit keine Spur, was mich natürlich keineswegs wundert.
"Er muss doch hier irgendwo sein", stößt Liam frustriert aus und leuchtet mit der Taschenlampe an die Decke.
Na da hängt er ganz sicherlich nicht.
"Hatte denn jemand die Kellertür im Auge, während wir hier gesucht haben?", möchte ich wissen und bekomme als Antwort nur betretendes Schweigen.
Also nein.
Da hätten wir also die eindeutige Antwort, warum Harry nicht hier sein kann.
"Schöne Scheiße", motzt Smulder und lässt seine Schultern hängen. "Das wird dem Boss überhaupt nicht gefallen."
Plötzlich halte ich inne.
"Er hatte kein Bild dabei."
Alle Augen richten sich auf mich und sofort fühle ich mich schuldig.
Scheiße, ich weiß es doch auch, okay?
Mein schlechtes Gewissen zerfrisst mich jetzt schon komplett.
"Naja, als...also als er geflohen ist. Er hatte nichts in der Hand."
"Dann liegen vielleicht beide Gemälde noch hier", schlussfolgert Liam und gibt das Kommando, zurück in die Ausstellung zu gehen.
Und siehe da.
Das eine Gemälde hängt an der Wand, während das Andere wenige Meter daneben gegengelehnt ist.
"Oh was für ein Glück." Schmulder ist sichtlich erleichtert. Natürlich ist er das. Sein Boss hätte ihn bestimmt die Hölle heiß gemacht, wenn es erneut zu einem Diebstahl gekommen wäre.
"Wir müssen Styles anrufen, damit er uns sagen kann, welches hiervon das Original ist."
Liam sieht mich an, doch ich schüttele meinen Kopf, darauf bedacht, dass es nicht zu hektisch wirkt.
"Wir können auch beide Gemälde mitnehmen und erst die Fingerabdrücke sichern. Er kann die Gemälde dann bei uns abholen."
Mein bester Freund nickt. "Keine schlechte Idee. So müssen wir seine nicht rausfiltern."

Den Rest der Schicht bin ich still und in mich gekehrt. Tausende Fragen kreisen in meinem Kopf und das schlechte Gewissen wächst von Sekunde zu Sekunde.
Nicht, dass ich mir andauernd die Frage stelle, ob ich das Richtige getan habe, das habe ich auf keinen Fall, sondern eher, ob ich den Verstand verloren habe.
Wie kann ich denn bitte einen der größten Kunstdiebe den unsere Stadt jemals erlebt hat einfach so laufen lassen?
Wie kann ich meine berufliche Laufbahn so auf das Spiel setzen?
Scheiße, wenn das raus kommt, werde ich der Beihilfe angeklagt. Ja, theoretisch sitze ich bereits mit einem Bein im Knast.
Wie Gehirnamputiert kann ich denn bitte sein?
Wer verdammt hat mir in den Kopf geschissen?

Als Liam und ich dann das Revier verlassen, ist mir erneut speiübel.
Will ich Harrys lahme Ausrede überhaupt hören?
Und wie soll es jetzt weiter gehen?
Scheiße, hätte ich darüber nicht eher nachdenken können?
"Schlaf gut", verabschiedet sich Liam von mir, knufft mir in die Schulter und steigt dann in seinen Wagen.
Seufzend sehe ich ihm hinterher.
Er fährt jetzt nach Hause zu seinem Freund. Bringt ihm vermutlich Brötchen mit und dann kuscheln sie noch eine Runde, bis Niall zur Arbeit geht.
Zu seinem normalen Job.
Seinem stinknormalen, pupsigen Job.
"Na komm."
Erschrocken zucke ich zusammen und bemerke erst jetzt, dass May neben mir steht. Fragend schaue ich sie an, während sie mich liebevoll anlächelt.
"Ich fahre bei dir mit, wenn das okay ist."
Mein Gesicht zeichnet vermutlich immer noch tausende Fragezeichnen aus, weshalb sie leise auflacht.
"Zayn hat mich gestern Abend hergefahren und da wir jetzt eh zu Harry fahren, kannst du mich ja auch gleich mitnehmen."
"Du willst auch zu Harry?"
May verdreht liebevoll ihre Augen und schiebt mich in Richtung meines Wagens.
"Natürlich komme ich mit. Das geht uns schließlich alle etwas an."

Die Fahrt über schweigen wir.
Ob ich zu geschockt bin über ihre Aussage, oder ob ich einfach nicht weiß, was ich dazu sagen soll, weiß ich nicht.
Aber Eines weiß ich ganz genau : May steckt mit drin.
Und ob mich das jetzt überrascht oder nicht, dass weiß ich noch nicht.

Als wir bei Harry ankommen, zögere ich einen Moment, doch dann steige ich aus.
May geht bereits vor, doch als sie merkt, dass ich ihr nicht folge, bleibt sie stehen und dreht sich zu mir um.
"Komm schon, Louis."
Zögerlich nicke ich, versuche den dicken Kloß in meinem Hals zu ignorieren, ebenso wie das Stechen in meiner Magengegend.
May bemerkt, dass ich mich noch immer nicht bewege und kommt auf mich zu. Lächelnd legt sie ihre Hände auf meine Schultern und sieht mir in die Augen.
"Er liebt dich wirklich, Louis. Das musst du ihm glauben."
Ich nicke erneut, weiß aber nicht, ob ich diese Aussage wirklich glauben soll. Glauben kann.
"Wir gehen da jetzt rein, dann mache ich uns einen Kaffee und wir reden über alles. Zayn wird auch da sein."
Ja wundervoll.
Ein Grund mehr, hier draußen zu bleiben.
Seine dummen Bemerkungen und Blicke kann ich jetzt nicht gebrauchen.
Wirklich nicht.
Doch ich habe keine andere Wahl.
May greift nach meiner Hand und zieht mich hinter sich her. Sie kramt einen Schlüssel hervor und sperrt die Tür auf.
Natürlich hat sie einen Schlüssel, denke ich mir und bin nicht wirklich erstaunt.
Als sich die Tür hinter uns schließt, sieht sie mich noch einmal an, zwinkert und zieht mich in Richtung Esszimmer.
"Norma hat Frühstück zubereitet."
Toll.
Hunger habe ich nicht.
Viel lieber möchte ich mich übergeben.

Der Kunsthändler Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt