║achtzehn║

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"My heart can't possibly break
when it wasn't even whole to start with"

Den nächsten Tag verbrachten die fünf aus der WG zusammen. Es war das erste Mal, dass sie die ganze Zeit zusammen sein würden und Lyra fürchtete sich davor.

Sie konnte den Wahnsinn in Arthurs Augen sehen, jedes Mal, wenn sie ihn sah, wie er sich nach seinem Stoff sehnte und wie er dagegen ankämpfte den Verstand zu verlieren, wie er trotzdem lächelte.

Sie sah Waliyahs Blick, der immer wieder ein paar Sekunden zu lange an den Klingen der Küchenmesser hängen blieb und wie sie zu grob über die noch nicht ganz verheilten Schnitte rieb.

Sie sah Calvins leeren Blick, wie er mit dem Gedanken immer wieder abschweifte, daran dachte, wie es ihm im Heim und seinen unzähligen Pflegefamilien ergangen ist, wie er misshandelt wurde, wie er gebrochen herumgeschoben wurde, als wäre er wertlos.

Sie sah, wie Dustin immer etwas auf dem Teller liegen ließ, dass er auf jedes Kalorien achtete, dass er zu sich nahm. Wie er bei jeder Bewegung zusammenzuckte, die in seine Richtung ging, also würde jeder Mensch ein potentieller Peiniger sein.

Sie sah alles.

Als es endlich so weit war und sie mit dem Frühstück fertig waren, gingen sie ins Wohnzimmer, um sich dort auf der Couch und dem flauschigen blauen Teppich niederzulassen und mit ihrem Nichtstun weiterzumachen.

Es dauerte, bis sie dem unangenehmen Schweigen ein Ende bereitet hatten und sich dazu aufrappelt sich tatsächlich miteinander zu beschäftigen.

Es war schwer in der Wohnung, die fast ausschließlich aus Möbeln und nichts anderem bestand, etwas zu finden, das auch nur im Ansatz unterhaltend war. So entschieden sie sich dafür irgendwelche Challenges für Freunde durchzuführen, die man überall auf Youtube finden konnte. Und genauso wie richtige Youtuber filmten sie das ganze. Es war etwas, das man sich anschauen konnte, wenn es einem wieder mal nicht gut ging. Um sich an die glücklichen Zeiten zu erinnern, die sie mal erlebt hatten.

Nachdem sie bis zum frühen Nachmittag Marshmallows in sich reingestopft, sich mit Kopfhörern auf dem Ohren Dinge zugeflüstert, Leute angerufen und verarscht hatten, sowie wild zusammengemixte Getränke getrunken hatten, die sie fast dazu gebracht hatten sich zu übergeben, waren sie alle fertig und verteilten sich in Küche und Wohnzimmer.

(Stuff Your Mouth Challenge, Whisper Challenge, Prank Calls, Mystery Drink Challenge)

Lyra blieb mit Calvin und Arthur auf der Couch sitzen. Arthurs Hände begannen nach nicht allzu langer Zeit ohne Bewegung zu zittern. Vorsichtig umfasste Lyra seine Finger mit ihren, er sah beschämt auf den Boden. 

"Es tut mir Leid. Ich kann mir vorstellen, dass es euch nerven muss, dass ich die ganze Zeit am Zappeln bin." Seine blassen Wangen erhielten einen Hauch von Farbe, doch sie schüttelte nur den Kopf.

"Das muss dir nicht unangenehm sein, Arthur. Wir sind alle gebrochen, jeder auf seine eigene Art."

Calvin fuhr mit seinen Fingern an den denen große Ringe steckten durch seine hellgrünen wuscheligen Haare. "Wir sind doch genau deshalb hier, oder? Damit wir einander helfen. Was hätte das ganze sonst für einen Sinn?"

Lyra nickte bestätigend und ließ seine Hände wieder los. Ihre waren noch kälter als seine.

Sie alle sahen so fertig aus, ohne jegliche Hoffnung, dass sich etwas ändern würde. Sie hatten alle Angst vor der Zukunft und in ihren Köpfen spukten so viele Gedanken herum, die sie unbedingt in Worte fassen und aussprechen wollten, doch sie schafften es einfach nicht.

Und so redeten sie über Dinge, die nicht von Belang schienen. Doch für ihre Freundschaft waren diese Gespräche wichtig. Sie waren essentiell. Wie sollten sie sich den Schmerz, den sie in sich brodeln ließen, mit ihnen teilen, wenn sie sich nicht einmal kannten?

Also lernten sie sich kennen, sprachen über ihre Vorlieben, über ihre Hobbys, über alles, was sie bewegte, was sie trauten von sich preiszugeben. Es war nicht viel, doch es war genug. Genug, um das Eis zu brechen.

"Ich wurde letztens von einer alten Frau in der U-Bahn angesprochen.", brachte Calvin hervor und sein Blick schweifte ab. "Und sie hat gesagt, dass ich müde aussehe. Fertig und gezeichnet vom Leben." Er sah wieder zu den anderen beiden. "Und sie hatte Recht. Ich habe das alles so satt. Was ist nur mit unserer Generation passiert?

Wir sind zerstört. Eine Generation voll von gebrochenen Kindern, die nicht wissen wo sie hingehören, die nicht wissen wo ihr Platz in dieser Welt ist, die von grauen Menschen regiert wird, die Schulen errichten in denen uns schon im jungen Alter gezeigt wird, was Druck und Stress bedeutet.

Sie versuchen uns zu Maschinen zu machen, die gute Berufe erlernen und erwarten, dass wir  nicht daran kaputt gehen. Aber man kann nicht alles mit uns machen, wir sind weder unzerbrechlich noch unverletzlich. Wir sind fragil.

Und anstatt gefüllte Büros haben sie jetzt volle Psychiatrien, in denen sie die Fehler beheben müssen, die sie selbst verursacht haben. Sie haben graue Heime, mit Kindern, die schon tot sind, bevor sie richtig gelebt haben, und anstatt sich darum zu kümmern, dass sie in die richtigen Hände fallen, werden sie von einer Pflegefamilie zur anderen geschoben.

Sie alle wundern sich über die Kriminalität der Jugend, dabei sind sie die eigentlichen Verbrecher. Sie sperren uns hinter Gitter, für jedes Vergehen, für das eigentlich sie zu verantworten sind, ohne überhaupt zu wissen, dass wir schon davor in Käfigen gehalten wurden, die uns unserer Freiheit berauben.

Sie alle wundern sich, dass wir rebellieren. Dass wir uns gehen ihr System wehren. Dass wir nicht nach ihren Regeln spielen wollen. 

Ich wundere mich, dass sie noch nicht begriffen haben, dass wir aus einem Grund rebellieren. Dass wir uns aus einem Grund gegen ihr System wehren. Dass wir aus einem Grund nicht nach ihren Regeln spielen wollen."

Eine Weile schwiegen sie. Und obwohl sie nichts sagten, wusste Calvin, dass sie ihm zustimmten. Er hatte ihnen die Worte aus dem Mund genommen. Er hatte ausgesprochen, was sie immer nur gedacht hatten, in sich hineingefressen hatten. 

Lyra versuchte sich ein paar Sätze zurechzulegen, die dem gerecht wurden, was ihr Mitwohner gerade sagte hatte, doch letztendlich wollte sie einfach nur reden ohne noch groß darüber nachzudenken.

Doch bevor sie dazu kam, hatte auch Arthur etwas dazu zu sagen. "Ich weiß, was du meinst und ich sehe es jeden Tag. Überall findet man Hürden, die uns in den Weg gelegt werden, die da sind, um uns zu gebrochenen Kindern zu machen. 

Aber ich habe auch etwas anderes bemerkt. Und ich glaube, dass ich damit nicht alleine bin. Mein Herz könnte nicht mehr brechen, da es von Anfang an nicht ganz war. 

Und sie sind Schuld daran, weil sie uns immer hin und her schieben, sodass wir uns nie zu Hause fühlen können, jedenfalls nie so, dass ich sagen kann: Hier fühle ich mich wohl, hier möchte ich bleiben, hier bin ich vollkommen glücklich."

Er seufzte, dann war Lyra an der Reihe.  

"Du hast Recht. 

Im Grunde genommen spielen wir ein Spiel, das wir niemals gewinnen werden, weil wir nicht einmal selbst am Zuge sind. Denn sie spielen mit uns. Und dieses Spiel führt zu keinem Sieg, es gibt weder Gewinn noch Ziel. Es gibt nur die Spielmacher, die uns immer genau da haben, wo sie es wollen.

Schon so oft habe ich mich gefragt... Was ist diese Generation?

Sie ist zerstört, nichts als zerstört. 

Gefallene Soldaten, getötet im Krieg der Gesellschaft.

Die Zukunft dieser Welt ist tot, bevor sie die Chance hatte zu agieren, zu reagieren.

Wir bekämpfen den Schmerz mit Schmerz.

Schmerz leitet unser Leben. In die falsche Richtung.

Es fühlt sich so an, als gäbe es nur eine. Und ich würde es bevorzugen rückwärts zu gehen. Alles ist besser, als inmitten eines Momentes gefangen zu sein, vor du immer versucht hast wegzurennen. 

Es gibt kein Entkommen."


Klippenspringen ║Zayn MalikWo Geschichten leben. Entdecke jetzt