║vier║

199 21 12
                                    

"Can't go home alone again
Need someone to numb the pain"

An den Schnee von Heute Morgen konnte man sich kaum noch erinnern. Die Sonne hatte alles restlos schmelzen lassen. Der Himmel hatte eine hellblau - graue Farbe angenommen und ließ nun nur noch vereinzelte Strahlen durch die Wolken brechen.

Der Weg zur Wohnung am Stadtrand war eigentlich sehr schön. Er führte sie durch den Park, vorbei an der eher kleinen, aber dennoch sehr eindrucksvollen Kriche, dem Spielplatz, an dem sie früher so viel Zeit verbrachte hatte und dem See, der momentan mit einer dünnen Schicht Eis überzogen war.

Sie lief an dem Wald vorbei, vor dem sie sich früher immer so gefürchtet hatte und stockte vor dem Kreuzungsschild. Eigentlich musste sie links abbiegen. Doch auf der rechten Seite, lag ihre ganze Vergangenheit.

Obwohl sie wusste, dass es eine dumme Idee war, ging sie nach rechts und blieb vor einem der vielen Häuser stehen.

Die Erinnerungen daran überschütteten sie. Es waren so viele schöne Dinge, die sie hier erlebt hatte. Doch sie wurden von den schrecklichen überschattet. Von den Schmerzen. Tränen traten ihr in die Augen, als sie das 'zu Verkaufen' Schild sah, das ihm Rasen vor dem Eingang steckte.

Sie hatte zwar gewusst, dass ihre Familie umgezogen war, es jetzt aber zu sehen, machte sie fertig. Alles weg. Einfach alles.

"Lyra!" Die alte Nachbarin kam aus dem Haus nebenan. "Was machst du denn hier, Liebes? Du solltest hier wirklich nicht alleine hinkommen.", meinte sie und stellte sich neben das weinende Mädchen.

"Ich weiß. Aber... keine Ahnung.", seufzte sie. "Möchtest du noch mit reinkommen?" Lyra schüttelte den Kopf. "Ich würde wirklich gerne, allerdings habe ich noch einiges zu tun. Eigentlich wollte ich nur mal kurz vorbeischauen. War keine gute Idee."

Die Frau lächelte ihr aufmunternd zu. "Dann mach, dass du hier wegkommst. Und komm ja nicht wieder, das macht doch alles nur schlimmer." So schnell ihre Kräfte es zuließen, ging sie wieder zurück zur Kreuzung und setzte den Weg zu ihrer Wohnung fort.

Sie wusste, dass es so nicht weiter gehen konnte. Doch sie wusste auch, dass sie nichts ändern konnte und es auch nicht versuchen würde.

Der Wohungskomplex strahlte nichts, als Trübseligkeit aus. Graue, hohe Wände, strickte Symmetrie, verdunkelte Fenster. Das war ihr neues zu Hause. Der Fahlstuhl in dem noch recht neuen Gebäude, war relativ geräumig und Lyra kam sich darin unglaublich klein vor.

Im vierten Stock angekommen öffnete sie die große Tür und trat in die warme Wohnung. Dort wurde sie von mehreren Stimmen empfangen. Sie lebte immerhin nicht alleine. Um genau zu sein, lebte sie mit noch vier anderen Jugendlichen zusammen.

Das ganze nannte sich 'Therapeutische Jugend - WG'. Und diese Wohngruppen gab es über die ganzen Stockwerke verteilt. Ein Haus vollgestopft mit Pychos. Sie fragte sich wirklich, wie lange das gut gehen würde.

"Lyra? Bist du das?" Eine Junge kam aus der Küche. "Jep, sieht so aus.", meinte diese und schmiss ihre Jacke auf die Kommode, um ihre Schuhe auszuziehen. "Die restlichen Kartons sind gekommen. Wir haben sie in dein Zimmer gestellt.", erklärte er.

"Danke." Der Typ - Dustin - lächelte ihr freundlich zu und verschwand dann wieder. Bald würde er sie nicht mehr anlächeln. Am Freitag (letzten Samstag hatten sie sich alle erst kennengelernt) würden sie eine gemeinsame, betreute, Sitzung abhalten, bei der jeder die Probleme des anderen erfahren würde.

Sie hatte Angst davor. Ihre Schule wusste natürlich davon, doch sie verstanden es. Immerhin kannten sie die ganze Situiation. Sie war sich sicher, dass diese vier Leute kein Wort mehr mir ihr reden würden. Sie konnten es ja gar nicht verstehen.

Am liebsten würde sie einfach gar nichts sagen, doch das war eben der Sinn dieser WG. Sich gegenseitig helfen, aus den Problemen der anderen lernen. Im Prinzip eine gute Idee. Aber nicht für sie.

Völlig fertig ging sie in ihr Zimmer, das bisher noch keine Farbe zu Gesicht bekommen hatte und warf einen Blick auf die hässlichen braunen Umzugkartons. Darin war alles, was ihre Vergangenheit noch zum Leben erwecken konnte. Von den eingebrannten Erinnerungen, die in ihrem Kopf lebendiger waren, als sie es wünschte, abgesehen.

Sie war sich nicht sicher, ob sie es wirklich wagen sollte diese Kisten zu öffnen und alles wieder hochkommen lassen. Doch sie hatte keine Wahl. Entweder sie versuchte vor all dem wegzurennen - was sowieso nicht möglich war - oder sie begann sich der Sache zu stellen und widmete sich den wenigen Dingen, dir ihr noch geblieben waren.

Im Endeffekt konnte sie nur verlieren.

Einer der kleineren Kartons war gefüllt mir Bettwäsche. Sie beschloss damit anzufangen. So langsam es nur irgendwie ging, bezog sie die Matratze mit einem schwarzen Bettlaken, das farblich mit dem Gestell überinstimmte und entschied sich für ein schichtes Grau, das sich nun über Decke und Kissen zog.

Sie fuhr fort damit die restliche Kleidung auszupacken und in den Kleiderschrank zu hängen.

Aus den alten inear - Kopfhörern, die an vielen Stellen bereits kaputt waren, drang leise Musik. Es war nicht mal die Musikrichtung, die ihr gefiel, allerdings hatte sich nichts, außer dem Mp3 - Player, den sie zu ihrem zwölften Geburtstag geschenkt bekommen hatte.

Schon fünf Jahre her. Die Zeit verging so unglaublich schnell. Wie das Pulver in einer Sanduhr, war sie einfach verronnen.

Mehr und mehr Kisten leerten sich, mehr und mehr Erinnerungen kamen hoch. Immer stärker wurde das Gefühl, dass sie, obwohl sie so viele Menschen hinter sich hatte, dennoch alleine da stand.

Draußen wurde es langsam dunkel. Die Sonne verschwand hinter den Wolken, die später auch die Sterne verbargen. Der Verkehr auf den Straßen wurde immer weniger und die letzten Leute machten sich auf den Weg nach Hause, bis es nur noch vereinzelte Schritte waren, die man auf dem beleuchteten Gehweg wahrnehmen konnte.

Sie war beinahe fertig, den letzten Karton hatte sie bereits geöffnet, als es an der Tür klopfte. Dustin öffnete die Tür und sah ich sich kurz um. "Wow, das sieht wirklich schön aus.", meinte er und sah dann zu Lyra. "Wir wollen Pizza bestellen. Immerhin haben wir kaum was im Kühlschrank. Was möchtest du haben?"

Sie stand auf, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein. "Mozarella." Sie brachte ein schwaches Lächeln hervor und folgte ihm dann in die Küche. Dort standen auch die anderen. Noch ein Mädchen, zwei Jungs.

Zusammen setzten sie sich an den großen Esstisch und versuchten sich zu unterhalten. Doch jeder von ihnen merkte, dass es sich nicht gut anfühlte. Die Dinge, die sie nicht voneinander wussten, standen zwischen ihnen, hangen in der Luft und drückten die Stimmung nach unten.

Es war die vierte Nacht, die sie in diesem Bett verbrachte. Die vierte Nacht, in der sie kaum schlief, sich von die eine auf die andere Seite drehte, sich über die Dinge den Kopf zerbrach, die sie ungeschehen machen wollte.

Schwach brach Mondlicht durch die Schlitze in ihren Rollläden, Schneeregen trommelte gegen die Fensterscheibe. Sie hörte ihr Herz schlagen, schnell, unregelmäßig. Würde er sich je wieder regulieren? Würde dieses Flattern aufhören? Das unkontrollierte Rasen?

Seufzend schaltete sie ihr Nachtlicht an und suchte mit zitternden Händen nach dem richtigen Medikament. Mit einem Schluck Wasser spülte sie die Schlaftablette runter, quälte sich noch einige Minuten mit schrecklichen Erinnerungen und fiel dann in einen Schlaf, so tief, dass Träume gar nicht erst zu ihr durchdrangen.

Yay, neues Kapitel :)

Gefällt es euch?

Und oh, mein Gott. Dieses Konzert in Wien war so krass *-* war noch jemand von euch da? Tell meee :D

Klippenspringen ║Zayn MalikWhere stories live. Discover now