7

936 63 66
                                    

Maxime

Zur Playlist summend, die ich soeben angemacht habe, tänzle ich auf meinen Schreibtisch zu und ziehe einen nach dem anderen Pinsel aus meinen Schubladen, während ich mit meiner zweiten Hand die bunten Farben auf dem Tisch sortiere.

Da duschen nicht dazu beigetragen hat, dass ich die peinlichen Momente von gestern vergesse, habe ich mich dazu entschlossen zu malen.
Alle Farben die ich besitze auf meine Wand klatschen, mit meinem Pinsel ein paar Muster reinbringen und mir dabei die Seele aus dem Leib zu singen. Das sollte mir definitiv helfen.

Während mir das Lied „Drown" laut im Ohr klingt, atme ich noch einmal tief ein und aus, bevor ich den ersten roten Strich auf das abgeranzte Poster streiche. Es ist immer der erste Strich, welcher kompliziert ist. Der Rest geht wie von Zauberhand.
Als würde mein inneres Ich ein Bild vor Augen haben, was es unbending auf den freien Platz packen will.

Tausende Ideen gehen mir durch den Kopf, wie ich die nächsten Striche setzen könnte, wo ich vielleicht einen Kreis, oder ein Viereck, oder eine Blume malen könnte. Aber ich lasse ganz alleine mein Handgelenk die Figuren bestimmen.

Das kaputte Poster, welches neben dem Schrank schon seit meinem Einzug hängt geht einfach nicht ab. Egal womit ich versuche es abzuschaben, es geht nicht. Also musste etwas anderes her.
Da stehe ich nun. Mit meinem Pinsel in der Hand, mit alten Klamotten an mir, Musik im Hintergrund und ein Haufen aufgewühlter Gedanken, die so schnell wie möglich in ein Kunstwerk einfließen wollen.

Ich weiß nicht genau was auf diesem alten Poster abgebildet sein soll, doch ich glaube es soll Superman darstellen. Der Umgang ist noch leicht zu erkennen, obwohl die blassen Farben dazu führen, das Kunstwerk misszuverstehen. Die Sprechblase des Superheldens ist schon so gut wie abgekratzt worden. Wahrscheinlich jemand, der dieses Poster genauso dringend wie ich von dieser Wand haben wollte.

Die Wut, die Trauer, der Frust. All diese Emotionen fasse ich in diesen wildgezogenen Mustern zusammen. Niemand wird wissend wieso ich den gelben Kreis ganz links gemalt habe. Außer ich.
Niemand wird meine schlechten Gedanken in dem rosa Herz verdächtigen. Außer ich.
Niemand weiß das der Schmetterling für eine bestimmte Person steht, welche mir seit Stunden nicht mehr aus dem Kopf geht. Außer ich.
Und das wird immer so bleiben.

Mit den noch feuchten Haaren, welche ich laut ausatmend hinter mein Ohr gestrichen habe, lasse ich mich nun vor der Wand auf den Boden fallen und greife zu meiner Wasserflasche. Mein Blick liegt weiterhin auf dem nun abgedeckten Poster, während ich mir schon die nächste Zeichnung überlege.

Vielleicht, wenn ich schon dabei bin meine tiefsten Gedanken aufzumalen, sollte ich einen Joint malen. Als Zeichen dafür, dass, obwohl meine Mutter als ich fünf war einen in meinem Zimmer liegen gelassen hat, ich trotzdem noch nie an einem gezogen habe.

Oder ein Batzen Geld als Erinnerungen daran, dass meine Mutter immer wieder um Vaters Aufmerksamkeit gebettelt hat und das nur um Geld zu bekommen. Es hatte nie etwas mit Liebe zu tuen, was sie für Dad empfunden hat. Kein Hauch von Gefallen an ihm, oder mir. Nur das Geld.

Nein. Nein, ich sollte einen Totenkopf zeichnen, als Zeichen dafür, dass ich trotz meiner toxischen Familie, lebe und es so weit geschafft habe. Ich sollte ein Herz um den Totenkopf malen, oder?

Doch ehe ich eine dieser Ideen umsetzen kann, unterbricht mich der schrille Klingelton meines Handys, wodurch die Playlist automatisch gestoppt wird. Seufzend strecke ich mich nach dem vibrierendem Gerät und nehme den Anruf von Mirabelle natürlich an.

„Maxime!", begrüßt sie mich mit heller Stimme und scheint erleichtern, dass ich abgehoben habe.
„Hi", gebe ich lächelnd zurück und tunke den Pinsel in die schwarze Farbe. „Und? Wie war der erste richtige Tag gestern? Ist die Academy so, wie du sie dir vorgestellt hast? Oder gibt es blöde Menschen? Ich hab auf der Internetseite ein paar Bilder von den Schülern gesehen. Die sehen alle so arrogant aus-"
Ich unterbreche sie mit einem leisen kichern.

Raven Where stories live. Discover now