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Maxime

„Deine Mutter will dich sehen", spricht Mirabelle nun durch den Lautsprecher meines Handys und bringt mich dazu meine Bücher auf den Boden vor mir fallen zu lassen. Erschrocken zucken die zwei Mädchen zusammen, welche seit mehren Stunden vertieft in ihre Texte sind und mir somit einen verärgerten Blick zuwerfen.

Entschuldigend hebe ich meine Hand bücke mich um meine Bücher erneut in die Hand zu nehmen und trete zwischen zwei der Bücherregale. „Was", gebe ich völlig orientierungslos von mir, versuche diese Worte zu verstehen und zu verarbeiten, doch desto öfter ich darüber nachdenke, umso sprachloser werde ich.

Meine Mutter will mich sehen? Mich? Jetzt? Nachdem Dad schon längst gestorben ist und ich über beide meiner Elternteile hinweg bin? Meine Mutter, die nie auch nur eine Sekunde für mich da war oder mich je in den Arm genommen hat? Meine Mutter, die tatsächlich ein weiteres Kind bekommen hat und ohne uns ans andere Ende der Welt gezogen ist? Ich glaube da kann ich gut drauf verzichten.

„Sie hat gestern Abend angerufen", erzählt Mirabelle weiter, doch die Wut in ihrer Stimme ist nicht zu überhören. Natürlich hasst sie sie auch. Als sie wusste was sie alles getan hat und nachdem sie auch noch diese Beziehung zu meinem Vater aufgebaut hat, hasst sie meine Mutter vielleicht sogar noch mehr als mein Vater. Sie meinte einmal, dass sie niemals verstehen wird oder kann, wie eine leibliche Mutter ihr Kind wegen solchen Gründen verlassen könne.

Doch diese Frage habe ich mir oft genug gestellt um mir erneut den Kopf darüber zu zerbrechen. Und jetzt? Jetzt muss ich mit der Frage leben, wieso sie mich ausgerechneten jetzt wiedersehen will... Ist ihr etwa das Geld ausgegangen? Hat ihr neuer Freund sie verlassen? Oder liegt sie wegen einer Überdosis im Krankenhaus?

Noch einmal atme ich tief ein und aus, versuche meine Gefühle unter Kontrolle zubekommen und versuche nicht erneut in Chaos von endloser Trauer zu ertrinken.

„Ich will sie aber nicht treffen", antworte ich nach längerem Schweigen, sortiere meine drei Bücher in das Regal ein und schultere meine Tasche während ich mit meiner anderen Hand meinen Rock höher ziehe. „Habe ich ihr auch gesagt, darauf meinte sie aber, dass sie all deine Aufenthaltsdaten hat und in der nächsten Woche sonst zu dir kommen wird."

Was?

Meine Herz, welches eben schon kurz vorm stehen bleiben war, ist nun im Schockzustand. „Mirabelle, ich will sie nie wieder sehen", flüstere ich, gehe mit schnellen Schritten durch die Gänge und ignorier die Blicke die ich wie jeden Tag von all den gierigen Studenten bekomme.

„Ich weiß, Schatz", seufzt sie, wobei sie ihre Verzweiflung nicht wirklich gut versteckt. „Keine Sorge", murmelt sie nun, lässt mich nur noch nervöser da stehen und seufzt erneut, worauf ich die Tür zu meinem Zimmer mit einem lauten Ruck öffne. „Ich werde mich darum kümmern. Mach du dir ein schönes Wochenende und sag wenn etwas ist."

„Mach ich, hab dich lieb", antworte ich erleichtert lasse das Telefon in meiner Hand sinken und drücke den roten Hörer, nachdem ich Mirabelle's Erwiderung höre.

Eine längere Zeit starre ich einfach auf mein Handy. Dann auf den Boden und denke mehrmals über sie nach. Meine Mutter. Meine Erzeugerin. Mein Fleisch und Blut. Doch für all die Bezeichnungen ist sie zu grausam.

Nun sehe ich zu Jo, die ahnungslos in meine Augen schaut und nicht einmal ansatzweise den Leid spüren und sehen kann, der gerade in mir vorgeht. Eine Mutter zu haben die nie wirklich für einen da war, ist schlimmer als keine zu haben. Denn das Wissen, dass du da draußen irgendwo eine hast, die sich nur nie für dich interessiert hat und noch nie ansatzweise versucht hat mir die Kontakt aufzubauen und lieber eine neue Familie gegründet hat, ist das schrecklichste und zerstörerischste, was man zu spüren bekommen kann.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 02, 2022 ⏰

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