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Maxime

Ein greller Schrei weckt mich aus meinem tiefen Schlaf. Mit aufgerissenen Augen erhebe ich mich, starre in die leere meines Zimmers, während der Schrei weiterhin in meinem Kopf sitzt. Ein heller, schmerzhafter Schrei. Als würde dieser Jemand gefoltert werden.
So wie ich gestern, wenn nicht sogar schlimmer.

Ein Wimmern ist zu hören.
Sofort springe ich auf, ziehe den Vorhang meines Fensters zur Seite und erblicke tatsächlich zwei, fast gleichgroße, Menschen in der morgendlichen Dämmerung. Meine Augen bilden sich zu Schlitzen, sodass ich die zwei Personen besser erkennen kann. Und tatsächlich dreht sich der Junge kurz in Richtung meines Fensters, sodass ich das Gesicht von Miles erblicke. Erschrocken, als er mich durchdringend anstarrt, als hätte ich etwas gesehen, was ich nicht sehen sollte, zucke ich zurück, bevor ich ebenfalls das Gesicht des Mädchens erkennen kann.

Dunkle Haare, fast schwarz. Sie trägt eine schwarze Skinnyjeans und ein blauer Hoodie verdeckt ihren Oberkörper. Ihr Blick ist flehend ins Nirgendwo gerichtet, als suche sie Hilfe. Mein Kiefer spannt sich gefährlich an, als er sie mit sich in das Gebäude neben meinem zerrt. Haus sechs.

Ein ungutes Gefühl macht sich in mir breit. Sie war unglücklich, hat geweint, oder gebettelt. Er hat sie mit genommen.
Er hat sie mitgenommen. Er hat sie mitgenommen. Er hat sie mitgenommen. Was macht er mit ihr?
Die Müdigkeit die ich kurz vorher verspürt habe, ist wie weggefegt.

Ohne länger zu warten, laufe ich durch mein Zimmer, greife nach meinen Schuhen und ziehe diese über meine nackten Füße. Meine Jacke, genau wie einen Pullover vergesse ich, durch die Angst, dem Mädchen passiert etwas. Mit zitternden Händen und schweren Atem, schließe ich die Tür auf, die Raven gestern Abend das letze mal berührt hat. Leise sprinte ich durch die leeren Flure, laufe durch die Tür von Haus sieben nach draußen, wo ich weiterhin durch die Kälte laufe. Die Gänsehaut die sich auf meinen Körper breit macht ist nichts im Gegensatz zu dem unguten Gefühl in mir, das meine Beine zum zittern bringt.

Nichts. Ich höre nichts, außer die ersten Vögel die leise vor sich her zwitschern und sehe nichts, außer Haus sechs und den zarten Nebel, der sich auf dem Gelände legt.
An der Tür endlich angekommen, drücke ich sie auf und lasse sie leise hinter mir ins Schloss fallen. Mein Herzschlag, welchen ich nun durch meine Brust hören kann, bringt mich dazu schwer zu schlucken und durch den dunklen Flur zu laufen.
Das erste Stockwerk scheint wie leer gefegt.
Ich gehe ins zweite. Hier scheinen ebenfalls noch alle am schlafen zu sein, doch das leise murmeln durch eine der Türen lässt mich still stehen.

Mit kleinen Schritten näher ich mir der Holztür, aus der die Stimmen kommen. Sie scheint nicht abgeschlossen zu sein, denn das Schloss wurde nicht umgedreht.

Ein Schluchzer. Ein Zischen. Ein Weinen. Das Weinen des Mädchens.
Ohne meinen Impuls kontrollieren zu können, drehe ich den Türknauf und öffne die Tür. Ich habe sie geöffnet. Einfach so. Es könnte sein, dass ich Miles gerade dabei störe mit einem der Mädchen an diesem Krampus zu schlafen. Es könnte aber auch etwas anderes sein. Etwas schlimmeres.

Mit zitternden Körper stehe ich nun im der Tür.
Wie das wohl aussehen mag. Ein Mädchen welches noch nie in diesem Haus war, öffnet die Tür zu einem fremden Zimmer früh am Morgen in Jogginghose, T-Shirt, mit verschlafenen Augen und nicht dazu passenden Schuhen.

Mein Blick landet direkt auf Miles. Er schaut nun zu mir und nicht mehr auf das Mädchen, welche mit entwichenem Gesichtsausdruck unter ihm liegt. Mit ungleichmäßig hebender Brust schaue ich zu der jungen Frau. Langsam wagt sie es zu mir zu blicken. Ihre Augen sind gerötet, ihre Lippen zusammen gepresst und ihre Fingernägel sind an Miles' Arme geklammert.

Nun schleicht sich ein leichtes Grinsen auf Miles Lippen, während er sich langsam erhebt und sich mit seiner Hand durch die Haare fährt. Mein Blick verdunkelt sich. Meine Augen ziehen sich enger zusammen. Meine Wut brennt in mir.

Raven Where stories live. Discover now