Kapitel 1-2

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Die Straßen waren mit Fackeln gesäumt, die den Glanz der Straßenlaternen überstrahlten. Sie lehnten sich emsig gegen den Mantel der Nacht, der mit jedem Aufflackern der Flammen seinem Einspruch, ob der nächtlichen Erleuchtung, Geltung verlieh. Die Gewandung der Prozession stimmte farblich mit dem Firmament überein, während die reichen Blumengestecke dem Tag huldigten.
Florentine folgte dem Trauerzug aus nächster Nähe. Sie war in ein mattes schwarzes Kleid gehüllt, das Gesicht mit dunklem Chiffon verschleiert. Sie begleitete ihren Mann Alexander, den neuen Grafen von Arling, der mithalf, den Sarg seines Vaters zu tragen. Seine Miene war verschlossen und schon seit Stunden brachte er es nicht zurande, seine Gefühle zu artikulieren.
Der Graf hatte sich ohne Vorankündigung aus dem Diesseits begeben. Gesittet und ruhig, so wie er es zu leben gepflegt hatte. Viele Adlige aus guten Kreisen folgten dem Zug schweigend. Florentine las auf ihren Gesichtern Mitgefühl, aber keine Trauer, so wie sie es selbst fühlte. Auch nach all den Jahren war sie ihrem Schwiegervater kaum näher gekommen.
Seine eigenen Töchter mühten sich um eine passende Mimik. Die einzig wahrlich Trauernde aber war seine Frau, Madame Arling. Doch entsprang ihr Gefühl einer verborgenen Liebe zu ihrem Mann oder dem Verlust ihres Titels? Die beiden hatten eine förmliche Ehe gepflegt. Obwohl sie redlich beteuert hatte, ihren Mann in Freundschaft verbunden zu sein, so konnte Florentine sich des Gefühls nicht erwehren, dass die erzwungene Liebschaft über die Jahre die Bande der Freundschaft aufgerieben hatte.
Sie verließen die gepflasterten Wege des inneren Schlossgrabens und folgten dem Trampelpfad durch die Parkanlagen am Westtor, bis sie den Friedhof erreichten. Der Pfarrer verlas eine fromme Rede, ehe der Sarg der hinabgelassen wurde. Die Vielzahl an Blumen und Grabbeigaben, die von den Anwesenden der feuchten Erde übergeben wurden, füllten das Loch beinahe zur Gänze.
Florentine und Alexander übergaben gemeinschaftlich einen reichen Rosenstrauß der Tiefe. Sie umarmte ihren Mann und flüsterte ihm tröstende Worte zu. Er lächelte mit feuchten Augen. Beileid wurde ausgesprochen, zeitgleich mit Treuebekundungen von Rittern und Baronen in des Grafen Diensten. Bei weitem nicht alle waren gekommen, doch die ältesten seiner Lehnsnehmer waren hier, um sich ihre Ansprüche auch unter dem neuen Grafen zu sichern. Manch einer mochte sogar trauern, ob eines verlorenen Geschäftspartners.
Schließlich verlief sich die Menge. Madame Arling lud die engsten Freunde der Familie zu einem Essen in ihrem Hause ein und führte ihre jüngsten Kinder fort von der Stätte des Trauerns. Alexander blieb zurück und starrte in das Grab hinab.
Florentine wusste nicht recht damit umzugehen. Sie hatte bisher das Glück gehabt, keinen geliebten Menschen in die Ewigkeit zu entlassen. Wahrscheinlich wäre dazu auch kein derartiger Trauerzug vonnöten gewesen. Eher ein stilles Begräbnis im Wald. Sie wünschte sich, tiefere Gefühle zum Grafen zu haben, doch so beharrlich sie in sich grub, ihre Augen verweigerten ihr die Tränen. Einzig als Alexander auf die Knie fiel und stumme Tränen weinte, da überkam sie ein solches Mitleid für ihn, dass auch sie feuchte Augen bekam.
„Es tut mir so leid für dich, mein Liebling."
Er ergriff ihre Hand und drückte sie fest. „Hatte er seinen Tod nicht nahen gespürt? Konnte er keine Worte des Abschieds finden?"
Florentine presste die Lippen zusammen. „Mit Sicherheit hat er sein Nahen nicht akzeptiert und sich bis zum Letzten dagegengestemmt."
„Das klingt nach ihm. Ein Dickschädel bis zuletzt."
„Vielleicht wollte er euch auch schonen, ihn im Leid seiner gezählten Tage zu erblicken."
„Oder sich nicht die Blöße geben."
Florentine lächelte ihm aufmunternd zu. „Er war ein stolzer Mann."
„Ich hoffe, seinem Namen Ehre zu machen."
Sie wollte sagen, er würde ihn übertrumpfen. Im Gegensatz zu seinem Vater war er ein gefühlvoller Mensch, der seine Zeit viel eher der Familie widmete, als den Geschäften. Seine Leidenschaft galt der Kunst und der Liebe. Florentine hoffte, er würde nicht aus falschem Ehrgeiz nun dem Vorbild seines Vaters gerecht werden wollen. Doch jetzt war die Zeit der Trauer und sie ersparte sich Belehrungen.
„Graf Arling", sagte eine Stimme hinter ihnen.
Die Beiden richteten sich auf und bezeugten dem Herzog ihren Respekt. Er war in Begleitung seiner kürzlich Angetrauten, Herzogin Aisenberg, erschienen. Sie hatte ihren Nachnamen trotz der Eheschließung behalten, als wäre der Verlust ihres extravaganten Titels einer Lady ausreichend als Bekenntnis zu ihrem neuen Gatten.
„Mein Beileid zu Eurem Verlust", sagte der Herzog und Aisenberg nahm Alexander gänzlich entgegen der Etikette in den Arm.
„Ich danke euch, Eure Durchlaucht."
„Es liegt mir fern, Eure Trauerfeier mit Formalien zu unterbrechen, aber ich würde gerne die vertraglichen Hintergründe Eures neuen Titels mit Euch besprechen."
Alexanders Gestalt straffte sich und er überspielte die Trauer in seinen Augen. Er war jetzt der Graf und sich seiner Funktion bewusst. Vielleicht war er auch froh, dem Trauerschmaus vorerst fernbleiben zu können. Der Gedanke, dass die Trauergemeinschaft nun einem Festmahl beiwohnte, erschien Florentine unangemessen. Sie konnte sich nicht vorstellen, einen Bissen hinunterzubekommen, sollte ein ihr geliebter Mensch von dannen gehen.
Sie begleiteten den Herzog in ein kleines Arbeitszimmer, welches sie über einen unauffälligen Seiteneingang erreichten. Dem Blick des Herzogs nach war es ihm keineswegs recht, dass sich die Frauen zu ihnen gesellten. Aber Herzogin Aisenberg war schon vor ihrer Erhebung in diesen Stand eine resolute Frau gewesen und Florentine konnten keine sieben Höllenhunde dazu bringen, ihren Mann jetzt allein zu lassen. Zumindest wahrten sie den Anstand und platzierten sich etwas abseits auf einem bequemen Sofa, während Alexander am Schreibtisch des Herzogs Platz nahm.
„Wie geht es Alexander mit seinem Verlust?", flüsterte die Herzogin Florentine zu.
„Er hält sich mit seiner Trauer bedeckt."
Aisenberg nickte verständnisvoll. „Gefühlsausbrüche sind unüblich unter den Arlings. Ich hoffe doch, Eure Ehe ist nicht derartig unterkühlt, wie die seiner Eltern?" Sie legte ihr die Hand auf und Florentine schüttelte den Kopf.
„Alexander ist wundervoll. Er gibt mir meinen Raum und ich ihm den seinen."
„So viel Freiheit lässt mich um die Intimität Eurer Beziehung bangen."
Florentine wippte zweimal mit den Augenbrauen, um sie subtil vom Gegenteil zu überzeugen. Alexander holte in ihrer Ehe all das nach, was er sich zuvor nicht durch den Besuch eines Bordells gestattet hatte. Und Florentine genoss es in vollen Zügen, während sie Tag für Tag kreativer darin wurde, ihre artistische Vergangenheit vorteilhaft in ihre Zweisamkeit einzubringen. Doch derlei Gedanken schienen ihr unpassend in diesem Moment und sie wandte sich wieder der zwei Männer zu, die über den Papieren brüteten.
„Wie Ihr vielleicht wisst, ist die Grafschaft Arling-Horntal nicht mehr länger ein Lehen meines Herzogtums", erläuterte der Herzog.
Alexander legte die Stirn in Falten. „Ich verstehe nicht recht."
„Euer Vater war sich bewusst, dass Ihr nicht gewillt wärt, Euer inniges Familienleben gegen die überbordenden Verpflichtungen einer Grafschaft einzutauschen."
„Soll das heißen, er hat seinen Besitz veräußert?"
Der Herzog machte eine beruhigende Handgeste. „Keineswegs. Wir haben eine Vereinbarung zu beiderlei Nutzen getroffen. Ich habe die Grafschaft auf den Namen Eurer Familie übertragen lassen."
Darüber war sogar Florentine überrascht, die sich nur am Rande mit den Besitzverhältnissen ihrer neuen Heimat beschäftigte. Das Land war dem Herzog zu Eigen. Er verlieh es dem Grafen zwar auf Lebenszeit, doch dafür war der Graf ihm zur Treue und zur Heeresfolge verpflichtet. Das Eigentum am Land und somit an allen Rechten dem Grafen gegenüber aufzugeben, erschien Florentine als unwahrscheinlich.
„Wie Ihr vielleicht wisst, stürzte mein Hofstaat mich in Unkosten, die ich zu beseitigen wünschte. Im Austausch für Euer Land nahm der Graf einen Großteil meines Stabs als Lehnsnehmer in seinem Herrschaftsgebiet auf. Hiermit verminderte sich die Größe des von Euch zu verwaltenden Landteils auf ein Minimum."
„Woher bezog mein Vater in weiterer Folge seinen Reichtum?"
„Dafür solltet Ihr die Verträge mit den einzelnen Lehnsnehmern ergründen."
„Ich sehe einiges an Arbeit auf mich zukommen. Was also verlangt Ihr von mir?"
Der Herzog schob ihm ein Stück Pergament entgegen. „Die Verlängerung unserer Übereinkunft. Ich erwarte, dass Ihr dem Reichstag beiwohnt und die Verträge mit Euren Lehnsnehmern erweitert."
Alexander überflog das Dokument. „Das scheint mir nur rechtens." Seine Augen verengten sich eine Spur, als sein Finger auf einer Stelle verharrte. „Bocken?"
„Wir erachteten es beide als sinnvoll, diese Fehde zwischen Euren Häusern aufs Gütliche zu beenden."
Alexander fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, ehe er unterschrieb. Der Herzog reichte ihm die Hand. „Ich freue mich schon auf unsere zukünftige Zusammenarbeit, Graf von Arling."
„Die Freude liegt ganz bei mir, Euer Durchlaucht."
Florentines Blick wanderte zwischen den beiden Männern hin und her. Alexander hatte sich nicht bemüßigt, seine Nachfolge vorzubereiten und der einstige Graf keine Anstalten gemacht, seinen Sohn zu instruieren. Es erschien ihr, als würde der Herzog ihm nun offiziell einen viel zu schweren Mantel überstreifen. Selbst für sie war Bocken ein bekannter Name. Der Mann, der dafür verantwortlich war, dass Florentine vor der Öffentlichkeit gedemütigt wurde. Der Mann, der alles daran gesetzt hatte, sich Alexanders Schwester Elsa zur Frau zu machen. Und dieser Mann lebte nun wie die Made im Speck auf ihrem Land. In diesem Moment wünschte Florentine sich fast, Alexander hätte mehr von der stoischen Art seines Vaters. Denn seine Leidenschaft mochte in dieser Hinsicht für Probleme sorgen.


Tanz der GefühleWhere stories live. Discover now