Kapitel 6-1

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Johanna fädelte das Schiffchen durch die Kettfäden, ehe sie erneut das Garn wechseln musste. Bocken hatte ihr ein kompliziertes Muster zum Weben aufgetragen, was schon mit einem Webstuhl mühselig wäre, doch mit einem Webrahmen eine ähnlich langwierige Aufgabe, wie einen Felsen den Berg hinaufzurollen.
Den Vormittag hatte sie damit verbracht, die Ställe auszumisten, Holz zu schlagen und Wasser zu schleppen. Abgesehen davon hatte sie auch die Wäsche gemacht. Ihr Essen hatte sie zwischenzeitlich im Stehen eingenommen. Bocken liebte es, sie zu schinden. War sie am Ende ihrer Kräfte, schickte er sie zu körperlich einfacheren Tätigkeiten. Normalerweise galt es, Leinen zu weben oder Kleidung zu flicken. Doch dieses Mal wollte er sie wohl auch geistig zermürben, während das Stehen am Webrahmen sie ebenso forderte.
Sie kämmte einen weiteren Faden in das Geflecht ein und setzte sich für einen Moment auf den unbequemen Schemel. Das entlastete zwar ihre Beine, doch ihr Rücken dankte ihr die krumme Haltung keineswegs. Der harte Boden ihres Schlafgemachs würde heute wieder einmal einen Segen bedeuten.
Anna kam zu ihr und schlichtete die Einkäufe in das Regal hinter ihr ein. „Der Herr bürdet dir wieder viel Arbeit auf?"
„Kurz nachdem wir unsere Bezahlung erhalten, blüht er regelrecht auf."
„Vielleicht versucht er, das Geld damit hereinzubekommen", scherzte Anna.
„Hast du einen Brief für mich?", fragte Johanna.
„Wie eh und je."
Sie stieß einen Seufzer aus. „Warum nur antwortet er nicht?"
„Bist du dir sicher, dass er dich nach all den Jahren noch liebt?"
„Natürlich nicht, aber zumindest, dass er den Anstand hätte, es mir zu sagen."
„Vielleicht verfehlen alle Briefe den Adressaten?"
Johanna stützte das Kinn auf ihre Hände. „Nach dem sicher fünfzigsten könnte der Bote doch die Gnade haben, mich endlich darüber zu informieren."
„Und wenn er den Brief übermittelt, aber dein Geliebter nur nie zugegen ist oder unbekannt seine Adresse gewechselt hat?"
„Ach, ich weiß nicht. Am liebsten würde ich nach Königsfels reiten und ihn selbst suchen."
„Das würde der Herr sicher nicht zulassen."
Johanna nickte. Anna hatte ihre bisherigen Versuche, seiner Knute zu entfliehen, mitbekommen und kannte die Hoffnungslosigkeit ihrer Situation. „Gibst du die Briefe immer demselben?"
Die Magd zögerte einen Moment, tat, als müsse sie überlegen. „Es sind verschiedene Personen, die ich am Markt antreffe."
„Aber des Barons Briefe erreichen ihr Ziel?"
„Zumindest hat er sich nie darüber beschwert." Anna verstaute die restlichen Einkäufe eilends.
„Ich werde nicht aufgeben."
Anna atmete lautstark aus und legte ihr die Hände von hinten auf die Schultern. „Vielleicht solltest du lieber versuchen, dir etwas anzusparen und einen Besseren zu finden."
Johanna kannte die anderen Männer. Sie hatte genügend ihrer Sorte erlebt, um nicht daran interessiert zu sein. Bocken mochte sie auslaugen, aber so mancher Ehemann konnte eine weit schlimmere Plage sein. Andererseits verstrich die Zeit und irgendwann wären ihre besten Jahre gezählt. „Könntest du nicht für mich nach ihm suchen? Ich spare mir etwas an und entschädige dich."
„Ich kenne ihn doch gar nicht, ich halte das nicht für eine gute Idee", sagte Anna zögernd.
„Ich bitte dich. Als meine Freundin."
Anna schürzte die Lippen und sagte schließlich ausweichend: „Spar erstmal das Geld zusammen, dann reden wir noch einmal darüber."


Tanz der GefühleWhere stories live. Discover now