Kapitel 2-1

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Adam klopfte höflich an der Tür zum alten Anwesen der Herzogin. Noch immer pflegte sie es, große Teile ihrer Korrespondenz hier, abseits der Aufmerksamkeit des Hofstaats, zu führen. Er führte eine Auswahl an Stoffproben mit sich, mit denen er sie von seinen Fortschritten überzeugen wollte. Ein Diener öffnete ihm und bat ihn herein. Aisenberg erwartete ihn in ihrem Ruhezimmer, was er als Akt der Vertraulichkeit auffasste.
„Herr Kloppenburg, Ihr habt das alles selbst getragen?", fragte sie, als er die Stoffe über der Rückenlehne eines Sofas ablegte.
Er neigte tief das Haupt. „Eure Durchlaucht."
„Lasst die Förmlichkeiten. Immerhin sind wir Partner in dieser Unternehmung."
Auf ihren Deut hin setzte er sich auf das Sofa und hielt die Hände in Richtung des Kaminfeuers. Es war ungebührlich spät für seinen Besuch, aber sein Tagwerk ließ es selten zu, dass er früher aus der Manufaktur kam. „Zu Eurer Frage: Ich spare an persönlichen Bediensteten."
„Wenn Ihr so weitermacht, werdet ihr bald gebückter gehen, als Eure Spinnerinnen."
„Ein Kettenhemd wiegt schwerer als eine Stoffrolle."
„Und ein Kavallerist lebt kürzer als ein Kaufmann."
Adam lächelte geschlagen. Auf eine Diskussion sollte er sich mit Aisenberg nicht einlassen. Ihre Zunge war schärfer als geschliffener Stahl. „Ich werde mich tunlichst bemühen, Euch auf angemessene Weise entgegenzutreten, sobald es meine Börse mir erlaubt."
„Dann lasst sehen, ob Eure Ware diese mit Münzen spülen wird." Aisenberg deutete auf die Stoffbahnen hinter ihm und Adam richtete sich eilfertig auf, nahm behutsam die erste Probe auf und hielt sie ihr entgegen.
„Einfaches Leinen. Schlicht aber elegant."
Sie fuhr mit dem Finger über den Stoff, betrachtete ihn von Nahem und Fernen. Schließlich bat sie ihn, ans Feuer zu treten, sodass die Flammen ihn besser ausleuchteten. „An wen plant Ihr, es zu verkaufen?"
„Ich werde es in den Schneidereien bewerben. Außerdem hoffe ich auf Großhändler auf dem Jahrmarkt."
„Ich gelobe Euch hin und wieder einen Pfennig in ausgestreckte Hand zu legen, wenn ihr in Eichenthal kniet."
Adam runzelte die Stirn. „Ihr seid nicht überzeugt?"
„Ihr solltet Euch als Gedankenleser betätigen."
Adam knautschte den Stoff und befühlte ihn mit der Handfläche. Seine Oberfläche war nahezu ebenmäßig und kühl. „Die halbe Welt kleidet sich in Leinen. Selbst das gute Bürgertum bevorzugt es zum Ausgehen im Sommer, statt einem Seidenkleid."
Aisenberg nahm ihm das Stoffstück ab und zerrte von beiden Seiten daran. „Euer Stoff ist stark. Ihr könntet Mehlsäcke daraus schneidern. Wenn ihr es gröber macht, taugt es als Segeltuch, aber niemand wird es Euch abkaufen, um sich darin zu kleiden." Sie legte das Tuch auf dem Tisch vor sich ab und gönnte sich einen Schluck Wein. Mit einem Schnipsen machte sie eine ihrer Bediensteten auf sich aufmerksam. „Mädchen, bring Herrn Kloppenburg auch ein Glas. Er wird heute starke Nerven brauchen."
Als das Mädchen ihm den Wein gebracht hatte, nahm er einen höflichen Zug, wenngleich er sich überhaupt nicht danach fühlte. Er legte die Hände in den Schoß und erwartete Aisenbergs Ausführungen.
„Ihr habt selbst nie gewoben oder gestickt?"
Adam schüttelte den Kopf. „Meine Schwester hat Erfahrung darin."
„Eure Arbeiterinnen entstammen einfachen Verhältnissen und sind es gewohnt, Tücher für ihre eigenen Bedürfnisse herzustellen. Es ist schlicht und zweckdienlich, aber nicht fein genug, als das es jemand von Stand kaufen würde. Und auch wenn ihr günstiger produzieren mögt, so wird eine Bauernfamilie eher auf selbst gewebtes Tuch zurückgreifen, als es von fremder Hand zu erwerben."
„Aber wie soll ich ihnen beibringen, es besser zu machen?"
„Dafür braucht ihr einen gewerbsmäßigen Weber. Jemand, der die Kunst kennt, feinstes Tuch herzustellen."
Adam hörte die Münzen schon im Beutel eines anderen klimpern. Ein Vorarbeiter würde einen höheren Lohn verlangen. Im Moment galt es aber eher, Kosten zu senken, statt weitere zu verursachen.
„Ihr könnt jetzt investieren oder zusehen, wie Euch das Geld langsam durch die Finger sickert."
„Darf ich Euch eine weitere Stoffprobe zeigen?"
„Schockiert mich, junger Herr", erwiderte sie mit einem schelmischen Grinsen.
Er präsentierte ihr ein grobes Stück, welches Flusen auf seinem Anzug hinterließ.
„Schurwolle?", fragte Aisenberg, noch ehe sie den Stoff berührt hatte.
„Keine Faser Altwolle", sagte er stolz.
Aisenberg nickte bedächtig und gab ihm mit einem Wink zu verstehen, dass sie genug gesehen hatte. „Ihr werdet sie an den Mann bringen. Insbesondere im Winter werdet ihr damit gute Absätze erzeugen. Doch im Moment produziert ihr hiermit nur ein volles Lager." Sie forderte mit dem Zeigefinger den letzten Stoffstreifen ein. Schon weit weniger beschwingt hielt er ihr sein Prachtstück entgegen, welches sie jetzt auch in der Luft zerreißen würde. Sie betrachtete das Material lange mit konzentriertem Blick, fuhr mit der Hand darüber und rieb ihn zwischen den Fingern.
„Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich es für Samt halten. Ein paar Stellen gehören ausgebessert, das Muster ist nicht perfekt abgebildet." Sie fuhr über die eingewobenen Rosen. „Doch dem Material fehlt der Glanz, den ich von Samt erwarten würde."
Adam lächelte zufrieden, die Herzogin überrascht zu haben. „Eine besonders geschickte Arbeiterin hat mir diesen Stoff gewoben. Sie behauptet, wenn ich ihr Seide besorgte, könnte sie mir feinsten Samt herstellen."
„Ich verstehe, das Grundmaterial ist Flachs?"
Adam nickte. „Es war mir zu riskant, in Seide zu investieren, ehe ich Euer Urteil erfuhr."
„Ihr habt recht getan. Die Fähigkeit Eurer Weberin liegt weit hinter denen der Südländer. Auf dem Jahrmarkt werdet Ihr Euch hiermit nicht durchsetzen können. Aber vielleicht findet Ihr interessierte Abnehmer für diesen Stoff aus Flachs, auf dem Wochenmarkt. Dem ungeschulten Auge mag der Unterschied zu Seidensamt nicht auffallen, wenn Ihr sauberer arbeitet."
Ein Hoffnungsschimmer regte sich in Adam. Auf den regelmäßig stattfindenden Märkten fanden Stoffe selten Abnehmer. Sie wurden eher im Zuge des Jahrmarkts oder spezieller Wollmärkte in großen Gebinden aufgekauft. Doch dort war die Konkurrenz entsprechend gewaltig. Vielleicht könnte er mit einem außergewöhnlichen Produkt die Zeit zwischen den Jahrmärkten gewinnbringend füllen.
Adam setzte sich nieder. Aisenberg gönnte sich einen weiteren Schluck, während sie ihn mit unergründlicher Miene musterte. „In drei Monaten findet Eure Bewährungsprobe statt."
„Wir werden eine ausreichende Menge Stoff herstellen, um den üblichen Händlern die Stirn zu bieten."
„Ihr benötigt weit mehr als Masse. Ihr braucht Qualität. Stellt einen geeigneten Ausbilder für Eure Arbeiterinnen ein, um dem kritischen Auge der Käufer standhalten zu können. Ein schlechter Ruf wiegt schwerer als ein niederer Stand."
Adam musste ihr Recht geben. Als Neuling würde er es schwer genug haben, überhaupt Aufmerksamkeit zu erzeugen, ohne preislich ins Bodenlose zu sinken. Doch wenn er in Verruf geriet, mindere Qualität zu verkaufen, würde ihm niemand mehr Gehör schenken. Und er brauchte den Erfolg. Nicht nur, um zu Reichtum zu gelangen oder seiner Schwester ein angenehmes Leben zu ermöglichen. Ohne entsprechendes Ansehen musste er gar nicht erst versuchen, den Jeverbruchs je wieder unter die Augen zu treten.
„Habt ihr Neuigkeiten um Johanna gehört?", kleidete er seine Sorgen in Worte.
„Ich dachte, Ihr schreibt ihr?"
„Doch kein Brief erreicht sein Ziel. Ich fürchte, ihr Vater fängt meine Botschaften ab."
„Ich habe nichts von einer Hochzeit gehört. Aber bedenkt, das junge Fräulein ist weit über das übliche Heiratsalter hinaus. Möglicherweise wurden sie bereits unter Stand vergeben."
Adam presste die Lippen zusammen. Er hoffte, des Ritters Gier hätte ihn davon abgehalten, diese Entscheidung zu treffen. Was brachte ihm sein Reichtum, wenn seine Liebe in unerreichbarer Ferne schwelgte? „Ich danke Euch für Eure Hilfe." Er leerte sein Glas und erhob sich zum Gehen. Seine Vorfreude auf das Treffen war spürbarer Resignation gewichen. Ging er am Morgen mit weit ausholenden Schritten, so würde er mit hängenden Schultern heimkehren. Doch noch bestand Hoffnung. Aisenberg hatte Recht. Er würde jetzt investieren müssen, um Erfolg zu haben, auch wenn es ein zusätzliches Risiko darstellte, seine spärlichen Reserven anzunagen.
„Da wäre noch etwas, Herr Kloppenburg", sagte Aisenberg mit einem Unterton, der Unbehagen ausdrückte. „Mein Arm mag weiter reichen, seitdem ich die Herzogswürde trage, doch mein Netz hat sich verkleinert."
„So werdet ihr neue Spinnfäden aussenden müssen."
Aisenberg schüttelte den Kopf. „Meine Position zwingt mich, mich zunehmend aus gewissen Angelegenheiten zurückzuziehen. Daher konnte ich auch keine näheren Nachforschungen bezüglich Eurer Herzensdame anstellen. Es würde Aufsehen erregen und derweil ist die politische Situation zu angespannt."
„Ihr sprecht doch nicht auch von unserer Vereinbarung."
Sie sah zu Boden. Noch nie hatte er diese stolze Frau den Blick senken sehen und Adam schwante Übles. „Unser Umgang wird kritisch betrachtet. Als Baronin konnte ich es mir leisten, mein Auskommen mit Handelsangelegenheiten zu finden. Doch als Herrscherin geziemt es sich nicht, mich persönlich in Eure Belange einzumischen."
„Ich werde also zukünftig allein auskommen müssen."
„Es ist Zeit, das Nest zu verlassen, junger Freund."
Der Boden schien unter ihm wegzubrechen. So sehr er an seine Sache glaubte, es hatte ihm stets Halt gegeben, diese erfolgreiche, durchsetzungsfähige Frau an seiner Seite zu wissen. Er sank auf die Knie, als erwarte er die Schwertleite, die ihn zum Ritter ernennen würde. „Ich danke Euch für Euren Beistand."
„Ihr seid ein tüchtiger Geschäftsmann und habt den rechten Glauben. Setzt Euren Weg mit der gewohnten Energie fort und er wird von Erfolg gekrönt sein." Sie legte ihm für einen kurzen Moment die Hand auf den Kopf, ihre Miene voll mütterlicher Gefühle.
Adam erhob sich und sah ihr fest entgegen, auch wenn sein Inneres dem Hohn sprach. „Eines Tages werdet Ihr vielleicht ein Kleid aus meinen Stoffen tragen."
Sie lächelte ihm gütig zu. „Ich freue mich bereits auf diesen Tag, Herr Kloppenburg."


Tanz der GefühleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt