Kapitel 13-2

25 5 0
                                    

Als das Fuhrwerk das Südtor passierte und über die holprige Schotterstraße Eichenthals ratterte, zog ein Schauer über Johannas Haut. Wie lange war es her, da sie in dieser Stadt gewesen war? Sie verband hiermit vielerlei Erinnerungen: Die unbeschwerte Zeit als Kind in der Schule, die beschwerliche als Erwachsene und die kleinen Lichtblicke, da sie mit Adam zusammen war. Justina war überraschend still geworden, nachdem sie zunächst äußerst redselig war. Vielleicht war sie selbst noch perplex über die seltsame Fügung des Schicksals. Durch die Damen auf der Ladefläche hatte sie erfahren, dass ihr Ziel eine Manufaktur inmitten der Stadt war. Der Begriff hatte Johannas Interesse schnell geweckt und während Justina sich eher reserviert mit Informationen hielt, hatten die anderen sie freizügig über den Besitzer dieser aufgeklärt.
Sie wäre beinahe vom Kutschbock gefallen, als sie Adams Name hörte. Er hatte sich seinen Traum erfüllt. Danach war sie so aufgeregt gewesen, dass ihr das gemächliche Traben des Pferds fast zu langsam war. Sie war versucht, loszulaufen, um schneller zu sein, und beherrschte sich nur mühselig.
Endlich fuhren sie von der Hauptstraße ab und auf eine alte Lagerhalle zu. Justina hielt den Wagen an und alle stiegen aus. Adam musste ihr Kommen schon bemerkt haben. Er trat aus dem Eingang, um seine neuen Mitarbeiter zu begrüßen, und staunte nicht schlecht, als Johanna ihm entgegenkam. In diesem Moment war es ihr egal, wie es um ihn stand. Selbst wenn er bereits geheiratet hatte, diesen einen Augenblick musste das Schicksal ihr gewähren, dass sie ihren Liebsten nach all den Jahren in die Arme schließen konnte. Mit wehendem Rocken lief sie auf ihn zu und sprang ihm entgegen. Er fing sie mit seinen Armen auf und dem Druck seiner Hände auf ihrem Rücken entnahm sie, dass seine Sehnsucht ebenso groß gewesen war.
„Ich war auf Burg Jeverbruch, aber es war eine Ruine – ich dachte du ..."
Sie schüttelte den Kopf und konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken. „Meine Eltern haben mich in die Dienste Baron Bockens gestellt. Oh Adam, ich habe dir unzählige Briefe geschrieben, doch er hat sie alle abgefangen."
Seine Hände verkrampften sich, sein Körper erzitterte vor Sehnsucht und wohl auch vor Wut. „Ich werde diesen Kerl dafür richten."
„Vergiss diese Gefühle. Ich möchte keine Sekunde mehr mit meiner Vergangenheit verbringen. Einzig, dass wir jetzt zusammen sind, zählt für mich."
Mittlerweile hatten die anderen Frauen zu ihr aufgeschlossen und auch aus der Manufaktur kamen Arbeiterinnen, um ihre Bekannten zu begrüßen. Adam ergriff Johannas Kopf und küsste sie. Für einen Moment war sie verlegen, drang der Gedanke an höfische Etikette in ihren Geist, doch kurz darauf warf sie all das über Bord und ergab sich der Berührung seiner Lippen.
Klatschen schwoll rund um sie herum an und als sich ihre Münder voneinander lösten, breitete Adam einen Arm aus und verkündete laut: „Meine Damen, das hier ist Johanna Jeverbruch, meine zukünftige Frau."
Wenn ihr Herz nicht bereits vor Freude überquoll, so füllte es sich in diesem Moment zum Bersten. Die Qualen der Vergangenheit fielen von ihr wie Herbstlaub und sie wünschte sich, dieser Augenblick hielte ewig an.
Adam führte sie durch seine Räumlichkeiten, während Justina die neuen Arbeiterinnen anwies. Er zeigte ihr sein Arbeitszimmer, wo sie einige Momente ineinander verschlungen küssend verbrachten, ehe er mit ihr durch die Reihen der Spinnräder und Webstühle wanderte.
Er kannte jede Frau beim Namen, was Johanna bei der Menge an Arbeiterinnen überraschte. Manch ein Hausherr kannte nicht einmal den Namen jeglichen Teil des Gesindes. Der Art und Weise, wie Adam und seine Untergebenen sich gegenübertraten, entnahm sie, dass er ein guter Dienstherr war. Einer, der den Wert seiner Arbeiter erkannte und sie als ebenbürtig betrachtete. Schließlich führte er sie zu den Stoffen, einem ansehnlichen Sammelsurium aus aneinandergereihten Rollen naturfarbenen Leinens und gröberer Wollstoffe. Johanna fuhr über die kühle Oberfläche und nickte bedächtig. Die Frauen hatten gute Arbeit geleistet, dem war nichts entgegenzusetzen.
„Hiermit wirst du ganz Königsfels mit Betttüchern und Alltagskleidung eindecken", meinte sie schmunzelnd.
„Es wird wohl darauf hinauslaufen. Die Händler aus den Südstaaten werden das Geschäft mit den edlen Tüchern machen und wir werden die breite Masse befriedigen."
„Wie viel Zeit ist noch, bis der nächste große Markt ansteht?"
„Etwas mehr als einen Monat."
„Genug Zeit, um einen angemessenen Vorrat an Seidenstoffen zu produzieren." Sie machte eine Armbewegung in Richtung der Arbeiterinnen. „Bei dieser Menge an Helfern."
„Die Wenigsten sind in der Lage, edlere Webmuster in ausreichender Qualität herzustellen. Seide ist teuer und wenn das Endprodukt nicht stimmt, wird es ein Verlustgeschäft."
Johanna nickte dazu. Wenn jemand schon viel Geld in die Hand nahm, um sich den teuren Rohstoff zu leisten, musste die Verarbeitung bis ins letzte Detail stimmen. Entsprechend kostspielig waren diese Tücher. Johanna hatte Monate damit verbracht, ihre Künste im Weben zu verbessern. Bocken hatte mit Argusaugen über sie gewacht, bis ihre Arbeit ihn zufriedenstellte.
Er war ein eitler Pfau und wollte sich immer in die feinsten Gewänder schmücken. Aber den vollen Preis dafür zu zahlen, war er nicht bereit. Langfristig hatte es sich für ihn gelohnt, dass Johanna ihm den Stoff herstellte, den er nur noch von einem Schneider nähen lassen musste.
„Die Einrichtung des Webstuhls auf eine komplizierte Bindung ist schwierig. Aber sobald diese erledigt ist, kann jede Frau mit entsprechender Sorgfalt den feinsten Brokat fabrizieren."
Adam hob beide Brauen. Offensichtlich wusste er nicht allzu viel von der Arbeit selbst. Verständlich, brauchte ein Geselle doch Jahre, bis er die hohe Kunst des Webens perfekt beherrschte. „Woher weißt du so viel darüber?"
„Ich habe beinahe jede Sekunde meiner Freizeit von häuslichen Arbeiten damit verbracht."
„Das heißt, ich bräuchte nur einen Kundigen, der die Webstühle einstellt, und die Frauen könnten alle ...?"
„Ja, einzig die Vorbereitung nimmt viel Zeit in Anspruch. Wenn wir vielleicht fünf Weberinnen darin schulten, indem sie mir dabei zusähen, könnten sie es irgendwann selbst bewerkstelligen."
Adam blinzelte sie bewundernd an. „Du bist ein Geschenk des Himmels. Er küsste sie, doch sie erwiderte die Geste nur kurz, so sehr nahm ihr Plan bereits Gestalt in ihrem Kopf an. Schließlich scharrte er mit dem Fuß über den Boden und sah zu ebenjenem hinunter. „Allerdings können wir uns teure Seide im Moment nicht leisten."
„Nicht einmal genug für ein paar Stoffrollen?"
Adam schüttelte den Kopf. „Derzeit läuft alles auf den Jahrmarkt hinaus. Das Geld rinnt mir durch die Finger und viel ist nicht mehr übrig. Ich kann mir jetzt keine Risiken leisten."
Johanna schürzte die Lippen. Wie betrüblich. Sie hatte gehofft, ihm von Nutzen zu sein. Jetzt könnte sie sich höchstens unter die Weberinnen setzen und ihm ein paar zusätzliche Rollen Leinenstoff besorgen, der sein Geschäft am Laufen halten würde, aber keinen gewaltigen Reichtum abwarf.


Tanz der GefühleWhere stories live. Discover now