Kapitel 12-2

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Der Tag des Duells war gekommen. Noch vor dem ersten Hahnenschrei trafen sie sich hinter dem Haus der Minnesangs. Die Barone stellten die Sekundanten, jedoch – da Herr Minnesang der Gegenpartei ebenso gewogen war, wurden die Duellpistolen vom Stallknecht geladen. Er klappte den Koffer auf, worauf jeder von beiden seine Waffe wählen konnte.
Stephan griff zuerst zu, blindlings, als wäre es ihm völlig egal, womit er schoss. Das war es höchstwahrscheinlich auch. Sie hatten einen einzigen Schusswechsel auf hundert Schritt Entfernung vereinbart. Selbst ein Treffer wäre, solange er nicht in Herz oder Kopf eindrang, auf diese Distanz kaum tödlich.
Baron Minnesang wiederholte die Bedingungen. Martin sah Stephan kühl in die Augen, der seinen Blick mit einem überheblichen Grinsen entgegnete. Am liebsten hätte er ihm in den Kopf geschossen, aber allein der Versuch war töricht. Er wollte nicht als Geächteter enden.
„Letzte Worte, ehe du das Zeitliche segnest, Knecht?"
Martin würdigte ihn keiner Antwort.
„In Position!", erschall Herrn Minnesangs Stimme und sie positionierten sich mit erhobenen Läufen Rücken an Rücken. „Eins ... zwei ..." Er zählte langsam hoch. Mit jedem Schritt entfernten sie sich weiter voneinander, während Martin beinahe damit rechnete, dass sein Kontrahent sich unehrenhaft verhielt und ihm vorzeitig in den Rücken schoss. Wer würde das Gegenteil behaupten? Die Minnesangs wollten sich mit den Lanzbruchs verbünden, Martin war ein Hindernis. Den Stallknecht konnte man nötigenfalls bestechen oder beseitigen. Es kribbelte in seinem Rücken. Er war versucht, über die Schulter zu schauen. Fünfzig Schritte waren getan, dann sechzig, siebzig. Die Zeit floss zäh dahin. Endlich hatten sie die hundert Schritte erreicht.
„Eins!" Sie drehten sich zueinander.
„Zwei!" Sie hoben die Waffe in die Luft.
„Martin! Warte, schieß nicht!", rief eine weibliche Stimme. Martin sah Mina aus dem Augenwinkel im Morgenmantel und ohne Schuhe auf sich zugelaufen kommen. Er konnte das jetzt nicht abbrechen. Gleich wäre es vorbei.
„Drei!" Sie senkten die Waffen, die Läufe zeigten auf den Kontrahenten. Gleich würden sie abfeuern. Martin hielt seine Waffe leicht erhöht. Die Kugel würde über Stephan hinwegfegen.
„Vier!"
„Die Pistole ist präpariert, drück nicht ab!", schrie sie schrill und Martin bekam es gerade noch rechtzeitig mit, ehe sein Daumen zu viel Druck auf den Abzug legte.
„Halt dich da raus, Weibsbild!", schrie Stephan und feuerte. Die Kugel raste heran und streifte Martins Ärmel. Er zuckte unter dem Schmerz zusammen, während seine Kleidung das austretende Blut aufsaugte. Er hatte gezielt auf ihn geschossen und einen Glückstreffer gelandet, dieser verdammte Hund. Martin sah auf seine Waffe hinab. Da kam Mina heran und prellte sie ihm aus der Hand. „Sie wird explodieren!"
Martin sah von Mina zu den anderen Zuschauern, die teils mehr teils weniger betroffen den Blick abwandten. Nur Stephan blieb gelassen und lud seine Pistole nach, während er auf ihn zuging. „Wenn du dich nicht selber hochjagen willst, erledige ich das für dich!"
Martin wollte Mina zur Seite schieben, aber die war flugs an Stephan heran und schob die Pistole zur Seite. Ein Schuss löste sich, der ihr durch den Puffärmel ging. Erst als Mina auf die Knie fiel, wurde Martin gewahr, dass sie getroffen war. Er rannte zu ihr gefolgt von allen anderen Anwesenden.
Die Folgen des Duells waren Geschrei und Gezeter. Baron Minnesang und Martin hoben Mina an und verfrachteten sie schnellstmöglich ins Haus. Die Verletzung war nur oberflächlich und mit einem einfachen Verband flugs behandelt. Hiernach folgten wüste Beschimpfungen von allen Seiten. Während Martin argumentierte, Stephan hätte sich nicht an die Vereinbarungen gehalten, meinte die andere Seite, er hätte das Duell boykottiert, indem er nicht schoss. Als der Streit zu keinem Ende zu kommen schien, verlegte sich Baron Minnesang darauf, Martin persönlich anzugreifen.
„Ich habe mich stets gut um dich gekümmert. Und du dankst es mir mit solchem Verhalten?"
„Ich habe eine Freundin beschützt."
„Du hast einen Ehrengast attackiert!"
„Dürfen all Eure Gäste Eure Tochter vergewaltigen?"
„Sie sind bald verheiratet!"
„Ich bezweifle, dass Mina solch einen Scheißkerl heiraten wird!"
„Du gehst zu weit Martin, ich werde dich des Hofs verweisen!"
„Und brecht das Versprechen an meinen Vater?"
„Dein Vater ist kein Edelmann mehr. Er ist in Schande gegangen und hat sich einem Söldnerheer angeschlossen!"
„Zumindest hat er nie seine Kinder verkauft und hielt sich an seine Versprechungen."
„Nein, er hat seinen Sohn verschenkt. Du bist nichts weiter als ein Diener!"
Martin verlangte es, nach einem Schlag auszuholen, aber so weit konnte er einfach nicht gehen. Sein Herr mochte sich scheußlich benehmen, doch er würde nicht auf dessen Stufe herabsinken.
„Wenn Ihr mich loswerden wollt, so sprecht es frei heraus."
Baron Minnesang schwieg und Martin sah es hinter seinen Augen arbeiten. Er wollte sich einen so nützlichen Helfer nicht entgehen lassen. Die ganze Sache war nur eine Farce, ein Versuch, die Lanzbruchs von seiner bedingungslosen Unterstützung zu überzeugen. Aber bei diesen Ränkespielen würde Martin nicht mitmachen. Allein schon, weil Minnesang womöglich von der präparierten Waffe gewusst hatte und bereit gewesen war, das Wagnis einzugehen.
„Wir werden darauf zurückkommen, wenn sich die Sache beruhigt hat", sagte er halblaut, worauf sich die Lanzbruchs in die Diskussion einmischten. Martin nutze die Gelegenheit und eilte nach oben. Er wollte wissen, wie es um Mina stand. Außerdem brauchte er eine Antwort. Wenn sie ihm ihre Liebe versagte, machte es keinen Unterschied mehr, ob er hier war oder nicht. Er würde in der Stadt unterkommen, sich eine Nebenbeschäftigung suchen und ansonsten auf seine militärische Laufbahn konzentrieren. Jetzt, nachdem er Mina seine Gefühle gestanden hatte, konnte er nicht mehr bei ihr bleiben, sollte sie ihn abweisen. Es würde ihm das Herz zerreißen.
Er klopfte an und trat ein, ohne auf Antwort zu warten. Mina lag in ihrem Bett, die Beine angezogen und den Oberkörper auf einem Haufen Kissen gepolstert. Ihr rechter Arm war dick verbunden, das Gesicht von Ärger gezeichnet.
„Habe ich dich hereingebeten?"
„Unter Freunden spart man sich solche Förmlichkeiten."
Sie schürzte die Lippen. „Was willst du?"
„Zunächst möchte ich dir danken. Woher wusstest du von dem Komplott?"
„Maria hörte davon."
Er lächelte in sich hinein. Maria war eine treue Seele. Sie waren miteinander aufgewachsen. Sie, die Tochter der Hausdame und er, der Sohn des Ritters. Als sie alt genug war, wurde sie als Magd angestellt und hatte ihren Posten in seiner Nähe auch nicht aufgeben wollen, als der Hausstand aufgegeben wurde. „Ich werde mich bei ihr bedanken."
„Sonst noch etwas?"
„Du schuldest mir eine Antwort."
„Du mir dein Leben."
Er lachte leise. „Zugegeben, für deine Heldenhaftigkeit gebührt dir ewige Dankbarkeit, aber findest du nicht, ich habe etwas mehr verdient, als deine Unfähigkeit, mir Auskunft zu geben?"
Mina verdrehte die Augen und stieß genervt die Luft aus. „Was willst du hören? Dass ich dich liebe? Dass ich mich freue, einen Freund zu verlieren und einen Liebhaber zu gewinnen?"
„Nichts hat sich zwischen uns geändert. Nur mein Bewusstsein, dass ich dich nicht an einen anderen verlieren möchte."
„Es verändert alles. Du stellst mich vor die Wahl. Was würdest du tun, wenn ich Stephan heirate?" Martin scharrte mit dem Fuß über den Boden und schwieg dazu, worauf Mina anklagend den Zeigefinger nach ihm streckte. „Da hast du's!"
„Du würdest ohnehin umziehen, sobald ihr verheiratet seid."
„Und du könntest mich besuchen."
„Dein Gatte wäre darüber sicher hocherfreut."
Mina verschränkte die Arme. „Ich muss mich also unter allen Umständen für einen von euch entscheiden. Denkst du, das fällt mir so leicht?"
„Wenn du auf dein Herz hören würdest, statt nur ans Geld zu denken."
Sie zog die Augenbrauen zusammen. „Was für eine Frechheit, mir so etwas zu unterstellen! Verschwinde!"
Martin senkte betreten die Lider und schüttelte den Kopf. Hiernach stand er auf und verließ ohne weitere Worte ihr Zimmer. Sie hatte sich bereits entschieden, so wie er das sah. Sie zögerte es so lange hinaus, bis er vom Hof verschwunden war. Danach brauchte sie ihm keine Antwort mehr zu geben. Er war weg und somit jegliche Verantwortung. Vielleicht beruhigte sie ihr Gewissen damit, dass er mit seinem Fortgehen die Wahl für sie getroffen hatte. Wer wusste schon, was in ihrem Kopf vorging? Auf jeden Fall konnte ihre Liebe nicht allzu groß sein, wenn sie sich dermaßen schwertat, eine Entscheidung zu treffen. Wahrscheinlich liebte sie ihn überhaupt nicht, stießen seine Gefühle auf ein kaltes Herz. Nur aus Freundlichkeit hielt sie ihn hin, statt ihn mit der Wahrheit zu konfrontieren.
Unten gingen die Diskussionen weiter, aber es interessierte ihn nicht mehr besonders. Er nahm die Urteile über sich hin, leistete keinen weiteren Widerstand. Sein Urlaub war ohnehin bald abgelaufen. Er würde zu seinem Regiment zurückkehren und nicht wiederkehren.


Tanz der GefühleWhere stories live. Discover now