Kapitel 4-2

29 3 0
                                    

Den nächsten Morgen verschlief sie trotz der Bemühungen ihrer Zofe. Widerwillig ließ sie sich in ihre Kleider helfen und aß eine Kleinigkeit, die sie ihr vom Tisch mitgebracht hatte. Hoffentlich schloss Stephan keine falschen Schlüsse daraus, dass sie ihn heute beim Frühstück versetzte. Andererseits hatte er es vielleicht ebenso nicht rechtzeitig nach unten geschafft. Sie setzte ein möglichst unbekümmertes Gesicht auf, als sie die Treppe heruntereilte.
„Kaum reisen unsere Gäste ab, da verfällt meine Tochter wieder in alte Marotten", begrüßte sie ihr Vater herzlich aus dem Salon. Doch sein strenger Gesichtsausdruck sprach den Ton Lügen.
„Ihr plant, uns zu verlassen?", fragte sie bestürzt. Tatsächlich trugen die Lanzbruchs schon ihre Reisekleidung und Stephan sah unerhört ausgeruht aus. Ihn musste ihre abendliche Liaison nicht besonders lange beschäftigt haben.
„Verzeiht uns Mademoiselle", sagte Baron Lanzbruch, „hat mein Sohn Euch davon nicht berichtet?"
„Ich war wohl zu abgelenkt von ihrer Schönheit", wandte Stephan ein.
„Welche Freude, dass ihr beiden euch so versteht", sagte ihr Vater.
Mina suchte nach einem Platz, doch der einzige freie war auf dem Sofa neben Stephan. Sie hatte im Moment keine Lust, bei ihm zu sitzen, doch es wäre seltsam, bliebe sie im Türrahmen stehen. Somit lehnte sie sich mit verschränkten Armen gegen die Lehne. „Ich dachte, ihr plant, euer Bündnis zu festigen."
„Wir sind sehr zufrieden mit den Ergebnissen."
„Seid Ihr auch bereits zufrieden, Junker Lanzbruch?", fragte sie Stephan mit schmalen Augen.
Stephan fuhr sich über das Kinn. „Mit Sicherheit gibt es noch einige Details, die ich zu vertiefen pflege. Wollt Ihr Euch nicht zu mir setzen?"
„Ich will Euch nicht aufhalten, wenn Ihr es so eilig habt."
„Vielleicht könnt Ihr mich überzeugen, ehestmöglich zurückzukehren."
„Ihr erwartet doch nicht etwa, dass ich mich an Euch anbiedere?"
Nervöses Schweigen kroch in die Gesellschaft. Minas Mutter räusperte sich schließlich. „Vielleicht sollten wir neben unseren wirtschaftlichen Verflechtungen doch auch die Verbindung der Familien anreißen."
„Ich habe Herrn Lanzbruch Minas Hand bereits angeboten, Amalia."
Sowohl Mutter als auch Tochter sahen ihn überrascht an. „Sie haben mich nicht einmal gefragt!", sagte Mina.
„Euer Gebaren nahmen wir als stilles Einverständnis", erwiderte ihr Vater lakonisch.
„Wusstet Ihr davon?", wandte sie sich an Stephan, doch sein Vater antwortete für ihn.
„Wir werden die Verlobung noch hinauszögern. Es wäre ungebührlich, die Verlobungszeit durch unsere weiteren Reisepläne in die Länge zu ziehen."
Also war alles schon durchgeplant, aber nicht offiziell verkündet. Doch die Begründung erschien Mina schleierhaft. Sie hielt es für wahrscheinlicher, die Lanzbruchs wollten ihn ungebunden halten, damit er Eindruck auf die Töchter anderer Häuser machen konnte. „Könnten wir nicht sofort heiraten?"
Ihre Mutter reagierte mit einem begeisterten Klatschen auf den Vorschlag, die Lanzbruchs eher mit verhaltenem Lächeln. „Ein romantischer Gedanke", sagte Stephans Vater, „jedoch möchte ich meinen Sohn noch an meiner Seite wissen, bis alles geregelt ist."
„Seid Euch gewiss", mischte Stephan sich ein, „ich werde ehestmöglich zu Euch zurückkehren, wo ich doch weiß, wie Ihr Euch nach mir verzehrt." Er wollte ihre Hand ergreifen, aber sie strich sich ganz zufällig eine Strähne aus dem Gesicht.
„Dann wünsche ich Euch eine gute Reise. Wohin plant Ihr als Nächstes zu gehen?"
„Wir werden die Baronie Sir Hemmwehrs aufsuchen."
Mina schürzte die Lippen. Die Hemmwehrs waren ebenfalls eine einfache Rittersfamilie gewesen, bis ihnen weiteres Land zugesprochen wurde. Im Gegensatz zu den meisten Rittergeschlechtern hatte er seinen ursprünglichen Titel aber nicht abgelegt. Sein Sohn Matthias war zwischenzeitlich bei ihnen im Haus gewesen, um seine Knappenzeit abzuleisten.
Im Gegensatz zu Martin, dessen Vater ihn kaum selbst versorgen konnte, hatte Matthias es sich aber nicht gefallen lassen, mehr als Diener denn als heranwachsender Ritter behandelt zu werden. Seine Anwesenheit hatte Mina einiges über die Hemmwehrs in Erfahrung bringen lassen. Des Ritters Tochter Cäcilia galt als schlüpfriges Ding. Bevor sie an Reichtum gewonnen hatten, hatte sie wohl in so manchem unehelichen Bett gelegen. Erst jetzt, nachdem ihre Hand eine wertvolle Partie darstellte, legte der Ritter Wert auf die Wahrung ihrer ohnehin schon verlorenen Tugend. „Ihr solltet Euch vor Cäcilia hüten. Sie wird versuchen, Euch zu bezirzen."
Baron Lanzbruch lachte. „Macht Euch keine Sorgen, junges Fräulein. Mein Sohn wird sich ihrer Vorzüge zu verschließen wissen."
Schließlich hatten die Knechte die Pferde gesattelt und Proviant aus der Küche hinaufgebracht. Die Lanzbruchs verabschiedeten sich in aller Form und Mina ließ einen Handkuss über sich ergehen. Eine seltsam geziemte Geste dachte sie daran, wie er nachts schon über sie hergefallen war.
Sie winkten ihren Gästen, ehe ihr Vater streng mit ihr ins Gericht ging. Was sie sich einbilde, ihren Zukünftigen so anzugehen. Sie wirke regelrecht verzweifelt und gefährde mit solcherlei Hysterie nur die Verbindung ihrer mächtigen Familien. Mina fühlte sich immer mehr wie ein Handelsgut oder das Wachssiegel auf einem Vertrag.


Tanz der GefühleOnde histórias criam vida. Descubra agora