Kapitel 4-3

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Seit dem Vorfall, da Adam die junge Weberin gegen den Vorarbeiter verteidigt hatte, steigerte Justina ihre Bemühungen ins Unermessliche. Der Herr hatte sie bereits früher einmal direkt angesprochen, als sie ihm ein Probestück Samt aus Flachsfaser gewebt hatte.
Damals wollte sie sich nur als tüchtige Arbeiterin hervortun, doch mittlerweile wünschte sie sich, er würde ihr mehr Zeit schenken. Er hatte Eindruck bei ihr hinterlassen. Bisher war er nur der unscheinbare feine Pinkel gewesen, der all dies hier finanzierte. Doch hinter dem erhabenen Aristokraten steckte ein Mensch, dessen Persönlichkeit ihr schwerlich gefiel.
Doch ihre Bemühungen brachten nur Herrn Webmann dazu, sie einer Fliege gleich zu umkreisen. Das verbesserte zwar ihre Technik, aber keinesfalls ihre Laune. Webmann war ein Meister seiner Kunst und er wusste, sich damit zu profilieren. In erhabenster Weise ließ er sich dazu herab, sie an seinem Wissen teilhaben zu lassen. Dabei hatte Justina das Gefühl, er zögerte jeden Schritt beflissentlich heraus, berührte sie während seiner Instruktionen öfter, als es nötig war und lobte sie auf unangemessene Weise. Wie sollte sie ihn höflich von sich weisen, wo sie doch von seiner Erfahrung abhängig war?
Derweil bemühte sie sich, ihm mit kokettem Verhalten zügiger sein Wissen zu entlocken, damit sie alsbald von ihm unabhängig würde. Währenddessen versuchte sie, mehr über Adam herauszufinden, aber sein Leben schien ein Schloss mit vielen Riegeln zu sein. Er war nicht über alle Maßen bekannt und entstammte offensichtlich einem Rittersgeschlecht. Gegenüber seinen Arbeitern hielt er höfliche Distanz, als wäre er gebunden, doch kein Ring oder dergleichen wies darauf hin. Wahrscheinlich gehörte er den wenigen Männern an, die ihre Tugendhaftigkeit nicht nur als Ideal betrachteten, sondern auch tatsächlich keine Bettgeschichten pflegten.
Nach einem arbeitsreichen Tag kehrte sie in die heruntergekommene Mietskaserne zurück, die ihr Zuhause darstellte. Die Situation dort war bisher schon beengt gewesen, aber mit ihrem Bruder war jegliche Privatsphäre aus ihren Wänden gezogen. Sich in der Nacht in Gedanken an Adam zu berühren, kam nicht infrage, wenn ihr Bruder eine Armlänge von ihr entfernt schlummerte. Dafür war er ihr eine angenehme Gesellschaft, die ihr Einblicke in die Welt der Männer gewährte.
„Guten Abend Schwester. Hattest du einen schönen Tag?", begrüßte er sie. Er hatte bereits etwas zu essen gekocht. Das war der Vorteil an Soldaten. Sie wussten zwar keine Meisterwerke zuzubereiten, aber ordentliche Hausmannskost.
„Arbeitsreich." Sie schöpfte sich eine Schüssel voll Eintopf ab und setzte sich zu ihm an den Tisch. Er reichte ihr eine Scheibe Brot herüber.
„Wie steht es um deine Bemühungen mit Herrn Kloppenburg?"
„Er war nicht zugegen." Sie blies den Dampf weg, tauchte das Brot ein und biss ein kleines Stück ab. Das Essen war deftig, wie erwartet. In ihrer Sparsamkeit war sie den fadesten Fraß gewohnt und es stellte eine angenehme Abwechslung für sie dar.
„Ein Mann seines Stands kann auch nicht ständig seine Untergebenen hüten wie ein Schäfer die Herde."
„Zumindest nicht mehr, seitdem er seinen Vorarbeiter hat."
„Die Schafschur steht an. Sagtest du nicht, er kauft die Wolle persönlich an?"
Justina sah zur Decke. Da lag Martin richtig. Seine Fähigkeit, alles rational zu durchdenken machte sie manches Mal wahnsinnig. „Du wirst Recht haben."
„Wie bedauerlich. Ich hoffte, auf eine Diskussion darüber, dass er in Wirklichkeit nur versucht, dir fernzubleiben."
„Ich verzichte dankend."
„Wie geht es mit Herrn Webmann voran?"
„Seine Hände lasten beinahe den ganzen Tag auf meinen Schultern."
„Vielleicht solltest du höher geschlossene Kleidung tragen?" Er stierte amüsiert auf ihren Ausschnitt, worauf Justina ihm einen zornigen Blick schenkte. Wie machte sie Adam auf sich aufmerksam, wenn sie ihm nicht ihre Vorzüge ansprechend präsentierte? Als ob ein Mann eine Frau nur ihrer Fertigkeiten wegen begehren würde.
„Ich verzichte auf deine Ratschläge."
„Wenn er das Gefühl hat, du würdest diesem Vorarbeiter gefallen wollen, wird er sich nicht dazwischen stellen. Du sagtest doch, er ist ein wahrer Edelmann."
„Bist du nicht auch einer?"
„Ich bemühe mich darum."
„Und diese Mina, der du ständig schreibst. Ist sie nicht einem anderen versprochen?"
„Wir sind nur Freunde."
„Dafür reagierst du ziemlich aufgeregt, wenn sie von ihrer Liebschaft berichtet."
„Liest du meine Briefe?" Er ließ den Löffel fallen und bekleckerte seine Uniform.
„Ich sorge mich um dein Seelenheil."
Mit sauertöpfischem Blick säuberte er seinen Ärmelaufschlag. Martin konnte ihr nicht lange böse sein. Sie hatten nie Geheimnisse voreinander gehabt, waren sie doch ständig aufeinander angewiesen gewesen. Erst als Martin zu Baron Minnesang gegangen war und sie ihr Glück zunächst auf einem Landgut gesucht hatte, hatten sie sich entfremdet. Es war nicht nur die Hoffnung auf Selbstständigkeit gewesen, die sie in die Stadt getrieben hatte. Sie vermisste ihren Bruder, das Gefühl, jemanden zu haben, dem sie sich gänzlich anvertrauen konnte.
Martin räusperte sich schließlich und nahm den Faden wieder auf: „Falls du andeuten willst, ich kämpfte um ihre Liebe im Konflikt mit einem anderen, so irrst du dich."
„Ich könnte dir helfen, sie zu überzeugen."
„Ich sorge mich lediglich um ihr Glück."
Sie legte den Kopf seitlich auf ihre Hand und sah ihn versonnen an. Martin war zu gut für diese Welt. Er würde einsam sterben, während er sich um das Seelenheil aller Frauen kümmerte, die zu dumm waren, seinen Wert zu erkennen. „Eine Frau möchte erobert werden."
„Eine Frau könnte auch von sich aus ihr Interesse bekunden."
„Bitte, kläre mich auf. Wie zeige ich Adam meine Gefühle, ohne uns in Verlegenheit zu bringen?"
„Zunächst einmal sollte er dich wahrnehmen. Mit was für Frauen umgibt er sich sonst?"
Justina sah nachdenklich zur Decke. Adam hatte, abgesehen von seinen Arbeitern, gar keinen weiblichen Umgang. Ausgenommen ... „Die Herzogin."
Martin verschluckte sich an seinem Bissen und klopfte sich auf die Brust. „Er verkehrt in derartig hohen Kreisen?"
„Willst du andeuten, ich wäre zu minderwertig?"
Er ergriff ihre Hand und drückte sie sachte, während er ihr mitfühlend in die Augen sah. Doch statt ihr die ehrliche Antwort zu geben, tat er einmal das Richtige und nahm Rücksicht auf ihre Gefühle. „Viele Männer lassen sich von Äußerlichkeiten beeindrucken. Hübsch bist du ja, aber deine Kleidung ist nicht edel genug."
„Als ob ich mir ein Seidenkleid leisten könnte."
„Wir könnten zusammenlegen."
Justina schürzte die Lippen. Ihr Bruder besaß praktisch genauso wenig wie sie und er würde sein Geld selbst brauchen, wollte er einmal für eine standesgemäße Ehe den Brautpreis zahlen. Sie sah auf ihre Hand hinab. Am Ringfinger trug sie das einzige Erbstück, das sie von ihrer Mutter hatte mitnehmen können. Einen goldenen, reich mit Rubinen verzierten Ring. Er war eine stattliche Summe wert, war ein Stück Geschichte ihrer Familie. Sein Verkauf wäre äußerst einträglich. Martin folgte ihrem Blick und hielt die Hand auf ihre.
„Du veräußerst nicht Mutters Ring!"
„Gibt es keine einfachere Möglichkeit, als ihn mit Äußerlichkeiten zu beeindrucken?"
„Bitte ihn um einen Gefallen."
„Soll er mir ein Taschentuch reichen?"
„Vielleicht etwas Ungewöhnlicheres. Etwas, womit er dir beweisen kann, dass er dich wertschätzt. Ich würde für die Dame meines Herzens auch Dinge tun, die ich von allein nicht ..."
Justina deutete mit dem Zeigefinger auf ihn. „Mir hast du nie Briefe geschrieben!"
„Ich gelobe Besserung!"
„Vergiss es, ich kann mir das Papier nicht leisten – genauso wenig wie du."
Sie wusste, dass Martin regelmäßig Papier aus der Kaserne stahl. Wohl auch eine sehr ungewöhnliche Darbietung seiner Wertschätzung für diese Mina. Er hatte Recht. Liebe ließ Menschen Dinge tun, die sie von sich aus nicht zu tun bereit wären. Und ihr kam ein Gedanke, wie sie sowohl mit Äußerlichkeiten von sich überzeugen konnte, als auch grundlegend feststellte, wie Adam zu ihr stand.


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