Kapitel 8-2

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Die Tage des Besuchs der Lanzbruchs vergingen und der Samen, den Florentine in Minas Herz gepflanzt hatte, ging auf. Einerseits bemühte sie sich, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und Stephan gegenüber höflich aber mit angemessener Distanz zu begegnen, andererseits prüfte sie ihn, ob er ihr auch ein Freund sein konnte. Womöglich verzieh sie ihm den Betrug.
Sie waren nicht offiziell zusammen und Cäcilia mochte ihn mit aller Gewalt an sich gerissen haben. Unabhängig davon hatte Florentine Recht: Wenn Stephan ihr nicht mehr bieten konnte als Reichtum und einen gutaussehenden Körper; würde sie langfristig mit ihm glücklich werden? Sicherlich, sie konnte sich die Zeit vertreiben mit Reisen, ihren Kindern, der Musik und allem, was eine reiche Dame sich sonst zugute lassen konnte. Doch sie wäre ewig gekettet an einen Mann, der ihr nicht mehr als Unterhaltung im Bett bot.
Sie forderte ihn intensiver, an ihrem Leben teilzuhaben, ihre Interessen zu teilen. Vielleicht aus dem Wunsch heraus, die Situation zu retten, wagte er mal ein Federballspiel und summte eine abendliche Melodie mit. Doch eine rechte Begeisterung wollte sich nicht zeigen. Auch auf Gespräche ging er kaum ein. Wenn es sich nicht um ihn drehte, war er für schwer zu begeistern. Sein Leben war auf das Vermehren seines Reichtums und der Machtgewinnung ausgerichtet. Offensichtlich sah er im Familienleben nur eine Nebenbeschäftigung, derer er sich widmete, um schlussendlich einen Erben zu zeugen. Einzig der Beischlaf war etwas, wofür er sich begeisterte. Er machte keinen Hehl daraus, dass er sie sofort besteigen würde, doch Mina stellte klar, dass sie ihn nicht vor der Eheschließung gewähren lassen würde.
Irgendwann verlor Stephan das Interesse an ihr oder er hatte eingesehen, dass er sein Ziel nicht erreichen würde. Er wandte sich vermehrt seinen persönlichen Vorlieben zu, sprach vornehmlich mit den Herren über Geschäftliches und hatte für Mina genauso viel distanzierten Respekt übrig, wie sie für ihn. Das entging auch der Familie nicht und schlussendlich bemühte sich ihr Vater um ein Vier-Augen-Gespräch mit seiner Tochter.
„Mina, ich habe das Gefühl, du nimmst deine Verpflichtung gegenüber der Familie nicht ernst."
„Ich behandle unsere Gäste respektvoll, stehe auf, wann Sie es einfordern, und achte auf meine Ausdrucksweise."
„Und deinem zukünftigen Gemahl trittst du wie eine Fremde gegenüber."
„Bisher hat er weder um meine Hand angehalten, noch hat jemand etwas Offizielles in dieser Hinsicht verkündet."
„Diese Formalitäten sind doch unter Freunden nicht von Belang."
„Wenn Sie planen, Ihre Tochter wie das Holz aus Ihren Wäldern zu verkaufen."
Die Miene ihres Vaters verdüsterte sich eine Spur, wobei sie nicht sicher war, ob ihrer Förmlichkeit ihm gegenüber, oder weil sie subtile Forderungen stellte. „Wäre es dir lieber, wenn er vor dir in aller Form auf die Knie fällt?"
„Ich bezweifle, dass er willens ist, sich vor seiner Frau zu beugen."
„Hängt es dir immer noch nach, dass er mit einer anderen im Bett lag?"
„Erwarten Sie, dass ich sein Verhalten begrüße?"
„Es ist üblich, dass ein Mann sich die Hörner abstößt. Insbesondere, kurz bevor er sich an eine Frau bindet. Besser er tut es jetzt, als nach eurer Eheschließung."
„Vielleicht sollte ich auch rasch eine Wanderung durch die Betten der Grafschaft unternehmen?"
Der Baron hob seine Hand, besann sich aber wieder. „Hüte dich Tochter!"
„Ich frage mich, warum den Männern derlei Vorrechte gestattet sind, während die Frauen sich zu fügen haben."
„Wenn du die göttliche Fügung infrage zu stellen suchst, bemühe dich um ein Studium der Theologie."
„Ich bezweifle, dass sie eine Frau unter sich dulden würden. Immerhin könnte ich mein reichhaltiges Wissen an all die anderen Dummchen weitergeben."
Baron Minnesang erhob sich und fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. „Bei seinem letzten Besuch warst du begeistert von ihm. Du hast dich zu unser aller Schrecken sogar dem Schießen zugewandt. Was ist nur aus dir geworden? Hat dir die Gräfin den Kopf verdreht?"
„Viel eher mir offenbart, dass es mehr braucht als Reichtum, um glücklich zu sein."
„Und du glaubst, dass diese Frau das besser weiß, als deine Eltern?"
„Mit Reichtum sollte sie Erfahrung haben."
„Du magst es nicht wissen, aber diese Frau entstammt der niedersten Schicht! Auch wenn es keiner laut zu sagen wagt, so wurde diese Person, die sich mit feinem Stoff zu verkleiden weiß, in einem Zirkuswagen geboren. Woher sollte sie über unsere Gepflogenheiten Bescheid wissen?"
Mina öffnete vor Staunen den Mund. Davon hatte sie nie gehört. Nichts hatte darauf hingedeutet, dass sie von niederer Geburt war. Sie hatte eine redselige Natur, wirkte offen und weltgewandt, aber ansonsten wusste sie, sich wie eine Edelfrau zu benehmen, und gab sich keinerlei Blöße. Aber was änderte das schon? Zeugte nicht gerade das davon, dass sie wissen musste, dass Reichtum allein nicht glücklich machte? Oder hatte sie nur des wirtschaftlichen Vorteils wegen geheiratet? Es war ein steiler Aufstieg von der Unterhaltungskünstlerin zur Gräfin. „Ich liebe Stephan nicht."
„Du wirst ihn lieben lernen. Liebe kommt nicht von einem auf den anderen Tag. Sie entsteht durch jahrelanges Beisammensein, dem Erreichen gemeinsamer Ziele."
„Sie meinen, ihm dabei zuzuschauen, wie er seine Ziele erfüllt?"
„Deine Mutter war mir stets eine Stütze bei allem, was ich tat."
„Ihr seid nicht glücklich miteinander."
„Wir haben ein gutes Auskommen und drei wundervolle Kinder."
War das Glück? Beschränkte sich ein zufriedenes Leben auf den Besitz anerkannter Güter? Mina konnte es nicht sagen. Die unterschiedlichsten Gefühle manifestierten sich in ihrem Inneren. Für ihren Vater war die Sache einfach. Es reichte, wenn seine Tochter finanziell abgesichert war, der Rest würde sich von selbst ergeben. Doch Mina sah eine Zukunft voll der Trostlosigkeit vor sich. Vielleicht bot das Leben nicht mehr für sie. Nicht jede konnte dem Zirkus entspringen und das Glück haben, sowohl die Liebe zu finden als auch zu Reichtum zu gelangen.
„Ich danke Ihnen, Vater."
Seine Miene wandelte sich zu einem zufriedenen Lächeln und er legte ihr die Hand auf den Kopf. „Es ist normal, vor solch prägenden Ereignissen in Zweifel zu verfallen. Darum regeln wir deine Angelegenheiten. Du wirst sehen, für dich wird sich alles zum Besten ergeben." Er verließ ihr Zimmer und ließ Mina mit ihren Gedanken alleine.
Sie ging zu ihrer Anrichte und überflog Martins Briefe. Auf ihren letzten hatte er noch nicht geantwortet. Womöglich war sie bereits verheiratet, ehe er sie auf ihre klagenden Worte hin zu trösten vermochte. Wehmütig strich sie über die sauber geschriebenen Lettern.
Am nächsten Tag unternahm sie mit Stephan einen Ausritt durch die Wälder. Offenbar hatte man ihn instruiert, sich mehr um sie zu bemühen, denn bereits am Morgen hatte er ihr einen Blumenstrauß überreicht. Mina mühte sich, ihre Distanziertheit zu überwinden und ihm hin und wieder ein höfliches Lächeln zu schenken. Sie konnte ohnehin nichts gegen die beschlossene Sache tun. Selbstverständlich konnte man sie kaum zwingen, ihm das Jawort vorm Altar zu geben, doch eine Verweigerung ihrer Hand hätte Folgen für die Familie als auch für sie. Womöglich würde keine derartige Gelegenheit mehr kommen und sie würde früher oder später mit einem Mann vorliebnehmen müssen, der sowohl unangenehm als auch ärmlich war.
Sie ritten nordwärts zu dem immer kleiner werdenden Forst, den die Tagelöhner Tag für Tag zu reduzieren pflegten. Mittlerweile wurde das Holz nicht mehr abtransportiert, sondern zerkleinert und trocken gelagert, um zukünftig die Schmieden der Lanzbruchs zu befeuern.
„Die Absicht deines Vaters, hier eine Siedlung anzulegen, war eine vorausschauende Entscheidung. Die Familien werden viele junge, kräftige Männer stellen, die einmal in unseren Minen als Bergwerker dienen."
Ursprünglich hatte Baron Minnesang eher daran gedacht, dass sich hier Bauern niederließen, die vorwiegend durch Ackerbau und Viehhaltung den Reichtum der Familie mehrten. Außerdem wollte er damit Vorsorge treffen. Er schuldete dem Herzog Heeresfolge und würde zu gegebener Zeit Männer stellen müssen, die in den Kriegsdienst gingen. Die Vergrößerung seiner Landbevölkerung würde den Verlust an guten Arbeitskräften ausgleichen.
„Möglicherweise wird hier einst sogar eine Stadt entstehen, die die Handwerker aus Königsfels anzuziehen weiß und das Marktrecht erhält", fuhr Stephan seine Erläuterungen fort. „Stell dir das vor, eine ganze Stadt, welche Abgaben an uns entrichtet."
„Das klingt nach einem kühnen Gedanken."
„Es wird Wahrheit werden. Bereits jetzt werden Unmengen von Roheisen benötigt, allein um die Werkzeuge von Bauern, Handwerkern und Händlern bereitzustellen. Man munkelt, der Herzog sonne sich in dem Gedanken, den Status eines Kronvasallen abzulegen und sich selbst zu krönen. Sollte das der Fall sein, dann wird er dermaßen viele Waffen benötigen, dass eine ganze Stadt hier vonnöten sein wird, um seinen Hunger zu stillen."
„Du sprichst von Krieg."
Stephan hob die Schultern. „Unsere Landsleute bemannen die Söldnerheere verschiedenster Mächte. Warum nicht persönlich auf dem Schlachtfeld auftreten?"
Mina konnte mit dem Gedanken nicht konform gehen. Auch wenn sie langfristig von einem Krieg profitieren könnte, so bedeutete Krieg unendliches Leid für ein ganzes Land. Und es war auch nicht unbedingt die beste Zeit, um auf Reisen zu gehen. Ein schlimmer Gedanke, einmal mit einem Kriegstreiber verheiratet zu sein und daran teilzuhaben, seine Macht zu mehren.
Sie folgten einem Weg nach Westen, der jüngst von den Arbeitern angelegt wurde. Dort fand sich der nächste große Forst, der planmäßig als bald der Axt zum Opfer fallen würde und in den Brennöfen sein Ende fände. Stephan philosophierte darüber, dass sich hier in Zukunft ihr Anwesen, eines Königs würdig, anstelle der weiten Wälder erheben würde.
Als sie die Rückkehr antraten, hielten sie bei einer kleinen Baumgruppe in Sichtweite ihres Hauses. Es war ein Ort, an den Mina sich gerne zum Lesen zurückgezogen hatte, viele Male auch mit Martin, um Zuflucht vor der sengenden Hitze zu erhalten. Ein Ort voller schöner Kindheitserinnerungen, den sie manches Mal aufsuchte, wenn ihr schwer ums Herz wurde. Es fühlte sich falsch an, mit Stephan hier zu sein. Aber sie konnte ihn wohl schwerlich von hier vertreiben, indem sie argumentierte, das wäre ihr privater Rückzugsort, den sie nur mit ihrem besten Freund teilte. Sie leinten die Pferde zum Grasen an und ließen sich unter einer gewaltigen Linde nieder, die ihre Arme weit über sie ausstreckte.
„Mina, da wäre noch etwas, was ich dich persönlich fragen möchte."
Mina hob die Brauen ob seines zurückhaltenden Tonfalls. Stephan pflegte es, kein Blatt vor den Mund zu nehmen und immer in einer Art und Weise zu sprechen, als verkünde er die Worte des Papsts. Er förderte eine Schatulle aus seiner Manteltasche, öffnete sie und hielt ihr einen goldenen Ring entgegen. „Dein Vater sagte mir, du bevorzugst einen förmlichen Antrag, darum." Er senkte sich auf ein Knie ab und Mina wurde mit einem Mal ganz kalt ums Herz.
Sie hatte sich gedanklich hierauf vorbereitet und gleichzeitig nicht erwartet, der Moment würde eintreten. Vielleicht am Anfang, als sie Stephan das erste Mal sah und die Heirat gar nicht erwarten konnte. Aber jetzt machte er ihr Angst. Der Antrag versperrte jeglichen Weg in eine andere Richtung. Obwohl ihr Weg vorgezeichnet war, so hatte sie doch das Gefühl gehabt, irgendeine Wahl zu haben. Diese würde ihr von sich selbst genommen, wenn sie jetzt akzeptierte. Gleichzeitig konnte sie ihn kaum vertrösten. Wahrscheinlich waren die Verträge bereits gezeichnet und ihre mündliche Bestätigung wäre nur die Spitze des Eisbergs.
Sie leckte sich über die Lippen und sah in alle Richtungen, als könne ihr Hilfe aus dem Nichts entgegeneilen. Um das Haus herum gingen ein paar Mägde, die in ihre Arbeit vertieft waren, in der Ferne erahnte sie einen Reiter. Wohl ein Bote, der Martins Brief mit sich führte.
Sie wünschte sich, ihm entgegenzueilen. Vielleicht enthielten seine beruhigenden Zeilen den nötigen Mut, diesen Schritt zu tun. Die Bestätigung, dass es richtig war, dem Weg zu folgen, statt sich ihm entgegenzustemmen. Doch sie würde sie erst im Nachhinein lesen können. Schweiß trat ihr auf die Stirn bei dem Gedanken, womöglich etwas zu lesen, dass sie ihre Entscheidung bereuen lassen würde.
„Willst du mich heiraten?", kamen die Worte voller Ernst über Stehpans Lippen und rissen sie aus ihrer Grübelei.
Es war zu spät. Sie brachte weder ein Ja noch ein Nein heraus und die Träne, die ihre Wange hinab rollte, war keiner Freude entwachsen. Wie von fremder Hand gelenkt nickte sie ergeben, ergab sich ihrem Schicksal. Es war ein Traum, damit zu hadern, der Traum eines dummen Mädchens, das von klein auf versucht hatte, den Regeln der Gesellschaft zu entgehen. Doch sie war erwachsen geworden und musste ihren Platz in dieser finden.
Sie spürte, wie Stephan die Arme um sie legte, schließlich seinen Mund auf ihrem. Ihre Lippen waren wie versteinert, bewegten sich nicht, während er sie umschlang, mit der Zunge in ihren Mund einzudringen versuchte. Sie nahm sein Schnaufen entfernt wahr, seinen Atem an ihrem Hals, das saugende Geräusch auf der empfindlichen Haut. Seine Zunge wanderte ihren Körper hinab, die Finger nestelten an ihrem Mieder.
Das Hufgeklapper wurde lauter, gleich würde eine Magd den Brief in Empfang nehmen. Sie spürte eine Hand auf ihrem Busen und wie sich die Schnürung an ihrem Rücken löste. Sie prallte zurück, was Stephan als Einladung nahm, sich auf ihr zu platzieren. Ihre Hände stießen gegen ihn, doch er musste es als Versuch deuten, ihn aus seiner Kleidung zu schälen. Er presste ihre Arme gegen den Boden und zog mit den Zähnen das Mieder weiter hinunter, entblößte ihre zarten Brustwarzen, an denen er sich sogleich zu schaffen machte. Er war grob und sie biss die Zähne zusammen.
Widerstand regte sich in ihr. Sie wollte das nicht. Das war genau das Gegenteil von dem, wie sie sich ihr Leben vorstellte. Sie war keine Puppe, die wehrlos seinem Drang nach Befriedigung dienen würde. Mit einem energischen Schrei stieß sie ihm das Knie gegen den Oberschenkel.
Er war nur für einen Moment irritiert, platzierte sich rittlings auf ihr und genoss sichtlich ihren Widerwillen. Für ihn war all das nur ein Spiel, welches seine Lust zusätzlich entfachte.
„Geh runter von mir, du Schwein!" Sie biss ihn in die Hand, worauf er ihr eine schallende Ohrfeige gab.
„Du bist mein, ich nehme mir, was mir gehört und jetzt halt still!"
„Nein!", schrie sie im Ansatz, ehe er ihr die Hand auf den Mund legte.
„Still, du willst doch nicht, dass uns die Dienerschaft stört?"
Ihr Kopf ruckte hin und her. Was für ein fürchterlicher Gedanke, dass ein Diener sie entblößt am Boden vorfände, wie Stephan sich gerade an ihr zu schaffen machte. Sie presste die Augen zusammen, als könnte sie diesem Albtraum damit entgehen. Das Gewicht auf ihr verringerte sich unerwartet.
„Mieses Dreckschwein!", hörte sie eine bekannte Stimme und schlug die Augen auf.
Martin hatte Stephan gepackt und ihn emporgezogen. Dieser war viel zu perplex, um sich zu wehren. Ein brachialer Faustschlag Martins beförderte ihn in Bewusstlosigkeit.


Tanz der GefühleWhere stories live. Discover now